Bachmannpreis 2.Tag - 4.Lesung
13:30 Uhr - Nina Bußmann, D, 1980
http://bachmannpreis.eu/de/texte/3332
Große Ferien
Nomen est omen?
Als ich den Titel der Geschichte höre, ist mir sofort nach „Große Ferien“.
Ist die Überschrift ein versteckter Hinweis auf eine Pennälergeschichte? Eine Seminaristen- eine Lehrer-Schülerinnen-Story?
Man sieht nicht, wie das Kraut wächst. Über Nacht ist es da. Auf Wiesen, Schuttfluren, Triften recken die Kriechpioniere ihre Ausläufer, meterlange, am Boden niederliegende Stängel. Sie wurzeln an den Knoten, sie fassen Fuß in jedem Winkel, der ihnen auch nur halbwegs zusagt. Ameisen tragen die Früchte fort. Durch die Schonung am Hang in die Siedlung hinein, in Hecken, Beete, Rollrasen, bis hinab in den nie besonnten Schacht vor dem Garagentor am unteren Ende der Auffahrtsrampe, in die Ritzen zwischen feuchten Steinen, wo die Regenkette neben dem Ablassgitter sich zum Nest verschlingt. Handtief langen die Wurzeln des Fingerkrauts in die Fugen zwischen den Pflasterplatten hinein. Einige wehren sich mit Gift gegen den unerwünschten Bewuchs, viele greifen zu Gasbrennern, armschlanken Apparaten, sie töten das Grün eilends ab, ohne dass man sich auch nur bücken muss. Das sieht schön aus, schön und vornehm. Auf Dauer wirksam ist es nicht.
Auch hier ein Einstieg mit Naturbeschreibung, mit symbolischen Bildern und Metaphern gespickt. Ob sie sich auflösen während des Textes? Folgt erneut ein schwieriger Text wie der vor der Mittagspause?
Nein, nach wenigen Zeilen herrscht Klarheit, bereits nach einer Leseminute: Derjenige, der hier das Unkraut aus der Hofeinfahrt puhlt, ist der Protagonist der Geschichte und Lehrer.
Aber wenn sich die Kollegen kurz vor Weihnachten und am Schuljahresende beim Griechen zum Trinken getroffen hatten, war Schramm immer mit dabei gewesen. Beim letzten Mal war er geblieben bis in die Morgenstunden, war wie alles um ihn her immer noch heiterer geworden, bis er die Dinge doppelt sah. Verlierst du denn niemals die Fassung, fragte die Referendarin und stützte ihren Kopf in die Hand, um ihn von unten her anzusehen.
Wie angenehm, denn Hand aufs Herz: weder nach einem schwierig gebauten Text noch nach einer Geschichte mit aktuellem oder vergangenem Kriegshintergrund steht mir jetzt zur Mittagsstunde der Sinn.
Der Text fließt ruhig dahin, ich höre zu, schalte zwischendurch ab, vielleicht weil Geschichten aus dem Schulumfeld mich von Natur aus nicht interessieren. Im Buchgeschäft hätte ich ein solches Buch nicht mal aus dem Regal gezogen, eine Amazon-Buchempfehlung mit dem Titel „Große Ferien“ sofort weggeklickt.
13:55 Uhr – Auch wenn der Text ruhig dahin fließt, sprachlich gut gebaut ist, er verharrt mir zu sehr in einer beschreibenden – von mir als passiv empfundenen Sprache.
Ich bin daher froh, als diese Lesung zu Ende ist. Das ist sicher auch der Tatsache geschuldet, dass am Vormittag in Folge drei interessante Texte zu hören waren und es nun für eine junge Autorin schwierig ist, noch dazu nach der Mittagspause, da anzuschließen.
Sie erhält jedoch gute Kritiken. Am treffendsten scheinen mir folgende zu sein:
Paul Jandl: „Ein Text, wo man satzweise, seitenweise zitieren könnte.“
Burkhard Spinnen: „Ein Text, der eine große Souveränität vorführt.“ Ein bisschen mute ihm der Text an „wie der Wissenschaftler im weißen Versuchskittel, der zeigt, was die Schüler, die Lehrer da unten tun, das Schuldach ist abgenommen und wir blicken ins Innere des Systems Schule.“
Hildegard E. Keller: „Die Autorin ist eine kleine Meisterin der Mikrowelten.“
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http://bachmannpreis.eu/de/texte/3332
Große Ferien
Nomen est omen?
Als ich den Titel der Geschichte höre, ist mir sofort nach „Große Ferien“.
Ist die Überschrift ein versteckter Hinweis auf eine Pennälergeschichte? Eine Seminaristen- eine Lehrer-Schülerinnen-Story?
Man sieht nicht, wie das Kraut wächst. Über Nacht ist es da. Auf Wiesen, Schuttfluren, Triften recken die Kriechpioniere ihre Ausläufer, meterlange, am Boden niederliegende Stängel. Sie wurzeln an den Knoten, sie fassen Fuß in jedem Winkel, der ihnen auch nur halbwegs zusagt. Ameisen tragen die Früchte fort. Durch die Schonung am Hang in die Siedlung hinein, in Hecken, Beete, Rollrasen, bis hinab in den nie besonnten Schacht vor dem Garagentor am unteren Ende der Auffahrtsrampe, in die Ritzen zwischen feuchten Steinen, wo die Regenkette neben dem Ablassgitter sich zum Nest verschlingt. Handtief langen die Wurzeln des Fingerkrauts in die Fugen zwischen den Pflasterplatten hinein. Einige wehren sich mit Gift gegen den unerwünschten Bewuchs, viele greifen zu Gasbrennern, armschlanken Apparaten, sie töten das Grün eilends ab, ohne dass man sich auch nur bücken muss. Das sieht schön aus, schön und vornehm. Auf Dauer wirksam ist es nicht.
Auch hier ein Einstieg mit Naturbeschreibung, mit symbolischen Bildern und Metaphern gespickt. Ob sie sich auflösen während des Textes? Folgt erneut ein schwieriger Text wie der vor der Mittagspause?
Nein, nach wenigen Zeilen herrscht Klarheit, bereits nach einer Leseminute: Derjenige, der hier das Unkraut aus der Hofeinfahrt puhlt, ist der Protagonist der Geschichte und Lehrer.
Aber wenn sich die Kollegen kurz vor Weihnachten und am Schuljahresende beim Griechen zum Trinken getroffen hatten, war Schramm immer mit dabei gewesen. Beim letzten Mal war er geblieben bis in die Morgenstunden, war wie alles um ihn her immer noch heiterer geworden, bis er die Dinge doppelt sah. Verlierst du denn niemals die Fassung, fragte die Referendarin und stützte ihren Kopf in die Hand, um ihn von unten her anzusehen.
Wie angenehm, denn Hand aufs Herz: weder nach einem schwierig gebauten Text noch nach einer Geschichte mit aktuellem oder vergangenem Kriegshintergrund steht mir jetzt zur Mittagsstunde der Sinn.
Der Text fließt ruhig dahin, ich höre zu, schalte zwischendurch ab, vielleicht weil Geschichten aus dem Schulumfeld mich von Natur aus nicht interessieren. Im Buchgeschäft hätte ich ein solches Buch nicht mal aus dem Regal gezogen, eine Amazon-Buchempfehlung mit dem Titel „Große Ferien“ sofort weggeklickt.
13:55 Uhr – Auch wenn der Text ruhig dahin fließt, sprachlich gut gebaut ist, er verharrt mir zu sehr in einer beschreibenden – von mir als passiv empfundenen Sprache.
Ich bin daher froh, als diese Lesung zu Ende ist. Das ist sicher auch der Tatsache geschuldet, dass am Vormittag in Folge drei interessante Texte zu hören waren und es nun für eine junge Autorin schwierig ist, noch dazu nach der Mittagspause, da anzuschließen.
Sie erhält jedoch gute Kritiken. Am treffendsten scheinen mir folgende zu sein:
Paul Jandl: „Ein Text, wo man satzweise, seitenweise zitieren könnte.“
Burkhard Spinnen: „Ein Text, der eine große Souveränität vorführt.“ Ein bisschen mute ihm der Text an „wie der Wissenschaftler im weißen Versuchskittel, der zeigt, was die Schüler, die Lehrer da unten tun, das Schuldach ist abgenommen und wir blicken ins Innere des Systems Schule.“
Hildegard E. Keller: „Die Autorin ist eine kleine Meisterin der Mikrowelten.“
Teresa HzW - 8. Jul, 20:43 - Rubrik Widerworte
Ernst sein ist alles
@Phorkyas