"Mag sein, es waren kreativ geschwängerte Luftschwaden, die mich benebelten und so in ihren Bann zogen"
Ihre literarischen "Luftschwaden" und Entdeckungen in den "Kruschtelkisten" gefallen mir, auch sprachlich. Im nordischen Hochdeutsch heißt das ja "Grabbeltisch", aber das klingt nach Billigklamotten.
Mit der "Digitalen Bibliothek"-Reihe auf CDROM hatte ich beruflich sehr viel zu tun. Ich habe das CDROM-Netzwerk einer großen Bibliothek zehn Jahre betreuen dürfen und deshalb schmunzele ich über die Ängste vor der Exe-Datei, kann sie aber gut verstehen. Die digitalen Ausgaben von Lexika, Bibliographien oder auch Werkausgaben wurden weder als Einzelplatzinstallationen noch im Netz mit gleichzeitig mehrfachem Zugriff allzu sehr genutzt. Eher etwas für Spezialisten. Lesen am Computer mag ich auch nicht, aber die Suchfunktionen der digitalen Werkausgaben sind wirklich nützlich. Mir fällt dazu gerade mal wieder Musil ein, den "Mann ohne Eigenschaften" nach einzelnen Wörtern durchsuchen zu können, ist hilfreich. Ansonsten habe ich mir die Kindle-PC-Version heruntergeladen und stöbere ganz gern mal in den kostenlosen Ausgaben deutscher Klassiker wie den Werken von Fontane oder E. T. A. Hoffmann. Gut lesbar sind sie zumindest mit dem Programm. Ich sehe das Digitale eher als Ergänzung zum Buch und eigentlich nicht in Konkurrenz dazu, aber der Markt will natürlich immer nur verkaufen.
Beckett und Peter Weiss kommen mir wie Fossilien einer anderen Zeit vor, die in eine postmoderne Beliebigkeit nicht mehr so richtig passen wollen. Beckett löste den Existenzialismus in grotesk bis komische Absurdität auf und der politische Anspruch einer Generation ´68 kommt mir leider auch so vor, als würde eine kulturbeflissene Schickeria von heute sich an politische Bewegungen von gestern erinnern, die sie aber selbst (und ich schließe mich damit ein) durch bürgerlichen Lebenswandel unterlaufen haben. In Deutschland gibt es keine wirklichen Proteste mehr (nur noch gegen Bahnhöfe, Regierungen fegt das nicht hinweg) und hier wird auch nie eine arabische Revolution stattfinden. Die verbale, mediale Schlacht der Talkshows führt sich selbst ad absurdum, womit wir wieder bei Beckett wären. Die Zeiten mit dem "Versuch das Endspiel zu verstehen" (Adorno) sind vorbei, selbst zur Nostalgie geworden.
So ergreifend und berechtigt damalige Politisierung gegen den Vietnamkrieg war, alles verschwindet im Abgrund Zeit.
Becketts Essay über Proust muss ich noch lesen, die digitale Klagenfurter Gesamtedition von Musil (zu teuer) möchte ich mir noch aus der Bibliothek besorgen. Ich schreibe sehr spontan und ins Unreine, aber ich wollte gern ein Lebenszeichen hinterlassen.
Ich verabschiede mich mit dem Schluss von "Un amour de Swann":
"les maisons, les routes, les avenues, sont fugitives, hélas, comme les années."
Ihr Lebenszeichen hier zu entdecken, welch Freude! Umso mehr, als ich wohl wieder einmal ins Schwarze gestoßen bin und ein „Werk“ aus dem „Grabbeltisch“ zog, das auch Ihrem kritischen Bücherblick standhält, lieber Dietmar. Mehr noch. Mein Herz machte einen Sprung, als ich las, dass Sie ein Insider dieser Digitalen Bibliotheks-Reihe sind. Da ist es schon vorprogrammiert, dass ich wieder einmal einen digitalen Band aus dieser Reihe wählen werde. Obwohl ich heute natürlich noch nicht weiß, wohin mein Lese- und Recherche-Interesse mich führen wird ;-)
Besonders angetan haben es mir Ihre Bemerkungen zu „Beckett und Peter Weiss“, die Ihnen „wie Fossilien einer anderen Zeit vor[kommen], die in eine postmoderne Beliebigkeit nicht mehr so richtig passen wollen.“
Unwillkürlich schrak mir beim Lesen dieser Ihrer Textpassage durch den Kopf: „Bin ich nun auch ein Fossil?“ Da ich mich mit „fossilen“ Literaten beschäftige?
„Aber nein“, beruhigte mich meine Alter Ego-Stimme mit einem Argument von Sloterdijk: Der große deutsche Philosoph reflektierte jüngst in einer Talkshow darüber, dass nun die ehemals surrealen Theorien Wirklichkeit zu werden beginnen.
Ihre Feststellung über die „kulturbeflissene Schickeria“ kann ich daher recht gut nachvollziehen. Mehr noch: Ich erlebe sie tagtäglich, da in BW ja nun Vertreter derselben in Regierungsfunktionen sind und uns, das Volk, jeden Tag mit neuen absurden Haltungen überraschen. Die Überraschung besteht darin, dass Dinge, die man bisher für absurd hielt, nun Wirklichkeit zu werden beginnen, dadurch dass absurde und den Steuerbürger viel Geld kostendes Regierungshandeln ins reale Leben übersetzt wird. Hoffentlich habe ich das nun nicht zu absurd formuliert…
Vermutlich verschwindet alles, v.a. "Politisierungen", nur deshalb im "Abgrund der Zeit", weil es heute im Gegensatz zu früher keine Generationsübergänge mehr gibt.
Heute löst abrupt ein Junger einen Alten ab. Früher – also bis vor zehn Jahren etwa, würde ich sagen - ging eine Aufgabe meist auf einen in der Generation Nachfolgenden über, der oft sogar ein Ziehsohn [Ziehtöchter gab es ja kaum] eines Älteren war. Dadurch wurde Kontinuität und Know-how-Transfer sicher gestellt. Vor allem Informationen über heikle Situationen. Heute wird abgelöst. Meist von einer Sekunde auf die andere. Und im politischen Geschäft immer häufiger hingeschmissen. Prominente Beispiele gibt es ja genug. Dadurch geht das Gespür für kritische Situationen oder die Lehren, die Betroffene aus weniger guten Erfahrungen gezogen haben, verloren. Es gibt keine Zeit mehr, Leute einzuführen, einzuweisen, wichtige Dinge zu vermitteln, mit auf den Weg zu geben. Vor allem im politischen Geschäft. Das macht dieses „hopp“ und „ex“ zunichte.
Insofern nimmt es mir manchmal sogar beängstigende Ausmaße an, wenn ich sehe, wieviel Erfahrung und Know-how in diesen zeitlichen Abgründen des schnellen Vergessens, Nicht mehr Erinnerns verschwinden.
Erschreckend, wie wenig oft die sog. Nachfolger über die jüngere Geschichte wissen, geschweige denn über das, was vor fünfzig, sechzig Jahren war.
Und wie heißt es auf der drittletzten Seite bei dem von Ihnen zitierten Roman: „Denn aus unvollständigen und wechselnden Bildern zog der schlummernde Swann falsche Folgerungen, wobei er zudem im Augenblick eine so starke Schöpferkraft besaß, daß er sich einfach wie gewisse niedere Organismen durch Teilung vermehren konnte“ [ein passendes Abschlußzitat zu meinen Ausführungen von den unwissenden, unerfahrenen Nachfolgern… finden Sie nicht ;-) Jedenfalls gefiel mir das von Ihnen gewählte französische Zitat zu Ihrem Gedankengang sehr gut!]
Daher danke ich Ihnen sehr für Ihr spontanes Lebenszeichen, das ich gar nicht als so „spontan und ins Unreine geschrieben“ empfand. Zumal ich sonst nicht zu diesen Ausführungen gekommen wäre.
Ein ebenso herzlicher Gruß zu Ihnen hinüber
Teresa
Wi[e]der[W]orte [2]
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Ihre literarischen "Luftschwaden" und Entdeckungen in den "Kruschtelkisten" gefallen mir, auch sprachlich. Im nordischen Hochdeutsch heißt das ja "Grabbeltisch", aber das klingt nach Billigklamotten.
Mit der "Digitalen Bibliothek"-Reihe auf CDROM hatte ich beruflich sehr viel zu tun. Ich habe das CDROM-Netzwerk einer großen Bibliothek zehn Jahre betreuen dürfen und deshalb schmunzele ich über die Ängste vor der Exe-Datei, kann sie aber gut verstehen. Die digitalen Ausgaben von Lexika, Bibliographien oder auch Werkausgaben wurden weder als Einzelplatzinstallationen noch im Netz mit gleichzeitig mehrfachem Zugriff allzu sehr genutzt. Eher etwas für Spezialisten. Lesen am Computer mag ich auch nicht, aber die Suchfunktionen der digitalen Werkausgaben sind wirklich nützlich. Mir fällt dazu gerade mal wieder Musil ein, den "Mann ohne Eigenschaften" nach einzelnen Wörtern durchsuchen zu können, ist hilfreich. Ansonsten habe ich mir die Kindle-PC-Version heruntergeladen und stöbere ganz gern mal in den kostenlosen Ausgaben deutscher Klassiker wie den Werken von Fontane oder E. T. A. Hoffmann. Gut lesbar sind sie zumindest mit dem Programm. Ich sehe das Digitale eher als Ergänzung zum Buch und eigentlich nicht in Konkurrenz dazu, aber der Markt will natürlich immer nur verkaufen.
Beckett und Peter Weiss kommen mir wie Fossilien einer anderen Zeit vor, die in eine postmoderne Beliebigkeit nicht mehr so richtig passen wollen. Beckett löste den Existenzialismus in grotesk bis komische Absurdität auf und der politische Anspruch einer Generation ´68 kommt mir leider auch so vor, als würde eine kulturbeflissene Schickeria von heute sich an politische Bewegungen von gestern erinnern, die sie aber selbst (und ich schließe mich damit ein) durch bürgerlichen Lebenswandel unterlaufen haben. In Deutschland gibt es keine wirklichen Proteste mehr (nur noch gegen Bahnhöfe, Regierungen fegt das nicht hinweg) und hier wird auch nie eine arabische Revolution stattfinden. Die verbale, mediale Schlacht der Talkshows führt sich selbst ad absurdum, womit wir wieder bei Beckett wären. Die Zeiten mit dem "Versuch das Endspiel zu verstehen" (Adorno) sind vorbei, selbst zur Nostalgie geworden.
So ergreifend und berechtigt damalige Politisierung gegen den Vietnamkrieg war, alles verschwindet im Abgrund Zeit.
Becketts Essay über Proust muss ich noch lesen, die digitale Klagenfurter Gesamtedition von Musil (zu teuer) möchte ich mir noch aus der Bibliothek besorgen. Ich schreibe sehr spontan und ins Unreine, aber ich wollte gern ein Lebenszeichen hinterlassen.
Ich verabschiede mich mit dem Schluss von "Un amour de Swann":
"les maisons, les routes, les avenues, sont fugitives, hélas, comme les années."
Ich grüße Sie herzlich
Dietmar
@Bücherblogger
Besonders angetan haben es mir Ihre Bemerkungen zu „Beckett und Peter Weiss“, die Ihnen „wie Fossilien einer anderen Zeit vor[kommen], die in eine postmoderne Beliebigkeit nicht mehr so richtig passen wollen.“
Unwillkürlich schrak mir beim Lesen dieser Ihrer Textpassage durch den Kopf: „Bin ich nun auch ein Fossil?“ Da ich mich mit „fossilen“ Literaten beschäftige?
„Aber nein“, beruhigte mich meine Alter Ego-Stimme mit einem Argument von Sloterdijk: Der große deutsche Philosoph reflektierte jüngst in einer Talkshow darüber, dass nun die ehemals surrealen Theorien Wirklichkeit zu werden beginnen.
Ihre Feststellung über die „kulturbeflissene Schickeria“ kann ich daher recht gut nachvollziehen. Mehr noch: Ich erlebe sie tagtäglich, da in BW ja nun Vertreter derselben in Regierungsfunktionen sind und uns, das Volk, jeden Tag mit neuen absurden Haltungen überraschen. Die Überraschung besteht darin, dass Dinge, die man bisher für absurd hielt, nun Wirklichkeit zu werden beginnen, dadurch dass absurde und den Steuerbürger viel Geld kostendes Regierungshandeln ins reale Leben übersetzt wird. Hoffentlich habe ich das nun nicht zu absurd formuliert…
Vermutlich verschwindet alles, v.a. "Politisierungen", nur deshalb im "Abgrund der Zeit", weil es heute im Gegensatz zu früher keine Generationsübergänge mehr gibt.
Heute löst abrupt ein Junger einen Alten ab. Früher – also bis vor zehn Jahren etwa, würde ich sagen - ging eine Aufgabe meist auf einen in der Generation Nachfolgenden über, der oft sogar ein Ziehsohn [Ziehtöchter gab es ja kaum] eines Älteren war. Dadurch wurde Kontinuität und Know-how-Transfer sicher gestellt. Vor allem Informationen über heikle Situationen. Heute wird abgelöst. Meist von einer Sekunde auf die andere. Und im politischen Geschäft immer häufiger hingeschmissen. Prominente Beispiele gibt es ja genug. Dadurch geht das Gespür für kritische Situationen oder die Lehren, die Betroffene aus weniger guten Erfahrungen gezogen haben, verloren. Es gibt keine Zeit mehr, Leute einzuführen, einzuweisen, wichtige Dinge zu vermitteln, mit auf den Weg zu geben. Vor allem im politischen Geschäft. Das macht dieses „hopp“ und „ex“ zunichte.
Insofern nimmt es mir manchmal sogar beängstigende Ausmaße an, wenn ich sehe, wieviel Erfahrung und Know-how in diesen zeitlichen Abgründen des schnellen Vergessens, Nicht mehr Erinnerns verschwinden.
Erschreckend, wie wenig oft die sog. Nachfolger über die jüngere Geschichte wissen, geschweige denn über das, was vor fünfzig, sechzig Jahren war.
Und wie heißt es auf der drittletzten Seite bei dem von Ihnen zitierten Roman: „Denn aus unvollständigen und wechselnden Bildern zog der schlummernde Swann falsche Folgerungen, wobei er zudem im Augenblick eine so starke Schöpferkraft besaß, daß er sich einfach wie gewisse niedere Organismen durch Teilung vermehren konnte“ [ein passendes Abschlußzitat zu meinen Ausführungen von den unwissenden, unerfahrenen Nachfolgern… finden Sie nicht ;-) Jedenfalls gefiel mir das von Ihnen gewählte französische Zitat zu Ihrem Gedankengang sehr gut!]
Daher danke ich Ihnen sehr für Ihr spontanes Lebenszeichen, das ich gar nicht als so „spontan und ins Unreine geschrieben“ empfand. Zumal ich sonst nicht zu diesen Ausführungen gekommen wäre.
Ein ebenso herzlicher Gruß zu Ihnen hinüber
Teresa