Im Bistro - encore dans le cafè... Rayuela VI
„Sie wollen wissen, welches RAYUELA - Kapitel mir bisher von den Gelesenen – 21, 79, 10, 11, 22, 23, 5, 81, 74, 124, 128, 24, 134 und 26 - am besten gefiel!?“, wendet sie sich wieder an ihn, nachdem der Garcon nun auch ihn vom Speiseteller befreit und die Espressi sowie eine Karaffe Rotwein und Wasser gebracht.
„Oui, oui, ma chère“, ermuntert der Agentinier sie, der sich anschickt, eine neue Zigarillo anzustecken, „berichten sie mir.“
„Ein Meisterstück literarischen, poetischen Schreibens, ist für mich Kapitel 23, witzig, amüsant, auch bissig, jedoch nicht verletzend, ein Meisterstück der Ironie.“
„Das ist zu viel des Lob!“ murmelt er leise in seinen Conquistadore-Bart, „Kapitel 23… so…so“
„Ja, ja“ bekräftigt sie, „das Kapitel, in dem Horacio Oliveira das Konzert der Pianistin Berthe Trépat besucht….“
„…ihr rundes, wie mit Mehl bestäubtes Gesicht schien mit einemmal alle Sünden des Vollmonds auf sich zu vereinigen, und der zinnoberrote Kirschmund öffnete sich, bis er die Form einer ägyptischen Barke annahm. Wieder im Profil, betrachtete ihre kleine Papageienschnabelnase für einen Augenblick die Tasten, während die Hände wie zwei zerknautschte Lederhandschuhe, von c zu h griffen. Es erklangen die zweiunddreißig Akkorde des ersten diskontinuierlichen Satzes…“, nimmt er ihr die Worte aus dem Mund.
„Wie perfekt sie die charakteristischen Merkmale der Pianistin wieder geben“ staunt sie, „gerade so als ob Sie mit dabei gewesen wären und es geschrieben hätten."
„Ach, meine Liebe, wissen Sie,“ hebt er an, „ich kenne das Buch nur sehr gut; jenes Kapitel ist in der Tat eines der wichtigen in dem Buch, es zeigt die Absurdität des Verhaltens von Großstadtmenschen in seiner ganzen Bandbreite. Es schildert, wie schnell hilfsbereites Handeln in kriminelles sich verwandeln kann, wenn die äußeren Umstände und Anzeichen von Dritten falsch gedeutet werden.“
„Das könnte man auch anders sehen“, ereifert sie sich, „vielleicht wollte ihr Horacio wirklich an die Wäsche!?“
„Dieser alten Schrapnell“, entfährt es ihrem Gegenüber.
„Aber ja, mein Herr, lassen Sie mich Ihnen ein paar Stellen aus dem Kapitel vorlesen,“ hastig blättert sie in Kapitel 23 zwischen den Seiten 146, 147, 148 und 149 hin und her und beginnt vorzulesen: Berthe Trépat lud ihn nicht ein, in ihre Wohnung zu kommen, sie gab ihn an das Café an der Ecke zurück, gliederte ihn erneut ein in die Ordnung des Tages, schob ihn zurück zu all dem, was im Laufe des Tages geschehen war…..Lassen Sie mich, lassen Sie mich, murmelte die Künstlerin(als sie in ihrem Treppenhaus im Halbdunkel stehen, nicht hinauf gehen, weil sie glaubt, ihr Lebensgefährte, habe eine andere in der gemeinsamen Wohnung bei sich)…….(und Oliveira sagt:) Sie sind erschöpft, Sie müssen schlafen. Es wäre das beste, wir gingen in ein Hotel….Ich kenne ein Hotel in der Rue Valette, es ist nicht weit von hier.
- Ein Hotel, sagte Berthe Trépat, wobei sie sich umdrehte und ihn anblickte.
- Es ist nicht besonders, aber das Wichtigste ist jetzt, die Nacht herum zu bringen….
- Ein Hotel, Sie wollen mich in ein Hotel bringen.
… Nein, er hatte nichts gesagt, er war ohne sich zu rühren bei ihr stehen geblieben,…. die ihn hart ansah und langsam die Hand hob und sie mit einemmal auf Oliveiras Gesicht losließ. Der schreckte verblüfft zurück und wich so dem gewichtigsten Teil der Ohrfeige aus, spürte aber den Peitschenhieb schlanker Finger, das blitzschnelle Kratzen der Nägel.
- Ein Hotel, wiederholte Berthe Trépat. Haben Sie gehört, was er mir gerade vorgeschlagen hat?
….das sagte sie jetzt schreiend, und wieder ging das Licht im Hausflur an, sie wüßte recht gut, was für lasterhafte Kerle ihr wie allen anständigen Frauen auf den Straßen folgten, aber sie werde nicht dulden…, daß ein Ungeheuer, daß ein geifernder Satyr sie an der Tür zu ihrem Haus angriffe, wofür gab es die Polizei… und jemand kam in vollem Tempo die Treppe herunter, ein Bursche mit Kraushaar…“
"ABER NEIN, ma chère, Sie lesen viel zu viel in die Leerstellen dieses Kapitels hinein“ unterbricht ihren Lesefluss protestierend der ihr immer noch unbekannte Herr, mit dem sie bisher angenehm geplaudert und den sie nach wie vor für einen galanten Franzosen mit argentinischem Einschlag hält.
„Urteilen Sie nicht zu sehr dem äußeren Anschein nach, die Dinge stellen sich oft anders dar, als sie auf den ersten Blick scheinen,“ schmunzelt er, „ich möchte jedoch nicht belehrend auf Sie wirken. Darf ich Ihnen dennoch eine andere Stelle aus dem Kapitelende zitieren, die aus der Sicht Horacios die Sache völlig anders darstellt.“
„Sie dürfen!“, erwidert sie kurz angebunden, wie es ihre Art war, wenn ihr einer widersprach, denn das konnte sie nun auf den Tod nicht ausstehen, wenn einer nicht in der Lage war, ihre Gedankenkette weiter zu spinnen. Verstohlen sah sie auf die Uhr, während er den Blick in den Himmel richtete, quasi als ob er nach etwas suchte.
„Lassen Sie mich kurz überlegen, wie war das nochmal…als er viel später und nahe beim Jardin des Plantes den Tag noch einmal in seinem Gedächtnis abrollen ließ, ein genaues und minuziöses Nacherzählen aller Minuten des Tages, sagte er sich (also Horacio Oliveira), daß er schließlich und endlich ein solcher Idiot gar nicht gewesen sei, wenn er Zufriedenheit gefühlt habe, als er die Alte nach Hause begleitete. Aber wie üblich hatte er für dieses sinnlose Zufriedensein bezahlen müssen. Jetzt würde er damit beginnen, es sich vorzuwerfen, es nach und nach zu demontieren, bis nur das blieb, was immer blieb, ein Loch, durch das die Zeit blies, ein unbestimmtes Kontinuum ohne definierte Grenzen….So ist es gewesen und Schluß.“
1992 mal gelesen
„Oui, oui, ma chère“, ermuntert der Agentinier sie, der sich anschickt, eine neue Zigarillo anzustecken, „berichten sie mir.“
„Ein Meisterstück literarischen, poetischen Schreibens, ist für mich Kapitel 23, witzig, amüsant, auch bissig, jedoch nicht verletzend, ein Meisterstück der Ironie.“
„Das ist zu viel des Lob!“ murmelt er leise in seinen Conquistadore-Bart, „Kapitel 23… so…so“
„Ja, ja“ bekräftigt sie, „das Kapitel, in dem Horacio Oliveira das Konzert der Pianistin Berthe Trépat besucht….“
„…ihr rundes, wie mit Mehl bestäubtes Gesicht schien mit einemmal alle Sünden des Vollmonds auf sich zu vereinigen, und der zinnoberrote Kirschmund öffnete sich, bis er die Form einer ägyptischen Barke annahm. Wieder im Profil, betrachtete ihre kleine Papageienschnabelnase für einen Augenblick die Tasten, während die Hände wie zwei zerknautschte Lederhandschuhe, von c zu h griffen. Es erklangen die zweiunddreißig Akkorde des ersten diskontinuierlichen Satzes…“, nimmt er ihr die Worte aus dem Mund.
„Wie perfekt sie die charakteristischen Merkmale der Pianistin wieder geben“ staunt sie, „gerade so als ob Sie mit dabei gewesen wären und es geschrieben hätten."
„Ach, meine Liebe, wissen Sie,“ hebt er an, „ich kenne das Buch nur sehr gut; jenes Kapitel ist in der Tat eines der wichtigen in dem Buch, es zeigt die Absurdität des Verhaltens von Großstadtmenschen in seiner ganzen Bandbreite. Es schildert, wie schnell hilfsbereites Handeln in kriminelles sich verwandeln kann, wenn die äußeren Umstände und Anzeichen von Dritten falsch gedeutet werden.“
„Das könnte man auch anders sehen“, ereifert sie sich, „vielleicht wollte ihr Horacio wirklich an die Wäsche!?“
„Dieser alten Schrapnell“, entfährt es ihrem Gegenüber.
„Aber ja, mein Herr, lassen Sie mich Ihnen ein paar Stellen aus dem Kapitel vorlesen,“ hastig blättert sie in Kapitel 23 zwischen den Seiten 146, 147, 148 und 149 hin und her und beginnt vorzulesen: Berthe Trépat lud ihn nicht ein, in ihre Wohnung zu kommen, sie gab ihn an das Café an der Ecke zurück, gliederte ihn erneut ein in die Ordnung des Tages, schob ihn zurück zu all dem, was im Laufe des Tages geschehen war…..Lassen Sie mich, lassen Sie mich, murmelte die Künstlerin(als sie in ihrem Treppenhaus im Halbdunkel stehen, nicht hinauf gehen, weil sie glaubt, ihr Lebensgefährte, habe eine andere in der gemeinsamen Wohnung bei sich)…….(und Oliveira sagt:) Sie sind erschöpft, Sie müssen schlafen. Es wäre das beste, wir gingen in ein Hotel….Ich kenne ein Hotel in der Rue Valette, es ist nicht weit von hier.
- Ein Hotel, sagte Berthe Trépat, wobei sie sich umdrehte und ihn anblickte.
- Es ist nicht besonders, aber das Wichtigste ist jetzt, die Nacht herum zu bringen….
- Ein Hotel, Sie wollen mich in ein Hotel bringen.
… Nein, er hatte nichts gesagt, er war ohne sich zu rühren bei ihr stehen geblieben,…. die ihn hart ansah und langsam die Hand hob und sie mit einemmal auf Oliveiras Gesicht losließ. Der schreckte verblüfft zurück und wich so dem gewichtigsten Teil der Ohrfeige aus, spürte aber den Peitschenhieb schlanker Finger, das blitzschnelle Kratzen der Nägel.
- Ein Hotel, wiederholte Berthe Trépat. Haben Sie gehört, was er mir gerade vorgeschlagen hat?
….das sagte sie jetzt schreiend, und wieder ging das Licht im Hausflur an, sie wüßte recht gut, was für lasterhafte Kerle ihr wie allen anständigen Frauen auf den Straßen folgten, aber sie werde nicht dulden…, daß ein Ungeheuer, daß ein geifernder Satyr sie an der Tür zu ihrem Haus angriffe, wofür gab es die Polizei… und jemand kam in vollem Tempo die Treppe herunter, ein Bursche mit Kraushaar…“
"ABER NEIN, ma chère, Sie lesen viel zu viel in die Leerstellen dieses Kapitels hinein“ unterbricht ihren Lesefluss protestierend der ihr immer noch unbekannte Herr, mit dem sie bisher angenehm geplaudert und den sie nach wie vor für einen galanten Franzosen mit argentinischem Einschlag hält.
„Urteilen Sie nicht zu sehr dem äußeren Anschein nach, die Dinge stellen sich oft anders dar, als sie auf den ersten Blick scheinen,“ schmunzelt er, „ich möchte jedoch nicht belehrend auf Sie wirken. Darf ich Ihnen dennoch eine andere Stelle aus dem Kapitelende zitieren, die aus der Sicht Horacios die Sache völlig anders darstellt.“
„Sie dürfen!“, erwidert sie kurz angebunden, wie es ihre Art war, wenn ihr einer widersprach, denn das konnte sie nun auf den Tod nicht ausstehen, wenn einer nicht in der Lage war, ihre Gedankenkette weiter zu spinnen. Verstohlen sah sie auf die Uhr, während er den Blick in den Himmel richtete, quasi als ob er nach etwas suchte.
„Lassen Sie mich kurz überlegen, wie war das nochmal…als er viel später und nahe beim Jardin des Plantes den Tag noch einmal in seinem Gedächtnis abrollen ließ, ein genaues und minuziöses Nacherzählen aller Minuten des Tages, sagte er sich (also Horacio Oliveira), daß er schließlich und endlich ein solcher Idiot gar nicht gewesen sei, wenn er Zufriedenheit gefühlt habe, als er die Alte nach Hause begleitete. Aber wie üblich hatte er für dieses sinnlose Zufriedensein bezahlen müssen. Jetzt würde er damit beginnen, es sich vorzuwerfen, es nach und nach zu demontieren, bis nur das blieb, was immer blieb, ein Loch, durch das die Zeit blies, ein unbestimmtes Kontinuum ohne definierte Grenzen….So ist es gewesen und Schluß.“
Teresa HzW - 12. Sep, 13:38 - Rubrik [Post]Moderne
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