Tagwerk4 - Wie grüne Landespolitik eine EHEC-Infektion verhinderte

Die letzten Tage ging es mir nicht gut. Es grummelte in mir. Gewaltig. Erst auf der linken Seite. Dann auf der rechten. Dazu gesellte sich erhöhte Temperatur. Schließlich blieb mir nichts anderes übrig, als das Bett zu hüten. So hatte ich mir das am Montag zu Wochenbeginn nicht vorgestellt. Mein gesamter Arbeitsplan im Weinberg geriet damit durcheinander. Mein Speiseplan auch. Der Weg zum Wochenmarkt entfiel, weil ich mich kaum auf den Beinen halten konnte. Nur das Nötigste erledigte ich daher, darunter auch ein paar Einkäufe im Supermarkt: Salat, Tomaten, Zwiebeln, Rhabarber und Bananen wanderten in meinen Einkaufswagen. Irgendwie überkam mich da im Supermarkt, in der Gemüseabteilung, ein ungeheurer Heißhunger auf etwas Frisches. Daher steckte ich auch noch Erdbeeren, Heidelbeeren und eine Gurke in den Wagen. Zuhause verarbeitete ich alles. Bis auf das Obst und die Gurke. Letztere vergaß ich in meinem Fieberzustand, der immer wieder von rumorenden Geräuschen unterbrochen.
Allerdings beim Abendessen fiel das Alter Egon und Mich auf.
"Warum hast Du keine Gurken rein geschnitten?", fragten beide wie aus einem Munde.
"Ach – ganz vergessen!", seufzte ich.
"Du solltest Dich besser schonen", meinte Alter Egon. Gesagt-getan.
Die beiden folgenden Tage schonte ich mich.

Heute Mittag war mir wieder nach etwas Frischem. Im Kühlschrank lagen noch Eisbergsalat, Tomaten, Karotten und die Gurke. Also einen bunten Salat und dazu… "Hmm - vielleicht Tsatziki?", überlegte ich vor mich hin. Wie üblich, wenn Arbeit ansteht, schalte ich den Fernseher ein. Jawoll, ich "höre" gern TV. Ja, liebe Leserinnen und liebe Leser, Sie haben schon richtig gelesen, ich "glotz` nicht TV", sondern ich "höre TV". In meiner Küche befindet sich in U-Form ein um Spüle, Herd und Anrichte laufendes Sideboard, auf dem Kräuter, Gewürze, Öle und alles Mögliche steht, was jemand der kocht, gern schnell zur Hand hat. Im rechten Winkel zum Herd, also genau zwischen Herd und Spüle steht auf diesem Sideboard ein klitzekleines Fernsehgerät. Fünfzehn mal fünfzehn Zentimeter groß. Immerhin kriege ich damit alle öffentlich-rechtlichen Sender inklusive Phönix, ARTE und DreiSAT herein. Das genügt. Wenn ich koche, spüle, oder sonst wie dort herum hantiere, läuft meist TV, am liebsten ARTE oder DreiSAT oder der Ereignissender. So erledigt sich die lästige Hausarbeit quasi im Handumdrehen und ich tue noch etwas für meinen Geist oder die Bildung. Oder für die Zerstreuung, wenn ich mich von lästigen Nachdenk-Fragen ablenken möchte.

Heute lief dort die Regierungsaussprache über die erste Regierungsrede unseres neuen, grünen Ministerpräsidenten. Das konnte ich mir doch nicht entgehen lassen. Außerdem lenkte mich das vom Grummeln in meinem Körperinneren [sagt man das? Kann man das so sagen?] ab. Beziehungsweise es grummelte oft genau an der richtigen Stelle der Regierungsaussprache, wenn mir auch zum [öffentlich-rechtlich-]lauten Grummeln gewesen wäre. Wäre Alter Egon da gewesen, hätten wir uns ob der Regierungsaussprache sicher gehakelt, weil er verständlicherweise eine andere [gesellschaftspolitische] Meinung hat wie ich. Und das ist auch gut so.

Doch Alter Egon war nicht da. So grummelte ich im wahrsten Sinne des Wortes allein vor mich hin, fand es ungerecht, dass der grüne "MP" behauptete, "die Kasse" stimme nicht, also der Landeshaushalt. Die Vorgängerregierung habe Miese, also eine Deckungslücke, in Höhe von drei Milliarden Euro, jährlich, hinterlassen. Soll hier etwa der alte Finanzminister, der nun der neue Landtagspräsident ist, madig gemacht werden, damit man ihn demnächst, wenn herauskommen sollte, dass er doch beim EnBW-Deal seine Finger mit im Spiel hatte, leichter abservieren kann?
Umgekehrt fand ich die Attacken, die der Oppositionsführer, also der Fraktionsvorsitzende der Konservativen, ritt lediglich polemisch. Es fehlten ganz und gar die sachlichen Argumente.
Ferner kann ich nicht finden, dass die achtzig minütige Regierungserklärung des neuen "MP" substanzlos war. Also gewiss nicht!
Einen guten Konter lieferte jedoch der Oppositionsführer, das muss man ihm zugestehen, als er den "MP" zurecht [darauf hin]wies, dass auch die früheren Landesregierungen, "gleich in welcher Zusammensetzung" stets aus einer Bürgergesellschaft hervorgegangen seien, weil ihre Mitglieder von den Bürgern des Landes gewählt…
Das gefiel mir!

Jedoch gefiel mir an der ganzen Debatte nicht, dass in diese Debatte um die Verwirklichung einer Bürgergesellschaft augenblicklich ein falscher Zungenschlag gerät, als in der Regierungserklärung einerseits und der Aussprache dazu andererseits heute davon die Rede war, dass [sinngemäß] die Landesregierung alles daran setze, dass „Baden-Württemberg in eine Bürgergesellschaft umgewandelt“ werde und man sich als "Bürgerregierung" verstehe.
Das klingt, als ob es hier im Ländle bisher keine Gesellschaft von Bürgern und auch keine von Bürgern gewählte Regierung gegeben habe.

Auch gefällt mir nicht, dass die Diskussion zwischen Regierungsbank auf der einen und Oppositionsbank auf der anderen, dahin driftet, die unterschiedlichen Bürgergruppen, die es im Ländle seit eh und je gibt, gegeneinander auszuspielen: Und zwar die in Vereinen und Verbänden organisierten Bürger gegen diejenigen, die sich nirgendwo organisieren rsp. gegen diejenigen, die gerne als Wutbürger oder Protestbürger bezeichnet werden, weil sie gegen Stuttgart 21 oder gegen die Atomkraftwerke oder gegen die Castortransporte demonstrieren.

Es ist nicht gut, liebe Leserinnen und liebe Leser, wenn gleich ob es vom neuen "MP" und seiner Regierungsbank oder von der Opposition kommt, nun die Menschen in Baden-Württemberg gegeneinander ausgespielt und in zwei, drei oder noch mehr Lager eingeteilt werden. Das ist nicht gut! Das kommt auch nicht gut an!

Ich möchte weder von einem Regierenden noch von einem Oppositionellen in eine bestimmte Schublade gesteckt werden. Am Ende von den einen, den Regierenden, gar versehen mit dem Etikett "gesellschaftsfähiger Bürger", weil protestierend, lärmend, auf die Straße gehend. V
on den anderen, den Oppositionellen, als "guter Bürger" etikettiert, weil "einem Verein oder einem Verband" als "ordentliches Mitglied" [dieser badisch-allemannisch-schwäbisch-fränkisch-hohenlohisch-allgäuisch-bayerischen Gesellschaft] angehörend. Da halte ich es – wie jüngst hier auf Wi[e]der[W]Orte beschrieben wie Max Frisch – mit dem Bibelgebot des "Bilderverbotes". Daran sollten beide Gruppen – die Regierenden wie auch die Opposition – sich erinnern, v.a. der "MP", der seines Zeichens, ja selbst bekennender Katholik: "Du sollst Dir kein Bildnis machen" heißt es dort und ich möchte hinzufügen: "von guten und schlechten, organisierten und nicht-organisierten Bürgern dieses Landes."
Insofern frage ich mich manchmal, was das eigentlich soll, dass nun eine von den Steuergeldern der Bürger dieses Landes bezahlte "Staatsrätin für Zivilgesellschaft" nebst Mitarbeiterstab installiert ist bzw. wird. In anderen Ländern und Regionen Europas muss das den Menschen seltsam vorkommen. Haben wir eigentlich keine anderen Probleme, frage ich mich!?

Jedenfalls geriet ich über diese Regierungsaussprache, die der SWR live im Fernsehen übertrug, dermaßen ins Grummeln, dass ich beim Hantieren mit dem Gemüse, die Gurke völlig vergaß. Als Alter Egon und die anderen aus dem Weinberg heimgekommen, zu Tisch saßen und ich den Salat auftrug, fragten er und Mich wieder wie aus einem Munde: "Warum hast Du keine Gurken rein geschnitten?"
"Ach – ganz vergessen!" seufzte ich erneut.
"Das wird langsam bedenklich", murmelte Alter Egon.
Just da schaltete Mich das Radio ein:
"Durchbruch bei der Suche nach dem Überträger des Ehec-Keims: Das Hamburger Hygiene-Institut hat Salatgurken aus Spanien als Träger der gefährlichen Erreger identifiziert. Bei drei Proben, darunter einer Bio-Gurke…"
"Ach", riefen nun alle, die da am Mittagstisch saßen, aus einem Munde, kreidebleich: "Wie gut, dass Du die Gurke vergessen!"
Sofort sauste ich in die Küche, riss die Kühlschranktür auf, fingerte die noch in Folie eingeschweisste Salatgurke heraus, drehte sie hastig zum Etikett herum: Auf der Suche nach dem EHEC-Durchfallkeim wurden die Lebensmittel-Detektive am Hamburger Großmarkt fündig. Dort lagerten jene Import-Gurken eines spanischen Landhandels, auf denen wenig später die Bakterien entdeckt wurden, die seit dem Wochenende Verbraucher, Mediziner, Gemüsebauern und Politik in Atem halten: HUSEC 41, Sequenztyp 678, ein gegen Antibiotika weitgehend resistentes EHEC-Bakterium.

"Oh Graus!"
Sind wir nun hysterisch?
Oder nicht?
Oder doch?
1588 mal gelesen
Sani (Gast) - 26. Mai, 22:35

...wenn sie sich hinterher bloß gut die hände gewaschen haben...^l^
_

Teresa HzW - 27. Mai, 15:49

@Sani

...und nicht nur das, die Gurke wurde entsorgt ;-)
LaWi (Gast) - 26. Mai, 23:00

"An die Franzosen verkaufen wir alles, was schmeckt. An die Engländer verkaufen wir alles, was absolut rückstandsfrei ist. An die Deutschen verkaufen wir, was wir billig produzieren können."
Das sagte ein spanischer Bauer in einem Interview, lange vor dem EHEC-Ausbruch.

Teresa HzW - 27. Mai, 15:52

@LAWI

In diesem Zitat steckt viel Wahres drin. Bleibt abzuwarten, ob wirklich die spanischen Gemüsebauern ursächlich sind oder nicht doch etwas anderes oder gar eine Verkettung mehrerer unglücklicher Umstände!?

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