Bachmannpreis 1.Tag - 4.Lesung
13.30 Uhr: Anna Maria Praßler (D, Jg 1983)
Eine Frau fliegt von Berlin nach Augsburg, jedoch nicht zum Grab ihres Freundes sondern um Barockkirchen zu bestaunen.
Das Andere
Endlich. Die erste Frau, die heute liest. Zieht damit endlich ein neuer Stil in Klagenfurt ein - jenseits von Fäkaliensprache und des Wiederkäuens von Lebensalltag?
Ihr Wesen stimmt mich bereits im Videoporträt positiv. Sie hat eine sehr angenehme Stimme, erinnert mich an eine Schweizerin, nein, sie ist Deutsche.
Sie nimmt als Erzählerin die Ich-Perspektive ein.
Schildert sie uns den Zugang einer Ich-Protagonistin zur Hochkultur? Der Bezug zur Antike, Brecht, in ihrem Text gleich zu Anfang:
In dem Jahr, als ich meine Dissertation abschloss, fiel es mir schwer, Tod anders als symbolisch zu begreifen. Die Römer warfen die Leichen derer, die sie zum Kampf im Kolosseum verurteilt hatten, in den Tiber; ihre Haltung mag pragmatisch gewesen sein, ich sah ein Sinnbild darin: Ein Mensch muss Rom durch ein Gewässer verlassen, das den Schmutz der schwül dünstenden Stadt aufsaugt und sich mit der Lauge der Cloaca Maxima vermengt. Um dies und kaum etwas sonst kreisten meine Gedanken in diesem Sommer, ich erlaubte es ihnen nicht abzuschweifen, weniger aus akademischem Eifer, vielmehr weil ich Angst vor dem hatte, wovor sie geflohen waren, nicht leichtfüßig und flirrend, wie man es Gedanken gern unterstellt, nein. Es war ein Akt der Anstrengung gewesen. Vor lauter Erschöpfung realisierte ich nicht, dass ich Seiten um Seiten allein damit füllte, zu erklären, wie der Leib des Schwerverbrechers, des Christen, des Sündenbocks öffentlich vernichtet, dann entsorgt, wie zum Zweck einer Selbstbestätigung und Selbsterhaltung das Andere beseitigt wird.
An Björn dachte ich nicht.
Stattdessen Brot und Spiele. Mit der These vom schönen Schein zur Ablenkung der Massen hakte sich der neue Stipendiat in die Kolloquiumsdiskussion ein, gerade als ich mich leise zum Gehen erhob. Meine Professorin nickte mir zu. Ein Todesfall, so hatte ich erklärt, im Süddeutschen. Der Ablenkungsthese gewann ich nichts ab, gerne wäre ich dageblieben, noch eine Stunde oder anderthalb, in der abgestandenen Luft des Seminarraums, doch um 16 Uhr 10 musste ich in Tempelhof eingecheckt haben.
Ein Todesfall im Süddeutschen traf es nur unscharf: Meine Wortwahl ließ an Menschen denken, die mich erwarteten, an gemeinsame Trauer und Rituale. Tatsächlich aber hatte die Beisetzung bereits stattgefunden, ohne dass ich davon in Kenntnis gesetzt worden war. Björn wollte es so, schrieb seine Mutter und ich wusste, dass sie nicht log.
Als ich aus dem Institut trat, fuhr der 183er gerade über die Kreuzung, an der Haltestelle vorbei. Das Stückchen Fußweg bis zum Rathaus Steglitz kam mir gerade recht, denn schon immer sortiere ich im Gehen meine Gedanken. Doch das Stolpern der Rollen brachte mich rasch aus dem Konzept.
Sie hat eine sehr bildhafte Sprache, das Cafe, das Seminar kann ich mir sehr gut vorstellen, das sie beschreibt, wie sie durch die Sicherheitskontrolle am Flughafen geht, selbst "den Bindestrich, der ein Leben zusammenhalten sollte", sehe ich vor mir.
Sie erzählt, nein beschreibt den Tod, den Tod einer Beziehung?
Aha, nach neun Minuten Lesung erfahre ich, er lebt in Berlin-Prenzlauer Berg, sie auch.
13:43 Uhr - nach zehn Minuten Lesung die Auflösung, dass er gestorben ist. Der Krebs zerfrass seinen Körper und nahm es ihr ab, sich von ihm zu trennen, was sie eigentlich vorhatte. So scheint es mir. Die erste Auflösung einer rätselhaft beginnenden Geschichte. Eine Erinnerung an einen ehemals Geliebten?
Der Text, die Erzählstimme hat etwas ruhig Dahinfließendes und stimmt einen an vielen Stellen nachdenklich, als wäre der Mensch so durchschaubar, so platt. Was bleibt von so einer Beziehung? Neun Worte?
"Setzen Sie sich. Mein Mann zahlt. Komm, gehen wir."
Ist es das, was übrig bleibt? Neun Worte, zwei Begegnungen, ein Zufall? Das war das Schöne, das blieb.….
Ihr Text scheint sich mit der Grundfrage auseinander zu setzen, was von einer Liebe zwischen zwei Menschen übrig bleibt, wenn einer von beiden stirbt.
Mir gefällt gegen Ende des Textes sehr gut der Bogen zurück zu Augustus, zur Antike, zu der die Autorin zu Beginn des Textes den Bogen spannt: Björn fragte nicht wie Augustus, ob er denn wohl die Komödie des Lebens anständig gespielt habe, sondern er bestimmte kurzerhand, dass dieses Schauspiel für die zweite Hauptfigur noch einen Epilog der Schuld bereithielte. Und er endete mit der Schlussformel: „Wenn aber nun sehr gut gespielt ist, dann klatschet Beifall. Freut euch des Lebens, denn es stimmt nicht, dass der Tod nur für die schlimm ist, die zurückbleiben. Ihr lebt weiter, schminkt euch wieder wie Anita Berber und habilitiert euch in Amsterdam, wohin ich dich einladen wollte, nur sechs Stunden mit dem Zug, aber der Aufsatz hatte am Montag fertig zu sein. Ich muss den Toten spielen, den Nicht-Mehr-Existierenden; ich bin nicht mehr. Ich bin nicht mehr und das kotzt mich an. Ich habe keinen Bock auf das, was da angeblich kommt, und auf Gar Nichts habe ich schon gar keinen Bock. Der Tod ist am schlimmsten für den, der stirbt, glaub mir.“ Daraufhin starb er.
Irgendwie gefällt mir dieser Text von Anna Maria Praßler über das Beziehungsleben einer grauen Wissenschaftsmaus. Ich halte ihn für geglückt. Die Beziehung ist die Binnengeschichte, der Tod des Freundes die äußere Handlung, die der Anlass für den Blick auf sich selbst und die Erinnerung an jene Beziehung, die schon vor dem Tod zu Ende war, ist.
14:15 Uhr - mein Fazit: Keinesfalls Daumen nach unten, aber nach oben, ich weiß nicht recht. Noch nicht. Ich will noch abwarten, was die nächste Autorin im Vergleich dazu bietet.
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Eine Frau fliegt von Berlin nach Augsburg, jedoch nicht zum Grab ihres Freundes sondern um Barockkirchen zu bestaunen.
Das Andere
Endlich. Die erste Frau, die heute liest. Zieht damit endlich ein neuer Stil in Klagenfurt ein - jenseits von Fäkaliensprache und des Wiederkäuens von Lebensalltag?
Ihr Wesen stimmt mich bereits im Videoporträt positiv. Sie hat eine sehr angenehme Stimme, erinnert mich an eine Schweizerin, nein, sie ist Deutsche.
Sie nimmt als Erzählerin die Ich-Perspektive ein.
Schildert sie uns den Zugang einer Ich-Protagonistin zur Hochkultur? Der Bezug zur Antike, Brecht, in ihrem Text gleich zu Anfang:
In dem Jahr, als ich meine Dissertation abschloss, fiel es mir schwer, Tod anders als symbolisch zu begreifen. Die Römer warfen die Leichen derer, die sie zum Kampf im Kolosseum verurteilt hatten, in den Tiber; ihre Haltung mag pragmatisch gewesen sein, ich sah ein Sinnbild darin: Ein Mensch muss Rom durch ein Gewässer verlassen, das den Schmutz der schwül dünstenden Stadt aufsaugt und sich mit der Lauge der Cloaca Maxima vermengt. Um dies und kaum etwas sonst kreisten meine Gedanken in diesem Sommer, ich erlaubte es ihnen nicht abzuschweifen, weniger aus akademischem Eifer, vielmehr weil ich Angst vor dem hatte, wovor sie geflohen waren, nicht leichtfüßig und flirrend, wie man es Gedanken gern unterstellt, nein. Es war ein Akt der Anstrengung gewesen. Vor lauter Erschöpfung realisierte ich nicht, dass ich Seiten um Seiten allein damit füllte, zu erklären, wie der Leib des Schwerverbrechers, des Christen, des Sündenbocks öffentlich vernichtet, dann entsorgt, wie zum Zweck einer Selbstbestätigung und Selbsterhaltung das Andere beseitigt wird.
An Björn dachte ich nicht.
Stattdessen Brot und Spiele. Mit der These vom schönen Schein zur Ablenkung der Massen hakte sich der neue Stipendiat in die Kolloquiumsdiskussion ein, gerade als ich mich leise zum Gehen erhob. Meine Professorin nickte mir zu. Ein Todesfall, so hatte ich erklärt, im Süddeutschen. Der Ablenkungsthese gewann ich nichts ab, gerne wäre ich dageblieben, noch eine Stunde oder anderthalb, in der abgestandenen Luft des Seminarraums, doch um 16 Uhr 10 musste ich in Tempelhof eingecheckt haben.
Ein Todesfall im Süddeutschen traf es nur unscharf: Meine Wortwahl ließ an Menschen denken, die mich erwarteten, an gemeinsame Trauer und Rituale. Tatsächlich aber hatte die Beisetzung bereits stattgefunden, ohne dass ich davon in Kenntnis gesetzt worden war. Björn wollte es so, schrieb seine Mutter und ich wusste, dass sie nicht log.
Als ich aus dem Institut trat, fuhr der 183er gerade über die Kreuzung, an der Haltestelle vorbei. Das Stückchen Fußweg bis zum Rathaus Steglitz kam mir gerade recht, denn schon immer sortiere ich im Gehen meine Gedanken. Doch das Stolpern der Rollen brachte mich rasch aus dem Konzept.
Sie hat eine sehr bildhafte Sprache, das Cafe, das Seminar kann ich mir sehr gut vorstellen, das sie beschreibt, wie sie durch die Sicherheitskontrolle am Flughafen geht, selbst "den Bindestrich, der ein Leben zusammenhalten sollte", sehe ich vor mir.
Sie erzählt, nein beschreibt den Tod, den Tod einer Beziehung?
Aha, nach neun Minuten Lesung erfahre ich, er lebt in Berlin-Prenzlauer Berg, sie auch.
13:43 Uhr - nach zehn Minuten Lesung die Auflösung, dass er gestorben ist. Der Krebs zerfrass seinen Körper und nahm es ihr ab, sich von ihm zu trennen, was sie eigentlich vorhatte. So scheint es mir. Die erste Auflösung einer rätselhaft beginnenden Geschichte. Eine Erinnerung an einen ehemals Geliebten?
Der Text, die Erzählstimme hat etwas ruhig Dahinfließendes und stimmt einen an vielen Stellen nachdenklich, als wäre der Mensch so durchschaubar, so platt. Was bleibt von so einer Beziehung? Neun Worte?
"Setzen Sie sich. Mein Mann zahlt. Komm, gehen wir."
Ist es das, was übrig bleibt? Neun Worte, zwei Begegnungen, ein Zufall? Das war das Schöne, das blieb.….
Ihr Text scheint sich mit der Grundfrage auseinander zu setzen, was von einer Liebe zwischen zwei Menschen übrig bleibt, wenn einer von beiden stirbt.
Mir gefällt gegen Ende des Textes sehr gut der Bogen zurück zu Augustus, zur Antike, zu der die Autorin zu Beginn des Textes den Bogen spannt: Björn fragte nicht wie Augustus, ob er denn wohl die Komödie des Lebens anständig gespielt habe, sondern er bestimmte kurzerhand, dass dieses Schauspiel für die zweite Hauptfigur noch einen Epilog der Schuld bereithielte. Und er endete mit der Schlussformel: „Wenn aber nun sehr gut gespielt ist, dann klatschet Beifall. Freut euch des Lebens, denn es stimmt nicht, dass der Tod nur für die schlimm ist, die zurückbleiben. Ihr lebt weiter, schminkt euch wieder wie Anita Berber und habilitiert euch in Amsterdam, wohin ich dich einladen wollte, nur sechs Stunden mit dem Zug, aber der Aufsatz hatte am Montag fertig zu sein. Ich muss den Toten spielen, den Nicht-Mehr-Existierenden; ich bin nicht mehr. Ich bin nicht mehr und das kotzt mich an. Ich habe keinen Bock auf das, was da angeblich kommt, und auf Gar Nichts habe ich schon gar keinen Bock. Der Tod ist am schlimmsten für den, der stirbt, glaub mir.“ Daraufhin starb er.
Irgendwie gefällt mir dieser Text von Anna Maria Praßler über das Beziehungsleben einer grauen Wissenschaftsmaus. Ich halte ihn für geglückt. Die Beziehung ist die Binnengeschichte, der Tod des Freundes die äußere Handlung, die der Anlass für den Blick auf sich selbst und die Erinnerung an jene Beziehung, die schon vor dem Tod zu Ende war, ist.
14:15 Uhr - mein Fazit: Keinesfalls Daumen nach unten, aber nach oben, ich weiß nicht recht. Noch nicht. Ich will noch abwarten, was die nächste Autorin im Vergleich dazu bietet.
Teresa HzW - 7. Jul, 19:40 - Rubrik Widerworte
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