Auf den Spuren der Postmoderne
Auch ich habe angefangen RAYUELA von Julio Cortàzar zu lesen.
Es gibt verschiedene Arten diesen Roman, einen Klassiker der südamerikanischen Postmoderne, übrigens, zu lesen. „Auf seine Weise ist dieses Buch viele Bücher“, schreibt Cortázar denn auch, in seinem „Wegweiser“, den man als Art Lese-Anleitung anstelle eines Vorworts sehen kann. „Es lässt sich in der üblichen Weise lesen“, also von vorn nach hinten, Seite für Seite umblätternd. ODER „Es läßt sich so lesen, dass man mit dem Kapitel 73 anfängt und dann in der Reihenfolge weitermacht, die am Fuß eines jeden Kapitels angegeben wird“, empfiehlt der Autor seine beiden Les-Arten.
ICH habe jedoch, wie der Bücherblogger, der parallel zu mir, also eigentlich ein paar Tage vorher, diesen Roman zu lesen begonnen hat, eine dritte (bzw. im Vergleich zum Bücherblogger dann eine vierte) Lesart entdeckt:
Ich habe die Inhaltsangabe gelesen, um zu wissen, worum es hier geht, was Gegenstand des Romans ist. Danach den Wegweiser und die beiden ihm folgenden Widmungen, die eine vom Abt Martini, die andere von César Bruto. UND DANN habe ich überlegt, ob ich die zweite von Cortàzar vorgeschlagene Leseweise wähle!?
Jedoch, beim Suchen von Kapitel 73 ist mir der Daumen der linken Hand versehentlich ins Kapitel 21 geraten und wie von Geisterhand geführt, geriet dann auch der Daumen der rechten Hand zwischen die Seiten 112 und 113, wo das Kapitel 21 beginnt. ICH konnte nicht anders, liebe Leser, ich musste einfach hinein lesen. Eine unsichtbare Macht zog mich hinein… Wie ein Strudel den in den Fluss Gestürzten in die Tiefe zieht, sog mich der erste Satz dieses Kapitels 21 mitten hinein:
„Aller Welt geht es so, die Janusfigur ist pure Verschwendung, in Wirklichkeit sitzt uns mit vierzig das wahre Gesicht im Nacken, und blickt verzweifelt nach hinten.“
„Quatsch!“, sage ich zu mir selbst, "mit vierzig blickst Du nach vorne, willst es „erst recht" wissen!"
„Vertrackt ist bloß, dass die Natur und die Wirklichkeit, man weiß nicht warum, zu Feinden werden, es kommt eine Stunde, wo das Natürliche schrecklich falsch klingt, wo die Wirklichkeit der zwanzig Jahre Ellenbogen an Ellenbogen neben der Wirklichkeit der vierzig Jahre sitzt, und in jedem Ellbogen steckt eine Rasierklinge, die uns die Jacke aufschlitzt.“ Jetzt weißt Du als Leser nicht, woran dachte Cortàzar wirklich, als er genau diesen Satz schrieb, der so wunderbar ist (wie ich finde): An das Berufsleben, die Konkurrenz? An das Liebesleben, die Nebenbuhler, also auch Konkurrenz? ODER? An die bereits gelebten Lebensjahre? Die hinter Dir liegen. Also die Lebensjahre der Vergangenheit, die über die Gegenwart zu Konkurrenten mit der Zukunft, im Wettlauf mit der noch verbleibenden Lebenszeit, werden.
„Wenn jedoch ich es bin, der entscheidet, dann wende ich mich fast immer der Vergangenheit zu.“, schreibt Cortàzar wenige Zeilen später, auf Seite 114, weiter.
„EINSPRUCH!“, möchte ich schreien und blicke mich erschrocken um, weil ich dies in der S-Bahn lese und mir meine Gedanken dazu notiere: „Mit vierzig habe ich mich weiter der Zukunft zugewandt! (Noch) Nicht der Vergangenheit!“
„Mich begeistert das Heute, aber immer vom Gestern her,“ so Cortàzar weiter…
„Mich begeistert das HEUTE und MORGEN. Ich möchte weiter! Das MORGEN mit-ent-wickeln, mit-ge-stalten, damit sich das GESTERN nicht wiederholt, mit seinen Fehlern, mit seinen uneingestandenen Irrtümern“, denkt sich die eine von Ihnen. Jetzt!
Vielleicht?
Und ein anderer von Ihnen, liebe Leser, überlegt:
„Ich möchte das Positive der Vergangenheit in die Zukunft hinüber retten, ich möchte, dass Dinge, die in der Vergangenheit begannen, in der Zukunft nachhaltig weiter gestaltet werden.“
Schließlich, auch wenn es abgedroschen klingt, liebe Leserinnen und Leser, doch es ist nun mal wahr: Das Rad braucht nicht ständig und immer wieder neu erfunden werden. Daher empfinde ich die GEGENWART, das HEUTE, oft als Déja-vu: als Gegenwart der Vergangenheit. Es ist, als ob sich etwas wiederholt, das Du schon einmal gelebt und getan hast. Es tritt vor allem auf in Situationen, in denen andere Menschen etwas tun, begeistert von einer Idee, einer Sache erzählen, gerade so, als ob sie sie eben erfunden, erdacht, entwickelt haben.
„Mon Dieu“, denke ich mir, „wielange ist das denn schon her, dass Du das mit anderen Leuten erarbeitet, entwickelt, umgesetzt hast.“
"Hand-aufs-Herz", mich begeistert das nicht, mich nervt das! Wenn einer so tut, als ob er gerade die Glühbirne erfunden hätte! Während Du selber darüber nachdenkst, mit Deinen Leuten, in Deinem Kreis, wie das Problem des „kalten Lichts“ bei den Energiesparlampen oder LED`s gelöst werden kann, nachdem nun die gute alte Glühbirne ausgedient hat.
Insofern - „JA“, ich bin damit einverstanden, wenn Cortàzar im Kapitel 21, auf Seite 114, weiter schreibt: „die Gegenwart ist eine seltsame, verworrene Zukunft, wo junge Männer im Pullover und Mädchen mit aufgelöstem Haar ihren café crème trinken und sich streicheln mit der trägen Anmut von Katzen oder Pflanzen.“Nur mit dem Unterschied, dass in meinem Déja-vu nicht junge Männer im Pullover und Mädchen mit aufgelöstem Haar die Hauptrolle spielen, sondern (Mann möge mir verzeihen und Frau ebenso) „alte Säcke“ und „jene Gscheidle, die immer schon alles besser wussten“.
„Man muss dagegen ankämpfen.
Man muss sich wieder in der Gegenwart einrichten.“ sagt er dann noch.
Und wo er recht hat, hat er recht. Immerhin ist Cortàzars Gegenwart, die der 1950er Jahre!
„Et voilà, mesdames, messieurs, das ist gerade mal „schlappe“ 50 bis 60 Jahre her!“ Welche Art „GEGENWART“ mag Cortàzar gefühlt haben, als er das schrieb?
Leben wir daher heute in einer NEO-Postmoderne?
Sind wir erst jetzt in der Lage, das, was Postmodernisten - wie er - damals dachten, zu rezipieren? Zu verstehen?
Cortàzars RAYUELA wird immerhin als Klassiker der südamerikanischen Postmoderne (neben Borges`) angesehen.
Muss ich mich selber an die Nase fassen?
Trifft auf mich, aus der Sicht derer, die damals die 1950er Jahre als (junge) Erwachsene (schon) erlebten und bewusst wahrnahmen, nicht genau das zu, was ich oben kritisch über mein Déja-vu des HEUTE schrieb?
ODER nahm nur eine Minderheit, eine bestimmte intellektuelle Elite der Hochkultur, in den 1950er Jahre dies so wahr?
Erlebt etwa die Postmoderne als sog. NEO-Postmoderne (so bezeichne ich sie, die gegenwärtige Epoche!) heute die Rezeption durch die Massen?
Wird die Postmoderne quasi durch die Babyboomer, die jungen Alten oder die alten Jungen(je nachdem durch welche Brille man auf diese Generation blickt), in den Mainstream überführt, weil sie nun darüber zu schreiben beginnen?
Fragen über Fragen, die Dir beim Lesen von gerade mal zwei Seiten RAYUELA durch den Kopf gehen.
Fragen, die SIE, liebe Blogleserin, lieber Blogleser, durchaus als rhetorisch auffassen dürfen, auf die SIE jedoch auch antworten, sie kommentieren können. HIER unten… WENN S I E mögen?
Während ich… weiter lese… in RAYUELA…
6877 mal gelesen
Es gibt verschiedene Arten diesen Roman, einen Klassiker der südamerikanischen Postmoderne, übrigens, zu lesen. „Auf seine Weise ist dieses Buch viele Bücher“, schreibt Cortázar denn auch, in seinem „Wegweiser“, den man als Art Lese-Anleitung anstelle eines Vorworts sehen kann. „Es lässt sich in der üblichen Weise lesen“, also von vorn nach hinten, Seite für Seite umblätternd. ODER „Es läßt sich so lesen, dass man mit dem Kapitel 73 anfängt und dann in der Reihenfolge weitermacht, die am Fuß eines jeden Kapitels angegeben wird“, empfiehlt der Autor seine beiden Les-Arten.
ICH habe jedoch, wie der Bücherblogger, der parallel zu mir, also eigentlich ein paar Tage vorher, diesen Roman zu lesen begonnen hat, eine dritte (bzw. im Vergleich zum Bücherblogger dann eine vierte) Lesart entdeckt:
Ich habe die Inhaltsangabe gelesen, um zu wissen, worum es hier geht, was Gegenstand des Romans ist. Danach den Wegweiser und die beiden ihm folgenden Widmungen, die eine vom Abt Martini, die andere von César Bruto. UND DANN habe ich überlegt, ob ich die zweite von Cortàzar vorgeschlagene Leseweise wähle!?
Jedoch, beim Suchen von Kapitel 73 ist mir der Daumen der linken Hand versehentlich ins Kapitel 21 geraten und wie von Geisterhand geführt, geriet dann auch der Daumen der rechten Hand zwischen die Seiten 112 und 113, wo das Kapitel 21 beginnt. ICH konnte nicht anders, liebe Leser, ich musste einfach hinein lesen. Eine unsichtbare Macht zog mich hinein… Wie ein Strudel den in den Fluss Gestürzten in die Tiefe zieht, sog mich der erste Satz dieses Kapitels 21 mitten hinein:
„Aller Welt geht es so, die Janusfigur ist pure Verschwendung, in Wirklichkeit sitzt uns mit vierzig das wahre Gesicht im Nacken, und blickt verzweifelt nach hinten.“
„Quatsch!“, sage ich zu mir selbst, "mit vierzig blickst Du nach vorne, willst es „erst recht" wissen!"
„Vertrackt ist bloß, dass die Natur und die Wirklichkeit, man weiß nicht warum, zu Feinden werden, es kommt eine Stunde, wo das Natürliche schrecklich falsch klingt, wo die Wirklichkeit der zwanzig Jahre Ellenbogen an Ellenbogen neben der Wirklichkeit der vierzig Jahre sitzt, und in jedem Ellbogen steckt eine Rasierklinge, die uns die Jacke aufschlitzt.“ Jetzt weißt Du als Leser nicht, woran dachte Cortàzar wirklich, als er genau diesen Satz schrieb, der so wunderbar ist (wie ich finde): An das Berufsleben, die Konkurrenz? An das Liebesleben, die Nebenbuhler, also auch Konkurrenz? ODER? An die bereits gelebten Lebensjahre? Die hinter Dir liegen. Also die Lebensjahre der Vergangenheit, die über die Gegenwart zu Konkurrenten mit der Zukunft, im Wettlauf mit der noch verbleibenden Lebenszeit, werden.
„Wenn jedoch ich es bin, der entscheidet, dann wende ich mich fast immer der Vergangenheit zu.“, schreibt Cortàzar wenige Zeilen später, auf Seite 114, weiter.
„EINSPRUCH!“, möchte ich schreien und blicke mich erschrocken um, weil ich dies in der S-Bahn lese und mir meine Gedanken dazu notiere: „Mit vierzig habe ich mich weiter der Zukunft zugewandt! (Noch) Nicht der Vergangenheit!“
„Mich begeistert das Heute, aber immer vom Gestern her,“ so Cortàzar weiter…
„Mich begeistert das HEUTE und MORGEN. Ich möchte weiter! Das MORGEN mit-ent-wickeln, mit-ge-stalten, damit sich das GESTERN nicht wiederholt, mit seinen Fehlern, mit seinen uneingestandenen Irrtümern“, denkt sich die eine von Ihnen. Jetzt!
Vielleicht?
Und ein anderer von Ihnen, liebe Leser, überlegt:
„Ich möchte das Positive der Vergangenheit in die Zukunft hinüber retten, ich möchte, dass Dinge, die in der Vergangenheit begannen, in der Zukunft nachhaltig weiter gestaltet werden.“
Schließlich, auch wenn es abgedroschen klingt, liebe Leserinnen und Leser, doch es ist nun mal wahr: Das Rad braucht nicht ständig und immer wieder neu erfunden werden. Daher empfinde ich die GEGENWART, das HEUTE, oft als Déja-vu: als Gegenwart der Vergangenheit. Es ist, als ob sich etwas wiederholt, das Du schon einmal gelebt und getan hast. Es tritt vor allem auf in Situationen, in denen andere Menschen etwas tun, begeistert von einer Idee, einer Sache erzählen, gerade so, als ob sie sie eben erfunden, erdacht, entwickelt haben.
„Mon Dieu“, denke ich mir, „wielange ist das denn schon her, dass Du das mit anderen Leuten erarbeitet, entwickelt, umgesetzt hast.“
"Hand-aufs-Herz", mich begeistert das nicht, mich nervt das! Wenn einer so tut, als ob er gerade die Glühbirne erfunden hätte! Während Du selber darüber nachdenkst, mit Deinen Leuten, in Deinem Kreis, wie das Problem des „kalten Lichts“ bei den Energiesparlampen oder LED`s gelöst werden kann, nachdem nun die gute alte Glühbirne ausgedient hat.
Insofern - „JA“, ich bin damit einverstanden, wenn Cortàzar im Kapitel 21, auf Seite 114, weiter schreibt: „die Gegenwart ist eine seltsame, verworrene Zukunft, wo junge Männer im Pullover und Mädchen mit aufgelöstem Haar ihren café crème trinken und sich streicheln mit der trägen Anmut von Katzen oder Pflanzen.“Nur mit dem Unterschied, dass in meinem Déja-vu nicht junge Männer im Pullover und Mädchen mit aufgelöstem Haar die Hauptrolle spielen, sondern (Mann möge mir verzeihen und Frau ebenso) „alte Säcke“ und „jene Gscheidle, die immer schon alles besser wussten“.
„Man muss dagegen ankämpfen.
Man muss sich wieder in der Gegenwart einrichten.“ sagt er dann noch.
Und wo er recht hat, hat er recht. Immerhin ist Cortàzars Gegenwart, die der 1950er Jahre!
„Et voilà, mesdames, messieurs, das ist gerade mal „schlappe“ 50 bis 60 Jahre her!“ Welche Art „GEGENWART“ mag Cortàzar gefühlt haben, als er das schrieb?
Leben wir daher heute in einer NEO-Postmoderne?
Sind wir erst jetzt in der Lage, das, was Postmodernisten - wie er - damals dachten, zu rezipieren? Zu verstehen?
Cortàzars RAYUELA wird immerhin als Klassiker der südamerikanischen Postmoderne (neben Borges`) angesehen.
Muss ich mich selber an die Nase fassen?
Trifft auf mich, aus der Sicht derer, die damals die 1950er Jahre als (junge) Erwachsene (schon) erlebten und bewusst wahrnahmen, nicht genau das zu, was ich oben kritisch über mein Déja-vu des HEUTE schrieb?
ODER nahm nur eine Minderheit, eine bestimmte intellektuelle Elite der Hochkultur, in den 1950er Jahre dies so wahr?
Erlebt etwa die Postmoderne als sog. NEO-Postmoderne (so bezeichne ich sie, die gegenwärtige Epoche!) heute die Rezeption durch die Massen?
Wird die Postmoderne quasi durch die Babyboomer, die jungen Alten oder die alten Jungen(je nachdem durch welche Brille man auf diese Generation blickt), in den Mainstream überführt, weil sie nun darüber zu schreiben beginnen?
Fragen über Fragen, die Dir beim Lesen von gerade mal zwei Seiten RAYUELA durch den Kopf gehen.
Fragen, die SIE, liebe Blogleserin, lieber Blogleser, durchaus als rhetorisch auffassen dürfen, auf die SIE jedoch auch antworten, sie kommentieren können. HIER unten… WENN S I E mögen?
Während ich… weiter lese… in RAYUELA…
Teresa HzW - 27. Aug, 19:20 - Rubrik [Post]Moderne
Rayuela 21
"tout pour moi devient allégorie"
Die Maga, die Magierin des Augenblicks beherrscht dagegen das authentische Augenblicksleben wie mit weiblicher Intuition. Im Weiblichen sieht Oliveira den fruchtbaren Boden, die schwarze Mutter Erde, die jedem Augenblick Leben spendet.