Bachmannpreis 1.Tag - 2.Lesung
11:15 Uhr - Maximilian Steinbeis (D, Jg 1970)
Wenn Autoren zu Finanzexperten werden
Wie man zu Gold kommt und wie und wo man es am besten vergräbt
Ein Text mit überraschendem Ausgang
Einen Schatz vergraben
Der Autor wurde von Burkhard Spinnen, dem Jury-Vorsitzenden, vorgeschlagen, daher hoffe ich nun auf mehr Qualität!
Sein Einstieg gefällt mir, er heißt mich freundlich "Willkommen!"
Ich lehne mich zurück und beschließe nur zuzuhören.
Ist das ein Einstieg mit Dialog?
Jedenfalls hört es sich an, wie ein Ratgeber-Text oder wie ein Vortrag bei einer Sparkassenvereinigung.
Ach, es geht um den Vermögensberater einer Bank, um die Vermögensberatung? Aha, um den Ankauf von Gold.
Es macht Spass, Maximilian Steinbeis zuzuhören. Fast habe ich den Eindruck, er kennt sich aus in dem Metier und mit dem Sujet. Ich habe das Gefühl, in der Bank dem Vermögensberater gegenüber zu sitzen und selbst diejenige zu sein, die von ihm über die Vermögensanlage „Gold-Ankauf“ beraten wird.
Gibt uns der Autor eine Anleitung zum Gold-Erwerb?
Es gibt glücklicherweise Läden, ganz normale Geschäfte. Sie verkaufen Edelmetalle. Münzen, antike Sammlerstücke, aber auch Neuprägungen. Man kann diese Läden betreten, ohne auch nur guten Tag zu sagen. Man kann schweigend bares Geld auf den Tisch blättern und auf das Gewünschte zeigen. Sie müssen nicht mal den Mund aufmachen. Von der Verwandlung ihres Geldes bekommt niemand etwas mit, genauso wenig, als würden Sie damit Eier oder Benzin oder einen neuen Regenmantel kaufen.
Das darf man sogar. Das ist völlig legal. Allerdings gibt es eine Obergrenze von 15.000 Euro. Bei höheren Beträgen muss der Verkäufer das Geschäft melden.
Diese Schwierigkeit zu überwinden, ist vor allem ein Zeitproblem. Sie müssen Ihr Geld in lauter 14.999-Euro-Tranchen stückeln und diese Tranchen in verschiedenen Geschäften in Gold tauschen, eine nach der anderen, heute eine in Hamburg, morgen eine in Berlin, übermorgen eine in München. Wir kennen die zuverlässigen Verkäufer. Wir stellen Ihnen den Routenplan zusammen.
Um 11:30 Uhr nach zehnminütiger Lesung vermute ich: der Vermögensberater ist kein Banker, sondern ein privater Gold-Schatz[Berater], der mir auf herrlich amüsante Art und Weise, beinahe ironisch erklärt, wie man in der heutigen Zeit einen Goldschatz erwirbt und an welchem Ort man ihn am besten dauerhaft vergräbt:
Man kann nicht alleine eine Grube ausheben, die tief genug ist, einen Schatz aufzunehmen. Also werden Sie einen zweiten Mann brauchen – nicht mehr als einen, aber den brauchen Sie notwendig. Das kann Ihr Sohn oder Enkel sein, wenn Sie einen haben, dem Sie einschränkungslos vertrauen und der physisch zu solch schwerer Arbeit in der Lage ist. Es kann auch Ihre Tochter oder Enkelin sein, unter den gleichen Bedingungen. Geschwister: Niemals. Auch nicht Ihre Frau. Das geht nicht gut.
Schließlich die Pointe des Textes. Eine überraschende Wendung – auch im Genre! Vom Ratgeber zur Mordanleitung?
Was Ihnen bevorsteht, ist auch so schon schwer genug.
Wenn man zehn Stunden lang neben- und miteinander harte körperliche Arbeit verrichtet, dann ist es sehr schwer, keine Beziehung zueinander aufzubauen. Er dort unten schaufelt, Sie ziehen. Man arbeitet sich in einen bestimmten Rhythmus hinein. Seine Bewegungen sind auf die Ihren abgestimmt. Er hackt, während Sie ziehen, dann schaufelt er, und Sie warten, bis der Eimer voll ist, dann ziehen Sie ihn hoch, und er nimmt die Spitzhacke auf – nach ein, zwei Stunden ist man derart aufeinander eingespielt, dass die Arbeit fast etwas Rauschhaftes bekommt, wie beim Tanz gleitet eine Bewegung in die andere, wie ein vierarmiges Tier frisst man sich in den Erdboden bis auf zweieinhalb Meter Tiefe, man atmet sogar synchron in der Dunkelheit, die Muskeln erfüllt vom gleichen warmen, blutvollen Schmerz, er dort unten, Sie da oben.
Und am Ende müssen Sie ihn erschlagen.
Es gibt keinen Weg, das leicht zu machen. Für die meisten ist das das mit Abstand Schwerste an der ganzen Operation.
Und Sie müssen es alleine tun. Wir können Sie darauf vorbereiten, soweit das möglich ist. Aber am Ende müssen Sie zu dem Entschluss in der Lage sein, den Spaten aufzuheben, hoch auszuschwingen mit dem stählernen Blatt und es in dem Moment, wo der dort unten die Schaufel in den Kübel entleert und sich seine Genickmuskeln entspannen, auf eine ganz bestimmte Stelle im Nacken niederfahren lassen.
Wir werden das üben. Das muss sitzen.
BRAVO!
Langer Applaus brandet nach der Lesung auf – auch bei mir. Ich habe schlagartig gute Laune bekommen!
Auch die Jury bewertet den Text gut, Jean Claude Sulzer sagt: „Eine lustige heitere Geschichte, eine Schnurre, nannte man das früher.“
Und Meike Feßmann urteilt: „Die Stimme des Erzählers ist ein Ratgeber-Mephisto, der uns nicht nur Rat gibt, sondern eine Stimme, die uns das einflüstert und man denkt als Zuhörer: Könnte da nicht etwas dran sein?“
Mein Daumen geht nach dieser zweiten Lesung und für Maximilian Steinbeis hoch, ganz hoch!
Der Text ist vielleicht als Publikumspreis verdächtig?
Das Studiopublikum geht mit, schmunzelt und lacht an den gleichen Lesestellen wie ich.
Dieser Autor kommt auf meine „Merk-Dir-den“-Liste!
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Wenn Autoren zu Finanzexperten werden
Wie man zu Gold kommt und wie und wo man es am besten vergräbt
Ein Text mit überraschendem Ausgang
Einen Schatz vergraben
Der Autor wurde von Burkhard Spinnen, dem Jury-Vorsitzenden, vorgeschlagen, daher hoffe ich nun auf mehr Qualität!
Sein Einstieg gefällt mir, er heißt mich freundlich "Willkommen!"
Ich lehne mich zurück und beschließe nur zuzuhören.
Ist das ein Einstieg mit Dialog?
Jedenfalls hört es sich an, wie ein Ratgeber-Text oder wie ein Vortrag bei einer Sparkassenvereinigung.
Ach, es geht um den Vermögensberater einer Bank, um die Vermögensberatung? Aha, um den Ankauf von Gold.
Es macht Spass, Maximilian Steinbeis zuzuhören. Fast habe ich den Eindruck, er kennt sich aus in dem Metier und mit dem Sujet. Ich habe das Gefühl, in der Bank dem Vermögensberater gegenüber zu sitzen und selbst diejenige zu sein, die von ihm über die Vermögensanlage „Gold-Ankauf“ beraten wird.
Gibt uns der Autor eine Anleitung zum Gold-Erwerb?
Es gibt glücklicherweise Läden, ganz normale Geschäfte. Sie verkaufen Edelmetalle. Münzen, antike Sammlerstücke, aber auch Neuprägungen. Man kann diese Läden betreten, ohne auch nur guten Tag zu sagen. Man kann schweigend bares Geld auf den Tisch blättern und auf das Gewünschte zeigen. Sie müssen nicht mal den Mund aufmachen. Von der Verwandlung ihres Geldes bekommt niemand etwas mit, genauso wenig, als würden Sie damit Eier oder Benzin oder einen neuen Regenmantel kaufen.
Das darf man sogar. Das ist völlig legal. Allerdings gibt es eine Obergrenze von 15.000 Euro. Bei höheren Beträgen muss der Verkäufer das Geschäft melden.
Diese Schwierigkeit zu überwinden, ist vor allem ein Zeitproblem. Sie müssen Ihr Geld in lauter 14.999-Euro-Tranchen stückeln und diese Tranchen in verschiedenen Geschäften in Gold tauschen, eine nach der anderen, heute eine in Hamburg, morgen eine in Berlin, übermorgen eine in München. Wir kennen die zuverlässigen Verkäufer. Wir stellen Ihnen den Routenplan zusammen.
Um 11:30 Uhr nach zehnminütiger Lesung vermute ich: der Vermögensberater ist kein Banker, sondern ein privater Gold-Schatz[Berater], der mir auf herrlich amüsante Art und Weise, beinahe ironisch erklärt, wie man in der heutigen Zeit einen Goldschatz erwirbt und an welchem Ort man ihn am besten dauerhaft vergräbt:
Man kann nicht alleine eine Grube ausheben, die tief genug ist, einen Schatz aufzunehmen. Also werden Sie einen zweiten Mann brauchen – nicht mehr als einen, aber den brauchen Sie notwendig. Das kann Ihr Sohn oder Enkel sein, wenn Sie einen haben, dem Sie einschränkungslos vertrauen und der physisch zu solch schwerer Arbeit in der Lage ist. Es kann auch Ihre Tochter oder Enkelin sein, unter den gleichen Bedingungen. Geschwister: Niemals. Auch nicht Ihre Frau. Das geht nicht gut.
Schließlich die Pointe des Textes. Eine überraschende Wendung – auch im Genre! Vom Ratgeber zur Mordanleitung?
Was Ihnen bevorsteht, ist auch so schon schwer genug.
Wenn man zehn Stunden lang neben- und miteinander harte körperliche Arbeit verrichtet, dann ist es sehr schwer, keine Beziehung zueinander aufzubauen. Er dort unten schaufelt, Sie ziehen. Man arbeitet sich in einen bestimmten Rhythmus hinein. Seine Bewegungen sind auf die Ihren abgestimmt. Er hackt, während Sie ziehen, dann schaufelt er, und Sie warten, bis der Eimer voll ist, dann ziehen Sie ihn hoch, und er nimmt die Spitzhacke auf – nach ein, zwei Stunden ist man derart aufeinander eingespielt, dass die Arbeit fast etwas Rauschhaftes bekommt, wie beim Tanz gleitet eine Bewegung in die andere, wie ein vierarmiges Tier frisst man sich in den Erdboden bis auf zweieinhalb Meter Tiefe, man atmet sogar synchron in der Dunkelheit, die Muskeln erfüllt vom gleichen warmen, blutvollen Schmerz, er dort unten, Sie da oben.
Und am Ende müssen Sie ihn erschlagen.
Es gibt keinen Weg, das leicht zu machen. Für die meisten ist das das mit Abstand Schwerste an der ganzen Operation.
Und Sie müssen es alleine tun. Wir können Sie darauf vorbereiten, soweit das möglich ist. Aber am Ende müssen Sie zu dem Entschluss in der Lage sein, den Spaten aufzuheben, hoch auszuschwingen mit dem stählernen Blatt und es in dem Moment, wo der dort unten die Schaufel in den Kübel entleert und sich seine Genickmuskeln entspannen, auf eine ganz bestimmte Stelle im Nacken niederfahren lassen.
Wir werden das üben. Das muss sitzen.
BRAVO!
Langer Applaus brandet nach der Lesung auf – auch bei mir. Ich habe schlagartig gute Laune bekommen!
Auch die Jury bewertet den Text gut, Jean Claude Sulzer sagt: „Eine lustige heitere Geschichte, eine Schnurre, nannte man das früher.“
Und Meike Feßmann urteilt: „Die Stimme des Erzählers ist ein Ratgeber-Mephisto, der uns nicht nur Rat gibt, sondern eine Stimme, die uns das einflüstert und man denkt als Zuhörer: Könnte da nicht etwas dran sein?“
Mein Daumen geht nach dieser zweiten Lesung und für Maximilian Steinbeis hoch, ganz hoch!
Der Text ist vielleicht als Publikumspreis verdächtig?
Das Studiopublikum geht mit, schmunzelt und lacht an den gleichen Lesestellen wie ich.
Dieser Autor kommt auf meine „Merk-Dir-den“-Liste!
Teresa HzW - 7. Jul, 18:44 - Rubrik Widerworte
Sternschnuppe
Ob sie jenen Texten standhält, die weiters kommen? Ich bezweifle es.
@Margit