steppenhund - 6. Apr, 17:54

So weit habe ich noch nicht gelesen ...

Aber 1552 Seiten hat mein Taschenbuch nicht. Ich werde Ingeborg wohl nicht mehr antreffen:(
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Aber ich sehe schon jetzt: unser beider Lesen könnte unterschiedlicher nicht sein. Ich bemerke am Stil der kurzen Abschnitte mit den kapitalisierten Überschriften, dass ich vergleiche. Nachdem ich ein Mann bin, vergleiche ich mein Leben und meine Anschauungen mit denen von Max Frisch.
Es gibt Bücher, bei denen das nicht geschieht. Da nehme ich die andere Person als komplett anders wahr und das funktioniert gut. Philip Roth kann schreiben was er will, seine Protagonisten werden mich nie dazu bringen, mich in ihre Lage versetzen zu wollen.
Doch wie beispielsweise hier mündet jeder zweite Satz in die Fragestellung: stimme ich zu oder sehe ich das ganz anders.
Wenn ich jetzt einmal Hesse ansehe, so habe ich die Bipolarität genossen und selbstverständlich konnte ich mich mit dem Steppenwolf identifizieren. Allerdings nur, um mich dann sofort abzugrenzen. Die Vielfalt ist da, aber so darf ich nicht werden. (Ich hatte das Buch schon mit 19 Jahren verschlungen und das meiste davon auch absolut goutiert.)
Und ich könnte ein Josef sein, aber dann doch wieder nicht, weil ich eben schon viel früher "leben" wollte und immer "gedürstet" hatte.
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Aber zurück zu M. Ein bisschen stand schon über Lynn. Ich hab das Buch jetzt nicht greifbar, um den Originaltext zu zitieren. Aber die Frage: "was findet sie denn an mir interessant?" oder so ähnlich, diese Frage kann ich gut begreifen. Kann man als Mensch, der sich nicht verstanden fühlt, ohne diese Frage überhaupt leben. Da geht es nicht nur um "Beziehungen". Ist nicht ein Schriftsteller genau in dem Dilemma, dass er sich täglich fragen muss, ob er denn überhaupt verstanden wird. (Das ist ja so unabhängig von den jeweiligen Verkaufszahlen.)
Und man bemüht sich, noch klarer zu werden. Irgendwann wird die Klarheit zur Kürze, zur Verknappung und transformiert sich damit erst zum Geheimnis.
Ich würde behaupten wollen, dass man als Mann glücklich ist, wenn man von einer Frau aus den Gründen geliebt wird, die man selbst an sich für liebenswert hält. Aber geschieht das denn in Wirklichkeit?
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Ich habe ja schon geschrieben, dass ich keine Zeit zum Lesen habe. Gerade jetzt eben. Ich lese normalerweise so ein Buch an einem Abend zu Ende. Mit der Zielsetzung, etwas über den Leseprozess schreiben zu sollen, wird es ein ganz langsames Lesen werden. Eines wie es beim Sloterdijk war, Du musst dein Leben ändern.
Manche Bücher lese ich immer wieder. Oder manche Geschichten.
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Ich nehme an, dass Sie sich nicht diese Art von Rezension erwartet haben, als Sie zum Mitlesen aufforderten:)
Aber ich bin halt ein Mann.

Teresa HzW - 6. Apr, 22:12

@Steppenhund

Lieber Steppenhund,
[ich bin immer versucht, -wolf zu schreiben, jetzt seit Ihrer Rezension weiß ich warum ;-) und lag mit meiner Ver-Such-ung so falsch nicht]

Ihre Rezension begeistert mich!
Zumal ich hier gar nichts erwarte, sondern einfach neugierig bin, w a s passiert? WAS für eine Art Kommentar oder Rezension meine Montauk-Lesung[en] hier auslösen...

Es fasziniert mich, zu sehen, wie jeder ein- und denselben Text ganz unterschiedlich wahrnimmt. Das hängt sicher auch damit zusammen, dass wir unterschiedliche Ausgaben von Montauk als Lese-Vorlage haben und die Seitenzahlen nicht übereinstimmen, weil sie nicht deckungsgleich zu bringen sind. Die Montauk-Ausgabe, die hier Gegenstand meiner Lektüre ist, befindet sich [siehe kleines Foto oben] in der Max-Frisch-Sammlung der Suhrkamp-Quarto-Reihe, die seine Klassiker enthält. Montauk nimmt darin 120 Seiten ein. Ich vermute, Sie lesen die blaue Taschenbuchausgabe, die von Suhrkamp neu aufgelegt wurde, die einen anderen Satzspiegel hat und daher 224 Seiten umfasst. Vermutlich entspricht daher meine Seite 1552 einer Seitenzahl um die 50 herum in der Ausgabe, die Sie in Händen halten. Bei Ihrem schnellen Lesetempo werden Sie mittlerweile auch bei dem hier zitierten Text angekommen sein und Ingeborg Bachmann noch angetroffen haben ;-)
Ich habe vor-geblättert, um zu sehen, was mich morgen erwartet [weil der Leseprozess bei einer 30minütigen Rezept-ion täglich tatsächlich langsam voranschreitet] ;-) Daher morgen: Endlich die Ankunft von Max Frisch und Lynn am Overlook. Und dann bin ich mal gespannt, was die beiden dort tun werden ;-)

Witzig fand ich, festzustellen, dass wir in einem Punkt das Geschriebene in Montauk "ähnlich" wahrzunehmen scheinen, egal auf welcher Seite wir nun aktuell lesen: Auch ich vergleiche! Allerdings nicht vom Geschlechtsspezifischen Standpunkt aus, ginge ja gar nicht, nachdem ich eine Frau bin. *hihi* Da sind Sie als Mann im Identifikations-Vorteil ;-)
Ich vergleiche eben bzgl. der Lebenserfahrungen. Das ist das Beispiel mit den Fragen oben in meinem Blogtext mit den "Kleidungsstücken anderer, die man zum auftragen vererbt bekommt".

Ihre Lese-Erfahrung teile ich: "Es gibt Bücher, wo dies nicht geschieht." Bei Ihnen Hesse, bei mir Paulus Hochgatterer oder Robert Menasse, um zur Abwechslung einmal zwei lebende Gegenwartsautoren zu benennen [weil mir das ja gestern angekreidet wurde, ich läse nur "tote Schriftsteller"].

Wer weiß, womit uns Max Frisch noch am Montauk überrascht!? Vielleicht führt dies dann - angeregt von Ihrem heutigen Dreizeiler über das Glück und die Liebe - zu einem größeren, sehr speziellen Blogeintrag ;-)
steppenhund - 7. Apr, 00:04

es macht Spass

Ich hatte ihren Kommentar ja bereits gelesen, bevor ich mich bis zur Seite 50 durchschlug. An der findet sich OVERLOOK:
Die von Ihnen angeführten Zitate sind sehr treffend gewählt. So treffend, dass ich mich beim Lesen der elf Seiten gefragt habe, ob ich diesen Teil nicht schon gelesen hatte. Jetzt haben Sie ja nur einen bestimmten Prozentsatz zitiert, den ich aber offensichtlich durchaus die ganzen 11 Seiten repräsentierend und fast ersetzend einschätzen könnte.
Mein Kommentar kann daher nur kurz ausfallen und behandelt zwei Stellen, von denen die eine gleich zweimal im Text vorkommt. Mit einer winzigen Variation - doch davon später.
Sie sprechen von einem Donnerschlag, von einer Grausamkeit.
Aber sie lassen das schmerzlichste Zitat aus: Ich meine, daß die Freundschaft mit W. für mich ein fundamentales Unheil gewesen ist und daß W. nichts dafür kann.
Ich glaube Frisch, dass er das vielleicht wirklich meint, doch dann ist er entweder dumm oder ein Riesen Arschloch. Wie gnädig. W kann nichts dafür. Vielleicht bin ich dumm und erkenne nicht, dass sich Frisch da willentlich selbst ad absurdum führt. Ich kann nicht leben und dann nachher sagen, ich hätte es anders machen müssen. Die Annahme der anfänglich bequemen Freundschaft ist ein willentlicher Akt, selbst wenn es so aussehen mag, als würde man hinein gezogen. Wenn man wirklich erst in späten Jahren drauf kommt, dass es ein Fehler gewesen sein muss, war es kein Fehler. Denn ohne diesen Fehler könnte man die Einschätzung gar nicht treffen. Die Vorstellung, dass irgendetwas Exogenes an den Ungereimtheiten meines Lebens schuld sein könnte, hat Ibsen zur Genüge behandelt. Aber so beiläufig und dabei noch maskiert kann man das Thema Lebenslüge nicht behandeln.
Frisch schreibt ja, dass es ein ehrliches Buch ist. Vielleicht ist diese Passage der Beweis, dass er es wirklich ehrlich meint. Es würde mich interessieren, ob ihn jemand einmal auf diese Passage angesprochen hat.
Etwas sehr Schönes kommt auf den elf Seiten vor, gleich zweimal.
W. hat mir das Engadin geschenkt. und etwas wenig später: W. hat mir sein Engadin geschenkt.
Das ist die Darstellung einer Erfahrung, die ich häufig in meinem Leben gemacht habe. Ich wurde reich beschenkt. Mit Osttirol, mit Kufstein, mit Leningrad, mit Franz Liszt, Robert Schumann, mit Maurice Ravel, mit, mit, mit.
Bestimmte Landschaften, Orte, Personen wurden mir von Menschen geschenkt, die ich geliebt habe. Das ging so weit, dass ich mir nach dem Verlust der Liebe die Orte neu erobern musste. Nach einer gewissen Zeit gab es keine Interferenz mehr. Ich konnte einer Person dankbar sein, die ich nicht mehr liebte. Wenn ich "mit, mit, mit" schreibe, so sind das hunderte oder auch tausende von "mit"s, die sich auf große, aber auch auf ganz kleine Einheiten beziehen können. Da kommt auch die Beziehung mit hinein. In der Mathematik findet sie ja zwischen zwei Entitäten statt. Meine Beziehungen haben drei Ingredienzien: den anderen, das Geschenk und ich selbst.
Über die Geschenke in der Form von Musikern habe ich schon manchmal referiert, teilweise auf Blogteilen, die nicht mehr online sind. Eine Referenz kann ich aber hier angeben.
-
Die Steigerung von "das Engadin" zum "sein Engadin" ist mir wohl aufgefallen. Bei der Beziehung M. zu W. kann ich mich manchmal in der einen, dann wieder in der anderen Rolle wiederfinden. Doch das Engadin bleibt außen vor. Das bildet einen fixen Bezugspunkt, mathematisch gesehen ist es eine Invariante.
Margit (Gast) - 7. Apr, 10:19

Es macht wirklich Spaß hier mitzulesen, v.a. bin ich ganz gerührt, dass Sie sich so viel Arbeit machten, um meine Fragen zu beantworten, Teresa. Deshalb will ich heute keine neue, womöglich nörgelnde, Frage aufwerfen, sondern einfach hier sitzen, still mit lesen.
Teresa HzW - 10. Apr, 12:34

@Steppenwolf ...und es macht Spass...

Jawoll, lieber Steppenwolf; es macht auch mir Spass, Ihre Lese-Wahrnehmungen zu Montauk zu lesen. Daher merci für den Faktencheck ;-)

Die Grausamkeit, wie ich es nannte, oder das "schmerzlichste Zitat", wie Sie es anmerken, habe ich absichtlich weggelassen, um die Spannung für alle, die wie Sie mitlesen, nicht vorweg zu nehmen ;-)
Gefallen hat mir Ihr "Ausruf: Ich glaube Frisch…..ist…. ein Riesen Arschloch." Ja! Sie drücken es oben aus: Das spontane Gefühl eines[r] Lesers[-in]. Wie käme es mir vor, würde jemand nach 30- oder 40-jähriger Lebensfreundschaft ein solches Fazit ziehen?
Frisch – daher ein Lebenslügner?
Vielleicht nicht so verkehrt, denn Lynn spricht es einige Seiten weiter auf der Wanderung zum Overlook sogar aus: "Max you are a liar!" Oder sollte ich vorsichtiger formulieren [auch im Hinblick auf den "Hinweis" vom Bücherblogger weiter unten hier in diesem Diskussionsstrang]: Der Erzähler legt dies der Protagonistin Lynn in den Mund. Und da Erzähler und Autor und männlicher Protagonist "eins" zu sein scheinen, ist es vielleicht das Fazit, die Wertung, zu der M.F. beim Niederschreiben seiner Nach-Denk-lich-keiten über sich selbst kommt. Insofern – sehe ich als Leserin wie Sie – Frisch führt sich "da willentlich selbst ad absurdum".

So wie Sie es zudem interessiert, ob irgendeiner einmal den Max Frisch "auf diese Passage" [diese Lebenslüge also] "angesprochen hat"; genauso interessiert es mich zu erfahren, w a n n Montauk erstmals vom Verlag veröffentlicht wurde??? [Noch habe ich mir vorgenommen, nichts zu den Hintergründen von Montauk zu recherchieren, da dies unweigerlich meine Lese-Rezeption beeinflussen würde; jedenfalls nicht, bis ich nicht die Hälfte von Montauk gelesen habe… und das wird wohl noch vier, fünf Tage dauern].

Ja, lieber Steppenhund, die schönen Erfahrungen im Leben [wie die schlechten übrigens auch] werden einem von Menschen geschenkt. Wie wahr! Umso mehr schockiert der Umgang von M. mit seinem Freund W. – egal, wie fiktional oder auch autobiografisch dieser Textteil gefärbt ist :-o
Teresa HzW - 10. Apr, 13:01

@Margit

Liebe Margit, Ihre Fragen sind keineswegs "nörgelnd"! Im Gegenteil. Ich fands spannend, mich damit auseinander zu setzen. Solche Fragen setzen neue Denkprozesse in Gang!
Daher her damit, wenn Ihnen eine Frage durch den Kopf schiesst :-)

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