VORWÄRTS

Ich war in einer "Premiere".
Eigentlich war es mehr eine Premieren-Probe, WEIL die Premiere ist erst HEUTE abend.

VORWÄRTS.
Und nicht vergessen….
Die Musik, mehr noch die Texte des Vormärts.
Dreht sich das "W" herum, blickst du in der Zeit zurück.
Die Texte, die Lieder, die Balladen, die zur öffentlichen Aufführung kommen, stammen nicht aus der Zeit vor der deutschen Märzrevolution von 1848, sondern aus anderen unruhigen "[Revolutions]Tagen".

Vormärts.
Ein Begriff, der mir [post]modern ist!
Stuttgart 21, Wutbürger seien die Stichworte.
Mir scheint es, als lebe eine Zeit wieder auf, die als vergangen, vergessen galt.
Ich finde sie wieder auflebend:
In Diskussionen. In Disputen. In Dialogen.
Auf den Bühnen des öffentlichen Lebens:
TV-Bühnen. Theater-Bühnen.

Unruhige Zeiten, die herauf dämmern, im [wahren]Leben.
In der Wahlheimat. Seit Montag wieder.
Stuttgart 21-Gegner ketten sich an Bäume und Bauzäune. Lassen sich wegtragen.
Der Weihnachtsfriede ist vorbei.

Vormärts. VORWÄRTS!?

Hier, an dem Orte, wo ich gerade weile, findet die Revolution längst vergangener Zeiten auf der Bühne statt.
Im geordneten Raum, Stuhlreihe hinter Stuhlreihe nehmen sie Platz, der Menschen bunte Schar, auf Theaterstühlen im Parkett, in den Logen, im ersten und zweiten Rang [wo ich sitzend, weil das Haus ausverkauft! Ja- Mann,Frau, Leser[innen] meines Blogs – höre und staune! Erlebte ich dies jemals? Eine Probe. Ausverkauft? Unglaublich!]
Knisternd die Atmosphäre!
Die Luft hitzig aufgeladen.
Hoch droben im zweiten Rang.
10.000 Volt!

Vormärts
"Was ist Reis? Was ist Baumwolle? Was ist – ein Mensch?" fragt er, der Arbeiter, dort unten auf der Bühne und gibt selbst die [uns Zuschauer] bestürzende Antwort: "Ich kenne nur seinen Preis!"
Andere Arbeiter klagen an, dass der Weizen "ins Feuer geschippt, der Kaffee ins Meer gekippt."
Überfluss auf der einen Seite für die Herren mit den feinen Anzügen, für die Damen in den eleganten Kostümen.
Armut auf der anderen. Da wünscht sich ein Arbeiter, dass er auch mal "drei feine Anzüge im Schrank hat".
Kein Wunder, dass manch einer aus der Erlebnisgeneration neben mir [ich sitze eingekreist von fünfundsiebzig bis achtzig plus] das Taschentuch zückt, weil ihm unten auf der Bühne DIE Mutter aus dem Herzen spricht: "Da hätt ick mir lieber uffjehängt, als ihm [dem Sohn] Hemd und Stiefel geschenkt!". Sie sah ihn, den Sohn, hinein marschieren in eine goldene Zeit. Sie wußte nicht, dass er nicht zurückkommen wird, nimmer mehr: "Ick wusste nich, dass det braune Hemd ein Totenhemd!" Heult und klagt, dass ihr schier die Stimme, vom vielen Wehklagen bereits heiser, versagt.
Die andere Perspektive:
Ein junger Mann beteuert seine Unschuld, denn er "sah viele marschieren, die Hunger hatten mit den Satten. Der Hunger ist es, der uns treibt, der uns marschieren lässt, ins dritte Reich. Ich wußte nicht, dass wenn der "Bruder" [= der Nachbar des Auslandes] besiegt ist, ich selber verloren bin."

Vormärts
[Reichstags]WAHL.
Eine Partei verteilt Toilettenseife mit dem Aufdruck "Wählt xyz".
"Wir schlagen Schaum. Wir seifen ein. Wir waschen unsere Hände wieder rein" singen die Parteibrüder und Parteischwestern auf der Bühne des Theater[Lebens].
"Wir haben Kredite bewilligt. Wir fielen auf die Beine und die Republik wurde schwarz-rot-gold."
"Wählt xyz!"
"Wir haben die Rechte zertreten und wieder Ruhe im Land."
"Wir schlagen Schaum. Wir seifen ein. Wir waschen unsere Hände wieder rein."
Seifenblasen, die es dazu von der Theaterdecke regnet.

VORWÄRTS.
Ein starkes Stück!
Das auf die Bühne geht: Die Revue des Lebens von Hanns Eisler und der Zeit, in der er lebte.
Beklemmend!
Wieviel Aktualität in den Texten, Liedern, Balladen der ersten Halbzeit [vor der Pause] steckt.
Ein starkes Stück!
Mit ausdrucksvollen Schauspielern, Sängern.
Die Mutter Eislers grandios gespielt und gesungen;
Überragend der "Puppenspieler", der im alten Eisler steckt!

VORWÄRTS.
Ich hab`s schon verraten:
Die Schreibe ist heute und hier von der HANNS-EISLER-REVUE.
Wer in Berlin wohnt, ist zu beneiden, weil Sie es nochmal und nochmal und nochmal schauen können.
Im Berliner Ensemble.

Allen anderen empfehle ich die LANGE Nacht der "Working Class Heroes" mit Hanns EISLER und John Lennon heute Nacht, 23 Uhr 05 bis zwei Uhr (Samstag auf Sonntag) im Deutschlandfunk:
http://www.dradio.de/dlf/sendungen/langenacht/

Als Trostpflaster bzw. zur Einstimmung - hier die Kinderhymne, die Hanns Eisler komponierte, ebenfalls eine ganz starke Darbietung im Schlussteil der Vorstellung des Berliner Ensembles. Dort aufgeführt mit dem "Puppenspieler" und drei Kindern. Hier nun - gesungen im Original von Eisler selbst – in folgendem Youtube-Video:

2827 mal gelesen
Margit (Gast) - 15. Jan, 13:49

Klingt richtig interessant. Schade, in der Provinz bekommt man so eine Aufführung nie zu sehen.

Teresa HzW - 25. Jan, 12:25

... deshalb ist Berlin eine Reise wert ;-)
Doch im Ernst, ich hätte auch gern eine DVD von dieser Aufführung. Ich glaube nicht, dass man sie auf 3SAT oder im Theaterkanal zu sehen bekommen wird.
Hr. u. Fr. Mast (Gast) - 16. Jan, 14:26

Auf der Suche nach einer Premierenkritik haben wir Ihr Blog entdeckt. Es ist wie Sie schreiben: Manfred Karge ist eine überragende Inszenierung gelungen!
Damals wie heute ist nicht das Gute, sondern das Geld gefragt. Für uns das Erschreckende, wie viele Ähnlichkeiten 90 Jahre später die Gegenwart aufweist. Die Menschen lernen nichts dazu. Anstatt aus der Geschichte zu lernen, sich mit der Vergangenheit auseinander zu setzen, werden wieder und wieder die Fehler wiederholt, die zu früheren Zeiten ins Verderben führten. Das ist das Tragische! Es möge dem Berliner Ensebmle gelingen, viele Menschen mit der Revue Hanns Eislers zu erreichen.

Teresa HzW - 25. Jan, 12:22

Rezensionen Hanns-Eisler-Revue... aller guter Dinge DREI

ENDLICH, gibt es die Theater-Kritik zur Hanns Eisler Revue!

Frank Dietschreit vom RBB-Kulturradio hat eine recht gute, ausführliche und sachlich fundierte Kritik geschrieben. Was er schreibt, kann ich nur bestätigen. Seine Rezension kann nachgelesen werden unter>>>
http://www.kulturradio.de/rezensionen/buehne/2011/berliner_ensemble.html

Georg Kasch berichtet in der NACHTKRITIK von dem kleinen Intermezzo der Grand Dame Gisela May. Vermutlich haben Sie wegen dieses Vorfalls nach einer Premierenkritik gesucht? Auf der NACHTKRITIK finden sich weitere ausführliche Kommentierungen – offensichtlich auch von anderen Theatergängern, die die Premiere sahen. Dann klicken Sie >>> hierhin http://nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=5144:redaktionsblog-n&catid=315:blog&Itemid=105

Die dazu gehörige kritisch-distanzierte, eher "vernichtende" Rezension von Kasch in der MORGENPOST ist mittlerweile auch online. Zu finden >>> HIER http://www.morgenpost.de/kultur/article1513226/Am-Berliner-Ensemble-tobt-der-Klassenkampf.html

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