La Salada - Rayuela X
„Heute morgen habe ich Etienne ein paar sehr schöne Träume erzählt. Und gerade eben vermischten sie sich mit anderen Erinnerungen… ja, ja, ich erzähl Dir gleich davon…“
Sonntagmorgen.
Es ist noch früh am Morgen, dunkel, neblig und kalt.
Trotzdem sind bereits Tausende auf den Beinen. Auf dem Weg nach La Salada, dem größten Kleidermarkt Südamerikas, am Stadtrand von Buenos Aires. Endlos ist der Weg dorthin, zunächst über mehrspurige Autobahnen und Schnellstraßen, durch endlos weite Industriegebiete, jedenfalls sieht es so aus, wenn zwei sich zu Nacht schlafender Zeit auf den Weg dorthin begeben, der, kurz vor dem Ziel, entlang von Hallen und Fabriken auf staubiger Straße führt.
Allmählich wird es lebhafter und heller, durch ein großes Tor gelangen die Beiden ins Innere des Geländes, das auf den ersten Blick eher an ein Volksfest oder einen großen Jahrmarkt erinnert. Bunte Verkaufsstände überall, behängt mit T-Shirts, Jacken, Kleider, Blusen. In manchen Gassen gibt es nur T-Shirts, in anderen nur Schuhe. Hunderte von Menschen schieben sich zwischen den engen Gassen der Verkaufsstände hindurch. Gitarrenklang tönt durch die Marktgassen. Der Geruch frisch gegrillter Rindersteaks steigt unseren beiden Besuchern morgens um sieben in die Nase. Sie beschließen, sich erst an einem Imbissstand zu stärken.
„Du hast gut daran getan, zu kommen, sagte Gekrepten und gab frischen Mate in den Topf. Hier zu Hause bist Du viel besser aufgehoben.
Das will ich meinen, sagte Oliveira. Und mehr als das… Die Pfannkuchen sind sensationell.
Da bin ich aber froh, dass sie dir schmecken. Iß mir nicht zuviel davon, du wirst dir den Magen verderben.
Mach dir keine Sorgen, sagte Oliveira und zündete sich eine Zigarette an. Du wirst Dir jetzt eine gute Fiesta gönnen…“
Der Rest von Oliveiras Satz geht im Hupen des Kleinbusses unter, der sich seinen Weg durch die Menschengasse bahnt.
„Der Bus aus Paraguay“, schreit Silvio und versucht das Hupkonzert zu übertönen.
Millimeter für Millimeter schiebt sich der Bus vorwärts.
„Sie kommen mit Käufern aus ganz Argentinien, sogar aus Brasilien und Chile zu uns“, schreit Silvio und schiebt Oliveira, der seinen Zigarettenstummel achtlos auf den Boden wirft und mit der Schuhspitze ausdrückt, weiter. „Lass uns zu Castillo gehen, er ist einer der Köpfe von La Salada. Er kann Dir mehr erzählen. Außerdem geht es bei ihm ordentlicher zu.“
„Dann werden zum Zeitvertreib Fische gefangen, die nicht eßbar sind; um zu verhindern, dass sie verfaulen, hat man am Strand entlang Schilder aufgestellt, auf denen den Anglern befohlen wird, die aus dem Wasser gezogenen Fische sofort zu vergraben.“
„Was kosten diese Sandalen?“ fragt Oliveira den Schuhhändler, während er die dünnen schwarzen Riemensandaletten, die mit Straß besetzt sind, in seinen Händen dreht.
„17 Pesos, Senor.“
„Sehen an Marga´s schlanken Füßen sicher gut aus“, wendet sich Oliveira an Silvio.
„Wenn Du meinst… ich versteh davon nichts. Sandale ist doch gleich Sandale. Hauptsache bequem. Und so sehn sie grad nicht aus, diese Glitzerdinger. Talita gefallen sie bestimmt auch.“
„Die nehm ich.“Oliveira reicht dem Händler zwei Zehn-Peso-Scheine.
„Gracias, Senor.“
In der Halle, durch die sie gerade laufen, ist alles fein säuberlich angeordnet. Auf weißen Tischen Sportschuhe neben Sportschuhen, Straßenschuhe, Freizeitschuhe, sogar Winterstiefel sind bereits erhältlich.
„Das ist ja fast wie bei La Fayette in Paris“, staunt Oliveira, wir hätten doch die Frauen mitnehmen sollen.“
„Lieber nicht, die würden nur zu viel Geld ausgeben. Die Händler, die ihre Waren in diesen Hallen feilbieten, zahlen angeblich Steuern dafür, dass sie hier rein dürfen. Und es gibt eine markteigene Kreditkarte, mit der sie hier einkaufen können. Entscheidend ist jedoch, dass die ärmeren Händler aus den Villas miserias, den Elendsvierteln Buenos Aires, ihre Produkte hier verkaufen können. Lass` uns zu Berca Arranjaz gehen, sie hat die schönsten Taschen.“
Die rosaroten, hellblauen, sonnengelben, grasgrünen und feuerroten Stofftaschen mit Stickereien, Straßsteinchen, Perlen und anderen Applikationen leuchten ihnen von weitem entgegen. In allen Größen hängen sie an Bercas Stand.
„Berca ist das beste Beispiel dafür, dass La Salada den Ärmeren eine Chance gibt“, meint Silvio, geht auf die rundliche Frau zu und herzt sie mit drei Küssen.
„Ist das Dein Freund, der Schriftsteller aus Paris?“ fragt sie, „der sieht gar nicht französisch aus. Eher wie einer von uns!“
„Meine Eltern sind Argentinier und ich bin in Buenos Aires aufgewachsen, lebe allerdings schon lange in Paris.“
„Und nun hat dich die Sehnsucht nach der alten Heimat zurück getrieben“
„Ja, auch… lohnt sich der Verkauf hier für Dich?“ wechselt Oliveira rasch das Thema.
„Alle Taschen fertigen wir zuhause in Handarbeit. Immerhin reicht es, um meiner ältesten Tochter das Medizinstudium zu finanzieren. Sie soll es einmal besser haben als ich. Juanita kommst Du mal und hilfst dem Herrn aus Paris“, Berca winkt ihre Tochter, eine junge Frau von Anfang zwanzig herbei; eine hübsche Brünette, die ihr schulterlanges Haar hochgesteckt trägt und einen bunten Seidenschal um den Hals drapiert hat. Wie alle anderen hier in den Hallen trägt auch sie eine dicke Wolljacke und Fäustlinge, denn es ist noch empfindlich kalt in den ungeheizten Hallen.
„Für wen suchen sie etwas, Senor?“
„Für meine drei Nichten, am besten in derselben Farbe, sonst streiten sie nur.“
„Da wollen wir mal sehen…“ Juanita verschwindet hinter dem Stand.
„Ah, Silvio, alter Bandito, lässt Du Dich auch mal wieder bei uns sehen….“ den Rest kann Oliveira nicht verstehen, er geht in einer Salve sehr schnell gesprochener argentinischer Flüche unter.
Ein korpulenter Endfünfziger reicht ihm die Hand und klopft ihm auf die Schultern, „Jorge Castillo, kannst Jorge sagen, für Freunde von Silvio bin ich Jorge.“
„Horacio. Mucho gusto, angenehm! Warum sind hier so viele Menschen, und das am Sonntag?“
„70 Prozent der argentinischen Textilproduktion werden hier auf dem Markt umgeschlagen, direkt vom Produzenten zum Endverbraucher“, erläutert Jorge Oliveira, der erstaunt durch die Zähne pfeift.
Castillo geht zum Schuhstand gegenüber und greift einen Damenstiefel heraus, hält ihn hoch.
„Der hier kostet rund 40 Dollar.“
„Nur vierzig Dollar?“ Horacio staunt, tags zuvor am Flughafen bei der Ankunft hatte er ähnliche für 120 Dollar gesehen.
Wie wenn er seine Gedanken erraten würde, sagt Castillo: „In jedem normalen Schuhladen in Buenos Aires zahlst Du das Dreifache dafür. Auch wenn mittlerweile neun Jahre seit dem Staatsbankrott vergangen sind. Aber die Leute haben nicht genug Geld. Unsere Gesellschaft ist gespalten in die Reichen und die Armen. Wenn Du nur zwanzig oder dreißig Prozent des normalen Preises bezahlen musst, reicht dir das wenige Geld, das du bei uns verdienst, für den Monat, ansonsten reicht es nicht.
„Ja, früher waren alle etwas gleicher“, mischt sich Silvio nun ein, „jetzt triften die Armen und die Reichen immer weiter auseinander.“
„Seit zwölf Jahren stehe ich jetzt zweimal die Woche hier in den Hallen und verkaufe unsere in Heimarbeit selbst hergestellten Taschen. Wir produzieren selber, verkaufen selber. Damit helfen wir unserem Land. Alle die hier arbeiten“, Berca malt einen Halbbogen in die Luft, „alle hier unterstützen die heimische Wirtschaft und die Importe aus dem Ausland werden so ein wenig unwichtiger.“
„La Salada wächst und wächst “, reißt Jorge Castillo Kaugummi kauend das Wort wieder an sich, „das liegt daran, dass immer öfter auch Familien und der Mittelstand hier einkaufen. Früher hättest Du die hier nicht gesehen. Aber das Leben in Argentinien ist teuer geworden. Die Preise werden in diesem Jahr im Vergleich zum letzten zwischen elf und siebenundzwanzig Prozent, je nach Produkt, steigen. Die Leute können von dem geringen Geld immer weniger kaufen. Weniger Tomaten, weniger Früchte, weniger Fleisch. Da wird vor allem bei der Kleidung gespart.“
„Ein Drittel der Argentinier lebt mittlerweile unterhalb des Existenzminimums. Das sind rund dreizehn Millionen Menschen“ ergänzt Silvio
„Und unser Staat macht nur Scheiße. Staat und Regierung das ist einfach Sch..“, schimpft Castillo.
„Ja, der Kampf gegen die Armut ist die offene Flanke dieser Regierung“, pflichtet ihm Silvio bei, „die Investoren bleiben aus. Noch immer wagen sich keine ausländischen Investoren ins Land, um hier in neue Arbeitsplätze zu investieren. Dabei bräuchten wir die so dringend.“
„Das wundert mich nicht“, murmelt Oliveira, „die ausländischen Anleger haben 2001 beim Staatsbankrott alles verloren. Deren Vertrauen in das Land ist dahin.“
„Die Ärmsten bekommen gerade mal 400 Pesos Unterstützung im Monat vom Staat“, so Silvio
„Also etwa 80 Euro“, murmelt Oliveira
„Im gleichen Atemzug stellt der Staat 400 Millionen Pesos Fördergelder für die Industrie bereit“, fährt Silvio fort.
„Madre mía“, die Berca schlägt die Hände über den Kopf zusammen, „und unsereins muss hinten und vorne sparen. Ein Kilo Fleisch zum Grillen kostet rund 50 Pesos. Dafür muss ich zwei ganze Tage arbeiten und hier drei Taschen verkaufen.“
Juanita kommt mit drei bonbonfarbenen Handtaschen in pink zurück und hält sie Oliveira hin. „Die sind doch hübsch, genau das richtige für Niñas.“
Oliveira lässt sie in eine große Tüte einpacken und reicht ihr sechzig Pesos hin.
„No, no, 51 Pesos, Sie bekommen noch neun zurück.“
„Perdón, senores, ala, ich muss weiter“, unterbricht Castillo den Handel, „mein Geschäft ruft. War nett mit Euch zu plaudern, einen schönen Sonntag noch.“
2962 mal gelesen
Sonntagmorgen.
Es ist noch früh am Morgen, dunkel, neblig und kalt.
Trotzdem sind bereits Tausende auf den Beinen. Auf dem Weg nach La Salada, dem größten Kleidermarkt Südamerikas, am Stadtrand von Buenos Aires. Endlos ist der Weg dorthin, zunächst über mehrspurige Autobahnen und Schnellstraßen, durch endlos weite Industriegebiete, jedenfalls sieht es so aus, wenn zwei sich zu Nacht schlafender Zeit auf den Weg dorthin begeben, der, kurz vor dem Ziel, entlang von Hallen und Fabriken auf staubiger Straße führt.
Allmählich wird es lebhafter und heller, durch ein großes Tor gelangen die Beiden ins Innere des Geländes, das auf den ersten Blick eher an ein Volksfest oder einen großen Jahrmarkt erinnert. Bunte Verkaufsstände überall, behängt mit T-Shirts, Jacken, Kleider, Blusen. In manchen Gassen gibt es nur T-Shirts, in anderen nur Schuhe. Hunderte von Menschen schieben sich zwischen den engen Gassen der Verkaufsstände hindurch. Gitarrenklang tönt durch die Marktgassen. Der Geruch frisch gegrillter Rindersteaks steigt unseren beiden Besuchern morgens um sieben in die Nase. Sie beschließen, sich erst an einem Imbissstand zu stärken.
„Du hast gut daran getan, zu kommen, sagte Gekrepten und gab frischen Mate in den Topf. Hier zu Hause bist Du viel besser aufgehoben.
Das will ich meinen, sagte Oliveira. Und mehr als das… Die Pfannkuchen sind sensationell.
Da bin ich aber froh, dass sie dir schmecken. Iß mir nicht zuviel davon, du wirst dir den Magen verderben.
Mach dir keine Sorgen, sagte Oliveira und zündete sich eine Zigarette an. Du wirst Dir jetzt eine gute Fiesta gönnen…“
Der Rest von Oliveiras Satz geht im Hupen des Kleinbusses unter, der sich seinen Weg durch die Menschengasse bahnt.
„Der Bus aus Paraguay“, schreit Silvio und versucht das Hupkonzert zu übertönen.
Millimeter für Millimeter schiebt sich der Bus vorwärts.
„Sie kommen mit Käufern aus ganz Argentinien, sogar aus Brasilien und Chile zu uns“, schreit Silvio und schiebt Oliveira, der seinen Zigarettenstummel achtlos auf den Boden wirft und mit der Schuhspitze ausdrückt, weiter. „Lass uns zu Castillo gehen, er ist einer der Köpfe von La Salada. Er kann Dir mehr erzählen. Außerdem geht es bei ihm ordentlicher zu.“
„Dann werden zum Zeitvertreib Fische gefangen, die nicht eßbar sind; um zu verhindern, dass sie verfaulen, hat man am Strand entlang Schilder aufgestellt, auf denen den Anglern befohlen wird, die aus dem Wasser gezogenen Fische sofort zu vergraben.“
„Was kosten diese Sandalen?“ fragt Oliveira den Schuhhändler, während er die dünnen schwarzen Riemensandaletten, die mit Straß besetzt sind, in seinen Händen dreht.
„17 Pesos, Senor.“
„Sehen an Marga´s schlanken Füßen sicher gut aus“, wendet sich Oliveira an Silvio.
„Wenn Du meinst… ich versteh davon nichts. Sandale ist doch gleich Sandale. Hauptsache bequem. Und so sehn sie grad nicht aus, diese Glitzerdinger. Talita gefallen sie bestimmt auch.“
„Die nehm ich.“Oliveira reicht dem Händler zwei Zehn-Peso-Scheine.
„Gracias, Senor.“
In der Halle, durch die sie gerade laufen, ist alles fein säuberlich angeordnet. Auf weißen Tischen Sportschuhe neben Sportschuhen, Straßenschuhe, Freizeitschuhe, sogar Winterstiefel sind bereits erhältlich.
„Das ist ja fast wie bei La Fayette in Paris“, staunt Oliveira, wir hätten doch die Frauen mitnehmen sollen.“
„Lieber nicht, die würden nur zu viel Geld ausgeben. Die Händler, die ihre Waren in diesen Hallen feilbieten, zahlen angeblich Steuern dafür, dass sie hier rein dürfen. Und es gibt eine markteigene Kreditkarte, mit der sie hier einkaufen können. Entscheidend ist jedoch, dass die ärmeren Händler aus den Villas miserias, den Elendsvierteln Buenos Aires, ihre Produkte hier verkaufen können. Lass` uns zu Berca Arranjaz gehen, sie hat die schönsten Taschen.“
Die rosaroten, hellblauen, sonnengelben, grasgrünen und feuerroten Stofftaschen mit Stickereien, Straßsteinchen, Perlen und anderen Applikationen leuchten ihnen von weitem entgegen. In allen Größen hängen sie an Bercas Stand.
„Berca ist das beste Beispiel dafür, dass La Salada den Ärmeren eine Chance gibt“, meint Silvio, geht auf die rundliche Frau zu und herzt sie mit drei Küssen.
„Ist das Dein Freund, der Schriftsteller aus Paris?“ fragt sie, „der sieht gar nicht französisch aus. Eher wie einer von uns!“
„Meine Eltern sind Argentinier und ich bin in Buenos Aires aufgewachsen, lebe allerdings schon lange in Paris.“
„Und nun hat dich die Sehnsucht nach der alten Heimat zurück getrieben“
„Ja, auch… lohnt sich der Verkauf hier für Dich?“ wechselt Oliveira rasch das Thema.
„Alle Taschen fertigen wir zuhause in Handarbeit. Immerhin reicht es, um meiner ältesten Tochter das Medizinstudium zu finanzieren. Sie soll es einmal besser haben als ich. Juanita kommst Du mal und hilfst dem Herrn aus Paris“, Berca winkt ihre Tochter, eine junge Frau von Anfang zwanzig herbei; eine hübsche Brünette, die ihr schulterlanges Haar hochgesteckt trägt und einen bunten Seidenschal um den Hals drapiert hat. Wie alle anderen hier in den Hallen trägt auch sie eine dicke Wolljacke und Fäustlinge, denn es ist noch empfindlich kalt in den ungeheizten Hallen.
„Für wen suchen sie etwas, Senor?“
„Für meine drei Nichten, am besten in derselben Farbe, sonst streiten sie nur.“
„Da wollen wir mal sehen…“ Juanita verschwindet hinter dem Stand.
„Ah, Silvio, alter Bandito, lässt Du Dich auch mal wieder bei uns sehen….“ den Rest kann Oliveira nicht verstehen, er geht in einer Salve sehr schnell gesprochener argentinischer Flüche unter.
Ein korpulenter Endfünfziger reicht ihm die Hand und klopft ihm auf die Schultern, „Jorge Castillo, kannst Jorge sagen, für Freunde von Silvio bin ich Jorge.“
„Horacio. Mucho gusto, angenehm! Warum sind hier so viele Menschen, und das am Sonntag?“
„70 Prozent der argentinischen Textilproduktion werden hier auf dem Markt umgeschlagen, direkt vom Produzenten zum Endverbraucher“, erläutert Jorge Oliveira, der erstaunt durch die Zähne pfeift.
Castillo geht zum Schuhstand gegenüber und greift einen Damenstiefel heraus, hält ihn hoch.
„Der hier kostet rund 40 Dollar.“
„Nur vierzig Dollar?“ Horacio staunt, tags zuvor am Flughafen bei der Ankunft hatte er ähnliche für 120 Dollar gesehen.
Wie wenn er seine Gedanken erraten würde, sagt Castillo: „In jedem normalen Schuhladen in Buenos Aires zahlst Du das Dreifache dafür. Auch wenn mittlerweile neun Jahre seit dem Staatsbankrott vergangen sind. Aber die Leute haben nicht genug Geld. Unsere Gesellschaft ist gespalten in die Reichen und die Armen. Wenn Du nur zwanzig oder dreißig Prozent des normalen Preises bezahlen musst, reicht dir das wenige Geld, das du bei uns verdienst, für den Monat, ansonsten reicht es nicht.
„Ja, früher waren alle etwas gleicher“, mischt sich Silvio nun ein, „jetzt triften die Armen und die Reichen immer weiter auseinander.“
„Seit zwölf Jahren stehe ich jetzt zweimal die Woche hier in den Hallen und verkaufe unsere in Heimarbeit selbst hergestellten Taschen. Wir produzieren selber, verkaufen selber. Damit helfen wir unserem Land. Alle die hier arbeiten“, Berca malt einen Halbbogen in die Luft, „alle hier unterstützen die heimische Wirtschaft und die Importe aus dem Ausland werden so ein wenig unwichtiger.“
„La Salada wächst und wächst “, reißt Jorge Castillo Kaugummi kauend das Wort wieder an sich, „das liegt daran, dass immer öfter auch Familien und der Mittelstand hier einkaufen. Früher hättest Du die hier nicht gesehen. Aber das Leben in Argentinien ist teuer geworden. Die Preise werden in diesem Jahr im Vergleich zum letzten zwischen elf und siebenundzwanzig Prozent, je nach Produkt, steigen. Die Leute können von dem geringen Geld immer weniger kaufen. Weniger Tomaten, weniger Früchte, weniger Fleisch. Da wird vor allem bei der Kleidung gespart.“
„Ein Drittel der Argentinier lebt mittlerweile unterhalb des Existenzminimums. Das sind rund dreizehn Millionen Menschen“ ergänzt Silvio
„Und unser Staat macht nur Scheiße. Staat und Regierung das ist einfach Sch..“, schimpft Castillo.
„Ja, der Kampf gegen die Armut ist die offene Flanke dieser Regierung“, pflichtet ihm Silvio bei, „die Investoren bleiben aus. Noch immer wagen sich keine ausländischen Investoren ins Land, um hier in neue Arbeitsplätze zu investieren. Dabei bräuchten wir die so dringend.“
„Das wundert mich nicht“, murmelt Oliveira, „die ausländischen Anleger haben 2001 beim Staatsbankrott alles verloren. Deren Vertrauen in das Land ist dahin.“
„Die Ärmsten bekommen gerade mal 400 Pesos Unterstützung im Monat vom Staat“, so Silvio
„Also etwa 80 Euro“, murmelt Oliveira
„Im gleichen Atemzug stellt der Staat 400 Millionen Pesos Fördergelder für die Industrie bereit“, fährt Silvio fort.
„Madre mía“, die Berca schlägt die Hände über den Kopf zusammen, „und unsereins muss hinten und vorne sparen. Ein Kilo Fleisch zum Grillen kostet rund 50 Pesos. Dafür muss ich zwei ganze Tage arbeiten und hier drei Taschen verkaufen.“
Juanita kommt mit drei bonbonfarbenen Handtaschen in pink zurück und hält sie Oliveira hin. „Die sind doch hübsch, genau das richtige für Niñas.“
Oliveira lässt sie in eine große Tüte einpacken und reicht ihr sechzig Pesos hin.
„No, no, 51 Pesos, Sie bekommen noch neun zurück.“
„Perdón, senores, ala, ich muss weiter“, unterbricht Castillo den Handel, „mein Geschäft ruft. War nett mit Euch zu plaudern, einen schönen Sonntag noch.“
Teresa HzW - 26. Sep, 09:29 - Rubrik [Post]Moderne
Quelle