... w i [ e ] der [ W ] o r t e...[1]

Liebe Lotte,

heute bin ich in eine Umfrage hinein geraten. Ein junger Mann rief bei mir an, ich glaube, er war von einem dieser Befragungsinstitute. Erst habe ich nicht recht verstanden, was er von mir wollte. Er sprach so schnell. Ich dachte auch an die Worte der Kinder, die mir verboten haben, mit fremden Leuten am Telefon zu sprechen. Ich lass mir doch nicht den Mund verbieten. Wo denken die hin? Ich habe zwar jetzt ein künstliches Hüftgelenk. Aber im Kopf tickt alles noch richtig. Hörst Du, wir sind beide doch nicht verkalkt!

Jedenfalls wollte der junge Mann von mir wissen, was für mich die Innovation der letzten 20 Jahre gewesen sei. Erst wusste ich nicht recht, worauf er hinaus wollte? Es gab so viele wichtige Erfindungen in den letzten 100 Jahren: Die Glühbirne, den Otto-Motor, den Lippenstift – jetzt lachst Du sicher, meine liebe Lotte. Aber ich bewahre ihn immer noch auf: Den ersten Lippenstift, den Du mir damals schenktest. Vielleicht denkst Du jetzt: Der alte Narr!? Auch die Nylonstrümpfe, die kurz vor dem Krieg erfunden wurden. Ich erinnere mich noch gut daran, wenn Mutter sie sonntags trug. Ich wollte immer gern mit den Fingernägeln dran kratzen, durfte aber nie.

Es ging ihm, dem jungen Mann, jedoch um Innovation, nicht um Erfindungen. Er erklärte mir dann den Unterschied. Aber verlange nicht, dass ich Dir nun die Unterschiede aufschreibe. Jedenfalls dachte ich dann, dass eigentlich – für mich – für uns – für Dich doch auch, Lotte – das Internet die wichtigste Neuerung, so würde ich es am liebsten nennen, dieser Zeit ist!

Ohne diese Maschine könnte ich Dir nie schreiben; könnte ich nicht mit meinen Enkeln mailen, wüsste nicht, was unsere Altersgefährten in Engeland, Amerika oder in Übersee treiben. Stell Dir vor, wir hätten das nicht! Wie langweilig das wäre! Wir Alten, abgeschnitten von der Außenwelt. Nein, nein, Lotte, es ist gut so, dass sich das Leben immer weiter dreht und solange es Menschen gibt, die Gutes und Nützliches erdenken!