Das Kürbiscremesüppchen

Da hat mir doch ein besonders mir ans Herz gewachsener Leser und Kommentator hier auf den Wiederworten zum Fest "viel Freude und Harmonie" gewünscht. [und wenn Sie noch so neugierig sind, liebe Leser, ich verlinke dahin dieses eine Mal nun nicht ;-)] JEDOCH: Mit der Harmonie ist das immer so eine Sache. Sie besteht in dem einen Augenblick und wird im nächsten zunichte gemacht.

Davon will nun diese Geschichte, die ich Ihnen heute in die Wiederworte hinein schreibe, erzählen. Mit einem Augenzwinkern, wie Sie sich, vor allem jene, die mich mittlerweile gut kennen, denken können.

Jeder von Ihnen, liebe Leserinnen und liebe Leser, der schon einmal selbst eine Kürbiscremesuppe hergestellt hat, weiß, was das für eine Schweinearbeit ist, bis der Kürbis ausgehölt, gekocht, passiert und das Cremesüppchen so lange gerührt und fein abgeschmeckt, dass es wie Sahne am Gaumen schmeckt und wie Öl die Kehle hinab rinnt. Nur bis es soweit, ist einiges von Nöten.

Jedenfalls schickte sich ein junger, enthusiastischer Hobbykoch an, seine Lieben mit einem solch cremigen Süppchen zu Weihnachten beglücken zu wollen. Mit einem halben Dutzend Melonen großer Hokkaidos rückte er an, die er bereits im goldenen Herbst beim Gemüsebauern erstand und seitdem dunkel und luftig im Keller lagerte.

Zwei Stunden lang steht er sodann in der heimischen Küche, zu der er allen Hausinsassen ein Zutrittsverbot unter Androhung aller erdenkbaren Übel erteilt. Er schneidet und hackt, schält und bohrt, kratzt und schabt, was die alten Messer und Löffel, die ihm zur Verfügung gestellt, hergeben, bis endlich so viel Masse beisammen, mit Kürbiskerne und ohne Kürbiskerne, dass es für die Suppengrundlage für ein Dezehnt Mensch ausreichen möge.

Der Einfachheit halber trennt er die Masse nicht, sondern gibt alles zusammen in einen Topf mit entsprechender Wassermenge. Was er sonst noch in der Küche mit den Zutaten treibt, wieviel er von welchem Gewürz hinein gibt, entzieht sich der Kenntnis des leidenschaftlichen Topfguckers. Zum einen, weil die Küche bereits nach einer halben Stunde einem Schlachtfeld gleicht. Zum anderen, weil die interessierten und mit vorgerücktem Uhrzeiger immer hungriger werdenden Mäuler, kaum dass sie selbigen in den Türspalt geschoben und mit spitzen Lippen zu einer Frage oder einem Ausruf geformt, mit scharfen Worten von außen hinten oben einer anderen im Flur stehenden Person zurückgepfiffen oder mit einer freien Hand des jugendlichen Chefkochs aus der Küche wieder hinausgeschoben werden, kaum noch, dass sie ihren einen Fuß in das Allerheiligste hatten schieben können.

Ein Absperren der Küchentür war dem angehenden Kürbisgourmetkoch indes nicht möglich, da die Herrin des Hauses wohlweislich schon vor Jahren nach einer eintägigen Säuberungsaktion, die nach einer ähnlichen Kochschlacht vonnöten war, den Schlüssel der Küche entsorgt hatte, um fortan ein Schlachtfeld ähnlichen Ausmaßes verhindern und frühzeitig eingreifen zu können.

Solches Eingreifen, war ihr Eindruck, machte die Zubereitung der königlichen Weihnachtssuppe nicht erforderlich, obwohl sie ein gewisses Bauchgrimmen nicht verleugnen konnte, angesichts des jungköchlichen Vermengens von köstlichem Fruchtfleisch mit der Kürbiskernmansche, die en bloc in den Wassertopf gegeben ward`.

Nun denn, sie wollte jedoch auch nicht in das Geschehen des jugendlichen Kocheifers eingreifen und beschloss zu helfen, indem sie dem angehenden Kürbiscremesuppen-Sternekoch den Rücken frei und die Schar der hungrigen Mäuler zurückhielt, selbige stattdessen mit anderen den Koch unterstützenden Aufgaben wie das Herrichten des Esstisches, Auswahl der Getränke, Auftragen des guten Festtagsgeschirrs und dem Nachputzen der Silberlöffel beschäftigte.

Drei Stunden später, in denen sie ihre Küche schon nicht mehr wieder erkannte, nicht wegen der bereits vom Türrahmen aus die Sicht versperrenden, weil unüberwindbaren Berge von Schüsselchen, Brettchen, Töpfen und Pfannen, die sich allüberall stapelten, sondern auch wegen des Dampfes der sich in ihr entwickelte, da der junge Herr Koch die Dunstabzugshaube über seinem auf Hochtouren laufenden Ofen vergaß, einzuschalten und die Kochschwaden schon längst begonnen hatten, sich allüberall durch die Ritzen und Fugen des Hauses in allen Zimmern auszubreiten. Was die Schar der Gäste einerseits noch neugieriger und ungeduldiger, weil hungrig, und damit gereizter werden ließ. Und zum anderen auch die Stirn der Herrin des Hauses in Falten legen ließ, da sie Küchengerüche in anderen Räumen, als dem ihm zugewiesenen und angestammten Platze hasst.

Es gelang ihr jedoch den in ihr aufkeimenden Zorn ob der anstehenden Stoßlüftungsarie zu unterdrücken, da der junge Mann just in dem Augenblick, als sie den Griff zur Küchentür herunterdrücken wollte, um zu einer Schimpftirade mit Anweisung, die Dunstabzugshaube endlich einzuschalten, selbige vor ihr aufriss und in den Flur hinausschrie, so dass es durchs gesamte Haus schallte:
„Essen ist fertig. In fünf Minuten!“

Allüberall hallte das „Ahhh“ und „Ohhh“ und „endlich“ aus den Ecken und Winkeln des Hauses, eilfertig schlurfte, hüpfte und rannte die Schar hungriger Mäuler herbei und ein jeder versuchte einen besseren Platz an einer der beiden Seiten des langen Holztisches zu ergattern, möglichst nah an der Mitte der Tafel, wo die große Suppenschüssel mit dem dampfenden Mahl aufgetragen.
Optisch hatte sich der junge Herr Koch bereits selbst übertroffen: Die Farbe der Suppe glänzte in den tiefen Porzellantellern in einem satten Orangeton wie es des Sommers nur ein Campari Orange vermag.

„Ob er wohl Safran verwendet hat“, fragte die Herrin des Hauses sich insgeheim, im Stillen, für sich, während bereits mancher Gast die erste schokoladenbraune Straße des wertvollen, teuren Kürbiskernöls aus der Waldheimat über die orangefarbene Fläche legte. Wohingegen manche Gästin etwas vorsichtiger das braune Gold darüber träufelte. Andere wiederum einige geröstete Semmelbröckchen oder ein Teelöffelchen Petersilie darüber streuten oder bereits zum Brotkorb und hinein und nach einem selbst gebackenen, noch ofenwarmen Dinkelbrötchen griffen.

Noch bevor ein Gast den Löffel zum Munde führen konnte, ergriff jedoch das älteste Familienoberhaupt das Glas mit dem feinwürzigen Kerner, hob es leicht an, blickte von seinem Vorsitz an der oberen Kante des Tisches in die Runde und sprach zunächst einen friedvollen sowie feierlichen Festgruß aus, um sodann dem Koch für die Mühe und den Einsatz im Sinne und Geiste der Familie und der Ritterinnen und Ritter der Tafelrunde zu danken.

„Skol!“
Man hob allseits die Gläser an, stieß leicht mit seinem Gegenüber, seinem Nebensitzer, seinem Verquer schräg gegenüber Sitzenden an, vorderrücks, auch hinterrücks, um Tante Anne auch ja nicht zu vergess… Ein fröhliches Klingen der Gläser hob an, welches das Herz der Herrin des Hauses wiederum erfreute, da sie in all die fröhlichen Gesichter blickte, selbst in das der ihr vis-a-vis sitzenden Schwiegermama, welche vor einem Jahr auf einem zwölfteiligen Kristallgläserpräsent zu Weihnachten die Herrin des Hauses im wahrsten Sinne des Wortes nicht nur positiv überraschte, meinend, dass es nun an der Zeit sei, dies alte Familienglas weiter zu vererben, um sich an der Freude der Kinder und Kindeskinder noch zu Lebzeiten ergötzen zu können. Da sie später nach ihrem Ableben, mit welchem sie eigentlich ständig rechne, das ihr demnächst alsbald nun aber gewiss sicher sei, nichts mehr davon habe.

Nachdem nun dies Ritual des Hoch-die-Gläser-Klingens und auch ein allseitiges Lob ob des guten Weines niedergegangen und damit endlich auch abgehakt, die ersten ihre Silberlöffel in die Suppe, die ob ihrer Farbe im kristalllüsternen Kerzenschein wie eine untergehende Sonne wirkend, eingetaucht und zum Munde geführt hatten, da breitete sich wie eine große weiche flaumige Decke eine Stille über die Schar der gebeugt über ihren Suppentellern Löffelnden aus, von der kein äußerer Beobachter, hätte er sie zu beurteilen gehabt, ein eindeutiges Urteil zu fällen in der Lage gewesen. Bis in die Stille hinein, nach zwei oder drei oder auch vier oder fünf Momenten des Löffelns, eine ältere sonore Stimme der festlichen würdevollen Schweigetafel ein jähes Ende bereitete, als sie sprach:
„Dui Supp` vo Deirara Muaddr schmeckt mr oms varräcka bessr!“

Damit war dem Weihnachtsfrieden ein jähes Ende gesetzt… wie Sie, mir geneigte Leserin, mir gewogener Leser, sich denken können…

So viel nun zu jener besinnlichen Harmonie, wie wir sie uns alljährlich zu dieser Familienzeit wünschen und wie sie so schwer zu bekommen, weil herzustellen und dann zu erhalten ist.

Es gäbe noch so manches Harmonie störende Ereignis[le] zu erzählen, zu berichten. Doch was soll`s, liebe Leserinnen und Leser. Es ist wieder einmal geschafft. Ü b e r standen! Der Weihnachtsfriede so oder so gewahrt, zumindest zuguterletzt wiederhergestellt. Bis Ostern ist dann längst das Grasmäntelchen über das ein oder andere gewachsen und bis in einem Jahr sowieso alles vergessen… bis es erneut heißt: „Fröhliche….Frohe… Friedvolle….“
2344 mal gelesen
Bubi40 - 28. Dez, 09:14

für mich hat diese geschichte eine doppelte tragik ...
ich kann kürbissuppe nicht ausstehen, und den weihnachtlichen frieden wegen eines höchst zweifelhaften vergnügens zu brechen, ist ja fast zu viel ...
tröstend bleibt mir anzumerken, dass ich aus der detaillierten schilderung des gebarens des jungen koches beim schöpfungsprozess zu dem schluss komme, dass er mit sicherheit ein begnadeter und talentierter solcher sein muss. nur ein überdurchschnittlich begabter koch ist in der lage solch ein chaos zu erzeugen ... und ... es so gekonnt zu beherrschen ... er berechtigt zu den schönsten hoffnungen ...

Teresa HzW - 28. Dez, 17:29

Auch wenn es literarisch eingefärbt, trägt die Geschichte, wie beinahe immer das hier Eingeschriebene, auch einen autobiografischen Kern in sich und dazu gehört das schwäbische Zitat. Das ist echt.
[nur nicht von Alter Egon gesagt, da hat er sich schon zu Recht distanziert :-)]
Sicher, lieber Josef, im Moment des Aussprechens, war das tragisch, v.a. der junge Hobbykoch stinke sauer, jedoch nun, drei Tage später, ist es bereits eine heitere Weihnachtsanekdote und die wird man sich im Familienkreis noch in zehn Jahren erzählen, lieber Josef, getreu dem Motto "woisch no da amole, Dante Elsbeth" ;-)
Und wie war das mit dem Genie, das das Chaos regiert, auch wenn die Herrin des Hauses wohl noch ein paar Tage brauchen wird, bis ihr Geschirr wieder an dem Platz aufzufinden, wo es das Jahr über sonst auch steht :-)
schneck08 - 28. Dez, 09:25

Die Klarheit der Formulierung im südwestdeutschen Dialekt mitsamt seiner Inhaltsüberbringungsmöglichkeiten in der besonderen Knappheit der jeweils gewählten Worte - das ist das, was ich so liebe an dieser Gegend hier! "Dui Supp'..." - und schon musste ich lachen und kann mir das alles ganz wunderbar vorstellen... ;)

Teresa HzW - 28. Dez, 17:20

"Des freit mi narrisch", liaba Schneck, wia ma in meina Woidhoamat sogn dat, dass Eane des gfreit hod und Sie des Gschichtl a a wengerl spaßig verstandn ham. So woars a dacht` ;-)
alter egon (Gast) - 28. Dez, 11:12

evt gerüchten vorbeugend der bruddler bin nicht ich

Teresa HzW - 28. Dez, 17:14

Hat auch keiner behauptet ;-)
Und wie immer ist die Ähnlichkeit mit lebenden oder bereits verstorbenen Personen r e i n "zufällig", lieber Alter Egon, das steht doch hier irgendwo, wenn man etwas weiter nach unten scrollt :-)
Jossele - 29. Dez, 13:47

Eine ergreifende Weihnachtsgeschichte.
Ich muss gestehen, mir wurde beim Lesen ein bisserl bang, Kürbiscremesuppe stundenlang gekocht, das zerrt an den Nerven, ist doch dann alles totgekocht.
Ich wünsch dem jungen Koch ein mutiges Weitertun, weil nur durch Scheitern lernt man in dieser Branche.
Danke für die Geschichte!

Teresa HzW - 29. Dez, 14:28

Interessante Wahrnehmung... ich muss gestehen, ich könnte gar nicht sagen, wie lange nun die Suppe eigentlich gekocht hat!?
Hmmm... es wurden ja zwischendurch auch die Dinkelbrötchen gebacken... die sind natürlich in der Geschichte viel zu kurz gekommen, obwohl die superlecker schmeckten und sich hier der junge Chefkoch wahrlich übertraf... die waren vielleicht außen etwas hart... vielleicht einen Tick zu lang im Ofen... dennoch sehr lecker... knusprig und so richtig dinkelig im Geschmack.
Den Koch wirds freun Ihr Kompliment, lieber Jossele, ich werds weitergeben, sofern er es nicht selber liest...
:-)

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