Liebe Lotte 11
Liebe Lotte,
heute ist ein besonderer Tag für mich: 55 Jahre an der Seite eines einzigen geliebten Menschen….!
Wer wird das von den Jungen in einem halben Jahrhundert einmal von sich sagen können? In dieser schnelllebigen Zeit, wo alles, wie mir scheint, gerade auch die menschlichen Beziehungen, der Wegwerfgesellschaft oder den persönlichen Karrieren geopfert werden.
Bereits seit Tagen steigen all diese Erinnerungen der letzten Jahrzehnte in mir auf: wie wir uns in der schweren Zeit des Wiederaufbaus kennenlernten, anfangs mit mehreren Menschen in einer Wohnung lebten, nicht einmal einen eigenen Waschraum für uns hatten, Intimität kaum möglich war. Wir teilten Freud und Leid, Streit und Versöhnung mit anderen, ob wir wollten oder nicht, denn die Wände waren hauchdünn wie Papierbogen. Dann unsere erste kleine Wohnung, unterm Dach eines neuen Vier-Parteien-Mietshauses: 2 Zimmer, Küche, Bad, gefliest, hellblaue Kacheln, erinnerst Du Dich? Eine Badewanne aus Emaille, mit einem Badeofen, den wir mit Holz und Kohle anfeuern konnten und der wohlige Wärme, nicht nur im Bad, verbreitete. Dazu – endlich ein WC. Vorbei, vor allem, die kalten Winterszeiten, wenn wir nach draußen über den Hof, womöglich durch tiefen Schnee stapfen mussten, um zur Toilette zu kommen, die – heute würde man ganz ungeniert sagen – ein Plumpsklo war, in Sommerszeiten, wie diesen, umschwirrt von Schmeißfliegen.
Ach Lotte, und dann, als unser großes kleines Glück, unsere erste Tochter, geboren, und kurz darauf die zweite, später, als wir uns den VW-Käfer leisteten, damit in unseren ersten kleinen Familienurlaub nach Kärnten fuhren…. Was waren das für unvergessliche, schöne Zeiten. Danach in den Sechziger Jahren als die Zeiten wieder rauer wurden, wir an manchen Tagen auf gepackten Koffern saßen: Der Kalte Krieg mit der Angst eines neuen Weltkrieges…. als amerikanische Panzer in unserer Garnisonsstadt auffuhren… zum Schutz… wie groß die Erleichterung, als sie wieder abzogen, als langsam wieder Entspannung eintrat…. Die größte Freude in jener Zeit: unsere Töchter! Dann die Siebziger Jahre, mit einer neuen Lebensprüfung für uns…. als die schwere Krankheit kam…. von der nicht mehr genesen…. Und wieder die Kinder, die große Freude, die dieses Lebenslos´ erleichterten, vor allem unser Sonnenschein, unser Nachzügler, in die Schwere dieser Zeit hinein geboren. Wir rechneten gar nicht mehr damit, dass dies noch geschehen könne…. wie leichtsinnig wir waren. Wie oft hatten wir uns vorgeworfen, nachlässig gewesen zu sein. Der Schock, als ich die Hebamme ein dreiviertel Jahr nach der Niederkunft auf der Straße traf und sie sich besorgt erkundigte…. nach dem Wohlbefinden…. wie es der Frau ginge…. und ich nicht wusste, was los… was sie meinte? Wie sie mir beichtete, dass ich die über alles Geliebte, beinah` im Kindsbett, nach der Geburt meines einzigen Sohnes verloren! Wie mir das Schicksal, Gott(!?), das einzig Liebste, die einzig Vertraute meines Lebens, beinah` genommen und dafür das andere Einzigartige, den langersehnten Sohn, geschenkt. Was für ein Schock mir das war, dieses Geständnis der Hebamme, dass die Frau meines Lebens eine dreiviertel Stunde im Koma, reanimiert, wieder und wieder… bis sie mir wieder gegeben....
Ja, meine liebe Lotte, all diese Erinnerungen steigen an diesem Hochzeitstag in mir auf…. und ich, alter Narr, wische mir, bei den Gedanken daran, sogar ein paar Tränen mit dem Handrücken aus dem Gesicht.
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heute ist ein besonderer Tag für mich: 55 Jahre an der Seite eines einzigen geliebten Menschen….!
Wer wird das von den Jungen in einem halben Jahrhundert einmal von sich sagen können? In dieser schnelllebigen Zeit, wo alles, wie mir scheint, gerade auch die menschlichen Beziehungen, der Wegwerfgesellschaft oder den persönlichen Karrieren geopfert werden.
Bereits seit Tagen steigen all diese Erinnerungen der letzten Jahrzehnte in mir auf: wie wir uns in der schweren Zeit des Wiederaufbaus kennenlernten, anfangs mit mehreren Menschen in einer Wohnung lebten, nicht einmal einen eigenen Waschraum für uns hatten, Intimität kaum möglich war. Wir teilten Freud und Leid, Streit und Versöhnung mit anderen, ob wir wollten oder nicht, denn die Wände waren hauchdünn wie Papierbogen. Dann unsere erste kleine Wohnung, unterm Dach eines neuen Vier-Parteien-Mietshauses: 2 Zimmer, Küche, Bad, gefliest, hellblaue Kacheln, erinnerst Du Dich? Eine Badewanne aus Emaille, mit einem Badeofen, den wir mit Holz und Kohle anfeuern konnten und der wohlige Wärme, nicht nur im Bad, verbreitete. Dazu – endlich ein WC. Vorbei, vor allem, die kalten Winterszeiten, wenn wir nach draußen über den Hof, womöglich durch tiefen Schnee stapfen mussten, um zur Toilette zu kommen, die – heute würde man ganz ungeniert sagen – ein Plumpsklo war, in Sommerszeiten, wie diesen, umschwirrt von Schmeißfliegen.
Ach Lotte, und dann, als unser großes kleines Glück, unsere erste Tochter, geboren, und kurz darauf die zweite, später, als wir uns den VW-Käfer leisteten, damit in unseren ersten kleinen Familienurlaub nach Kärnten fuhren…. Was waren das für unvergessliche, schöne Zeiten. Danach in den Sechziger Jahren als die Zeiten wieder rauer wurden, wir an manchen Tagen auf gepackten Koffern saßen: Der Kalte Krieg mit der Angst eines neuen Weltkrieges…. als amerikanische Panzer in unserer Garnisonsstadt auffuhren… zum Schutz… wie groß die Erleichterung, als sie wieder abzogen, als langsam wieder Entspannung eintrat…. Die größte Freude in jener Zeit: unsere Töchter! Dann die Siebziger Jahre, mit einer neuen Lebensprüfung für uns…. als die schwere Krankheit kam…. von der nicht mehr genesen…. Und wieder die Kinder, die große Freude, die dieses Lebenslos´ erleichterten, vor allem unser Sonnenschein, unser Nachzügler, in die Schwere dieser Zeit hinein geboren. Wir rechneten gar nicht mehr damit, dass dies noch geschehen könne…. wie leichtsinnig wir waren. Wie oft hatten wir uns vorgeworfen, nachlässig gewesen zu sein. Der Schock, als ich die Hebamme ein dreiviertel Jahr nach der Niederkunft auf der Straße traf und sie sich besorgt erkundigte…. nach dem Wohlbefinden…. wie es der Frau ginge…. und ich nicht wusste, was los… was sie meinte? Wie sie mir beichtete, dass ich die über alles Geliebte, beinah` im Kindsbett, nach der Geburt meines einzigen Sohnes verloren! Wie mir das Schicksal, Gott(!?), das einzig Liebste, die einzig Vertraute meines Lebens, beinah` genommen und dafür das andere Einzigartige, den langersehnten Sohn, geschenkt. Was für ein Schock mir das war, dieses Geständnis der Hebamme, dass die Frau meines Lebens eine dreiviertel Stunde im Koma, reanimiert, wieder und wieder… bis sie mir wieder gegeben....
Ja, meine liebe Lotte, all diese Erinnerungen steigen an diesem Hochzeitstag in mir auf…. und ich, alter Narr, wische mir, bei den Gedanken daran, sogar ein paar Tränen mit dem Handrücken aus dem Gesicht.
Teresa HzW - 29. Jul, 14:18 - Rubrik Fund[W]orte
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