Vorläufige amtliche Endergebnis ist da. Ausgezählt, Dennoch Angezählt... BW-[vor der]-Entscheidung

12:00 Uhr: Der Countdown läuft.
Die einen sind angezählt und die anderen noch nicht ausgezählt. Kommt es heute in Baden-Württemberg zu einem Machtwechsel?

Gewiss war kein Landtags-Wahlkampf so spannend wie dieser. Dies liegt in meiner Mikroregion sicher an den Themen, die Wahl entscheidend sein werden: Die Atompolitik und Stuttgart 21. Vor der Haustür: Ein abgeschaltetes Kernkraftwerk und ein Mega-Bahnhofspojekt, das bereits heute jeden Werktag die Geduld der S-Bahnfahrer in der Großregion Stuttgart auf die Probe stellt.

Allerdings liegt der Machtwechsel schon seit Monaten in der Luft. Vielleicht hätte es gar keines dieser brisanten Themen gebraucht? Vielleicht ist nach 58 Jahren einfach ein wenig die Luft raus? Immerhin regiert [je nachdem wie man zählt] bereits die dritte oder vierte konservative Generation. Baden-Württemberg der Erbprinzenhof der Christlichen Demokraten. Allerdings hat sich beides abgenutzt. Von den christilichen Werten blieb, seit die eigenen Parteileute die beiden langjährigen Eckpfeiler, den alten Landesvater und seinen Erbnachfolger, hinaus intrigierten, nicht mehr viel übrig. Das Demokratische haben die junge Ungestümen mit den Verblendeten leichtfertig im Herbst wegen eines Bahnhofs aufs Spiel gesetzt. Insofern fragen sich selbst Erzkonservative Schwaben, die seit 58 Jahren das Kreuz immer an der gleichen Stelle setzten: Braucht das Ländle nicht doch neue Besen, die den Mief und die Verkrustungen von sechs Jahrzehnten aus den schwarz-gelben Amtsstuben des Landes hinausfegen und ihre verzopften Bürokratismen abschneiden?

Da gibt es die einen Bürgerinnen und Bürger, Freunde und Bekannte, Nachbarinnen und Nachbarn, Kolleginnen und Kollegen, denen es eben nach Jahren moralinsauer aufstößt, wie die Konservativen höchstselbst den beliebten Landesvater vor fünf Jahren aus dem Amt gemobbt haben. Andere wiederum verzeihen es nicht, wie man dann den beim Volk bekannten Nachfolger, „den Günni“, mit bundespolitischer Unterstützung aus dem Ländle vertrieb und nach Brüssel weg mobbte. Insofern haben die Konservativen schon seit der letzten Wahl langsam und stetig ihre eigene Demontage betrieben und brauchen heute Abend nicht die Bundespolitiker zum Sündenbock abstempeln, wenn es nicht mehr fürs Regieren langen sollte. Ein gutes Stück weit hat sich die ehemals mächtige konservative Partei selbst an die Nase zu fassen. Ob es da hilft, dass die Parteioberen in der landesweiten Presse teure Anzeigen mit dem Altoberbürgermeister a.D. Rommel und namhaften Wirtschafts-, Wissenschafts- und Gesellschaftsvertretern schalteten?

Bitter enttäuscht sind viele protestantische, freiheitlich Denkende was in ihrem Stammland aus den freiheitlich Liberalen wurde. Wer nach Gutsherrenart regiert und durch Klientelpolitik zahlreiche gesellschaftliche und vor allem bestimmte Altersgruppen außen vor lässt, braucht sich heute Abend nicht wundern, wenn er eine Zitterpartie durchzustehen hat oder es ihm am Ende nicht mehr reicht. Wer unter seinem Personal nur männliche Jungakademiker und ein paar handverlesene Blondinen, beide am besten mit adeligem oder Großgrundbesitzer-Hintergrund hochkommen lässt, von dem wenden sich bürgerliche Babyboomer und die Silver Economy ab. Wie sollte einer – vielleicht gerade noch Mann, aber nicht mehr Frau – einen Liberalen wählen können, wenn man sich nicht mehr mit deren liberalen Gesichtern identifizieren kann. Ganz zu schweigen von der Intelligenz ihrer bundespolitischen Elite, die vor Monaten an irgendeiner Garderobe gewisser Berliner Etablissements abgegeben worden zu sein scheint. Das Wort „Führung“ verbietet sich, da Mann bei dieser Partei „Führung“ entweder mit „laisser faire“ oder mit „Spätrömischer Dekadenz“ verbindet. Der liberale Mann braucht sich im Ländle auch nicht wundern, wenn seine seit Jahren kopflose Partei mit Mann und Maus keine Themen mehr besetzt, denn dazu bedarf es wenigstens eines gewissen Mindestmaß an Grips wie auch der Fähigkeit, diese bürgernah zu kommunizieren.

Gemausert haben sich in den letzten fünf Jahren die Sozialdemokraten im Land. Sie haben sich aus dem Tal der Tränen, in das sie bei der letzten Landtagswahl gestürzt waren, durch neues Personal und stetige Sacharbeit heraus geackert. Ihrem Spitzenkandidaten und seinen Partei-Getreuen gelang das Unmögliche: schwierige Themen wie „Integration und Bildung“ aufzugreifen und bürgernah zu kommunizieren. Lediglich bei Stuttgart 21 gibt die Partei ein zerrissenes Bild ab. Andererseits spiegelt diese Zerrissenheit sehr gut den Riss, der quer durchs Land und sogar durch die Familien geht. Und vielleicht ist das dann auch der Grund, wenn es am Ende dann doch nicht so ganz reicht. Andererseits ist ihrer parlamentarischen Elite wenigstens der unermüdliche Einsatz um eine Volksabstimmung begünstigend anzurechnen, da sie wenigstens noch nach demokratischen Lösungen suchte, wie mit dem schwierigen Bahnhofsthema umgegangen werden könnte.

Die großen Gewinner der Wahl könnten tatsächlich die Grünen werden. Ob verdient oder nicht, das werden sie dann in den kommenden Jahren zeigen müssen, wenn es wirklich auf sie zuläuft. Die Weichen für den Wechsel haben sie jedenfalls schon seit Jahren gestellt. Insofern überrascht es politisch interessierte und die gesellschaftliche Entwicklung Baden-Württembergs aufmerksam verfolgende Bürger-innen nicht, wenn ein Grüner neuer Ministerpräsident wird. Seit gewiss zehn Jahren erobern Vertreter der Umweltpartei wichtige kommunalpolitische Spitzenämter im Land: Zahlreiche wichtige Oberbürgermeisterposten, wie etwa in Freiburg oder in Tübingen, haben die Grünen der CDU abgenommen. Hinzukommt, dass ihr Spitzenkandidat und seine Mitkämpfer-innen seit neun Jahren eine solide, kontinuierlich sich weiter entwickelnde Landespolitik f ü r die Menschen in diesem Land betreiben. Am meisten gefällt der moderne, Bürger nahe Kommunikationsstil.

Im Gegensatz zum politischen Establishment, die glaubten, gut zu kommunizieren, wenn sie eine Informationskampagne nach der anderen auf den Markt warfen, die Menschen mit bunten Aufklebern und dicken Broschüren fluteten oder Litfaßsäulen, Busse und Eisenbahnen im Land mit teuren Imageanzeigen zuklebten. Ein altes Sprichwort sagt „Wer nicht hören will, muss fühlen“, d.h. wer im Jahr 2011 nicht verinnerlicht hat, dass Kommunikation keine Informationen flutende Einbahnstraße ist, muss eben einmal für fünf Jahre auf die Oppositionsbank oder zurück in die Regionalliga, wenn es ganz dumm, eben nicht liberal, läuft, und sich von dort wieder heraus arbeiten.

Insofern sehe ich mit Spannung dem Wahlergebnis entgegen und mit mir Alter Egon, Mich, Maluceane, Lotte und wie sie alle heißen, die heute Abend mit mir in der guten Wohnstube zusammen rücken werden… getreu dem Motto: Entschieden wird letztlich nicht von den Demoskopen oder Medien, sondern von uns Bürger-innen in der Wahlkabine ;-)

21:27 Uhr:
Liebe Leserinnen und Leser,
das
vorläufige amtliche Endergebnis ist da!

Die Grünen können erstmals in Deutschland einen Ministerpräsidenten stellen!

Das vorläufige amtliche Endergebnis lautet:
CDU 39,0%
SPD 23,1%
Grün 24,2%
FDP 5,3%
Linke 2,8%
Andere 5,6%

Die Mehrheitsverhältnisse sind damit zwar denkbar knapp, aber dennoch klar:
Aufgrund von 18 Ausgleichs- und Überhangmandaten ergeben sich 138 Sitze im neuen Landesparlament von Baden-Württemberg.
Dies ergibt folgende Sitzverteilung:
CDU 60
SPD 35
Grüne 36
FDP 7

Zur absoluten Mehrheit sind 70 Sitze erforderlich, d.h. eine Grün-Rote Regierungskoalition kommt auf 71 Sitze und liegt damit klar vor einer Schwarz-Gelben [67 Sitze].

ES LÄUFT DAMIT ALLES AUF EINEN GRÜNEN MINISTERPRÄSIDENTEN ZU. DAS kann dem Spitzenkandidaten der Grünen eigentlich niemand mehr streitig machen.
Jetzt dürfen alle meine Blogleserinnen und Blogleser [aus Baden-Württemberg] jubeln! Ansonsten siehe unten auch den angewachsenen Diskussionsstrang.
Herzlichen Dank an alle die bisher hier eifrig mit diskutierten.
2320 mal gelesen
schreiben wie atmen - 27. Mär, 13:17

Na dann drücken wir uns mal gegenseitig die Daumen.

Wir kommen gerade aus dem Wahllokal zurück. So hoffnungsfroh ich zuvor war, seither hege ich doch wieder gewisse Zweifel. Aber bei uns ist halt Land, die Städte werdens rausreißen - hoffe ich.

Teresa HzW - 27. Mär, 14:00

Wir haben schon in aller Herrgottsfrüh s`Kreuz geschlagen ;-)

Erstaunlicherweise warteten bereits drei Leute - um kurz vor acht Uhr - vor dem Wahllokal [koi witzle]! Oder lag`s daran, dass die auch schnell wieder heim und zum Formel 1-Auftakt in Australien vor das TV-Gerät strebten - wie mein Alter Egon und Mich ;-)

P.S.
Von den drei Menschen, die da warteten, könnte ich schlecht auf die Wahlgesinnung schließen, liebe SWA, aber im Demoskopieren war ich noch nie gut ;-)
Eugene Faust - 27. Mär, 14:02

Das ist für manche ein Schritt, wie die Konfession zu wechseln oder aus der Kirche auszutreten.
Teresa HzW - 27. Mär, 14:21

Daher bin ich sehr gespannt, wie es ausgehen wird :-o
2 Wechselwähler (Gast) - 27. Mär, 18:23

Tschakka! Wer hätte d a s gedacht!

Teresa HzW - 27. Mär, 14:10

Hohe Wahlbeteiligung

Soeben, in den 14-Uhr-Nachrichten, meldet der SWR eine enorm hohe Wahlbeteiligung. Wenn ich mir die Meldungen ansehe, dann waren bis 10 bzw. 11 Uhr beinahe doppelt so viele Menschen an den Wahlurnen im Land als bei der letzten Landtagswahl [im Jahr 2006]:
In Stuttgart 8,7 [6,4]
Heidelberg 8,4 [4,9]
Ulm 4,1 [2,8]
Karlsruhe 3,9 [1,7]
[in Klammer: Wahlbeteiligung zum gleichen Zeitpunkt 2006]

Wer die aktuellen "Wasserstandsmeldungen" sucht, klicke dahin:
http://www.swr.de/nachrichten/wahl/bw/-/id=7502026/nid=7502026/did=7814990/1ccq61z/index.html

Neuschwabe (Gast) - 27. Mär, 18:40

Eine sehr treffende Analyse, die Sie vor der Wahlentscheidung aufgelegt haben, Frau Teresa. Wer hätte geglaubt, dass der historische Wechsel im konservativen Baden-Württemberg gelingt. Wage den Hochrechnungen kaum zu trauen. Wenn nur nichts mehr schief geht.

Wutbürgerin (Gast) - 27. Mär, 19:16

Man soll niemand etwas schlechtes wünschen, wer jedoch selbst in der Niederlage arrogante Äußerungen absondert wie soeben in ZDF-Heute der FDP-Spitzenkandidat aus Baden-Württemberg, dem wünsche ich, dass er am Ende mit seiner Partei den Einzug in den Landtag NICHT schafft. Wer wie die Landes-FDP mit dem Wirtschaftsminister zugleich den Energieminister stellt, aber zu blöde ist, dies medien- und öffentlichkeitswirksam unter die eigenen Landsleute zu bringen, der ist eines Sitzes im Landesparlament selbst auf der Oppositionsbank nicht würdig.
Teresa HzW - 27. Mär, 20:22

@Neuschwabe

Sie haben Recht, werter Neuschwabe, noch ist es der Abend der Hochrechnungen und kein einziges Ergebnis ist amtlich! Insofern ist Ihre vorsichtige Haltung gut nachvollziehbar.

Ungefähr die Hälfte der 70 Wahlkreise ist jetzt zur Tagesschau ausgezählt. Fest steht bisher nur, dass in einigen Wahlkreisen die Grünen oder die SPD der CDU Direktmandate abnehmen konnten: beispielsweise gingen im Wahlkreis Heidelberg und Mannheim II die Direktmandate an die Grünen; im Wahlkreis Mannheim I an die SPD.

Aufgrund des komplizierten Wahlrechts in Baden-Württemberg mit seinen Überhangmandaten und der Aufrundung zugunsten der stärksten Partei (das wäre mit 39 Komma x immer noch die CDU) bleibt es bis zum amtlichen Endergebnis eine kleine Zitterpartie.

Daher: Wer zuletzt lacht, lacht [erst] am besten. Ihre Vorsicht ist berechtigt.
Teresa HzW - 27. Mär, 20:46

@Wutbürgerin

Es ist zur Stunde ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Schwarz-Gelb auf der einen Seite und Grün-Rot auf der anderen. Auch wenn die Grünen einen historischen Wahlsieg eingefahren haben. Sie ziehen mit doppelt so vielen Abgeordneten wie bisher in den Landtag.

Allerdings benötigt Grün-Rot bei 139 Sitzen im Landesparlament wenigstens 70 Sitze. Im Augenblick haben sie mit 71 Parlamentssitzen gerade einen Sitz mehr zur absoluten Mehrheit und im Vergleich zur Schwarz-Gelben-Bank drei Sitze mehr.

Insofern bleibt die Nacht spannend bis das endgültige amtliche Wahlergebnis vorliegt.

Was Ihre Meinung zur FDP betrifft, das ist das Thema Kommunikation, wie ich es oben in meinem Ur-Beitrag zu diesem Diskussionsstrang darlegte.
Ansonsten - wenn man sich das Organigramm des Hauses des FDP-Noch-Wirtschaftsministers ansieht, dann ist er tatsächlich auch der Energieminister. Selber schuld, wenn er eine eigene Energie-Abteilung im Ministerium hat und dies dann so schlecht für sich und die FDP gerade in den letzten beiden Wochen zu nutzen wusste.

Hier gehts zum Organigramm des Wirtschafts- und Energieministerium im Ländle
http://www.wm.baden-wuerttemberg.de/fm7/1106/Organigramm%2001_05_10.pdf
Teresa HzW - 27. Mär, 21:09

Aktuelle Hochrechnung

Es sind jetzt, um 20:58 Uhr über 60 Wahlkreise [von 70] ausgezählt, d.h. die Hochrechnung wird stabil.
CDU 39,0%
SPD 23,1%
Grün 24,2%
FDP 5,3%

Aufgrund von 18 Ausgleichs- und Überhangmandaten ergeben sich momentan 138 Sitze im Landesparlament.
Dies ergäbe folgende Sitzverteilung:
CDU 60
SPD 35
Grüne 36
FDP 7

Zur absoluten Mehrheit sind 70 Sitze erforderlich, d.h. Schwarz-Gelb käme auf 67, Grün-Rot auf 71 Sitze im Landtag.

Interessant: Die Grünen erobern weitere wichtige Direktmandate in den Wahlkreisen Stuttgart I (=City) geht erstmals an eine Grüne, Stuttgart II (= Fildern, Messe und Flughafen) dort geht das Direktmandat an den verkehrspolitischen Sprecher der Grünen, der Stuttgarter Wahlkreis IV (= Neckarvororte) geht an die Vorsitzende des Sozialausschuss der Grünen.
Freiburg I (= östl. Teil mit den ländlichen Gebieten im Hochschwarzwald) geht an den verbraucherpolitischen Sprecher der Grünen, der damit dem stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der CDU das Direktmandat abjagte.
Freiburg II (= westliche Teil) geht an die wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Grünen im Landtag.
In Tübingen geht das Direktmandat erstmals an einen Grünen.
Eine neue Grünenhochburg gibt es seit heute in Konstanz. In der Hochschulstadt geht erstmals das Direktmandat an einen Grünen.

Lediglich der amtierende Ministerpräsident konnte mit 44% sein Direktmandat in Pforzheim verteidigen und wenigstens das wieder holen.
Dem Spitzenkandidaten der SPD gelang es nicht, in seinem Wahlkreis, Reutlingen, das Direktmandat zu holen. Das bleibt bei der CDU.

Teresa HzW - 27. Mär, 21:30

Vorläufige amtliche Endergebnis ist da!

Es lautet:
CDU 39,0%
SPD 23,1%
Grün 24,2%
FDP 5,3%
Linke 2,8%
Andere 5,6%

Die Mehrheitsverhältnisse sind damit zwar denkbar knapp, aber dennoch klar:
Aufgrund von 18 Ausgleichs- und Überhangmandaten ergeben sich 138 Sitze im neuen Landesparlament von Baden-Württemberg.
Dies ergibt folgende Sitzverteilung:
CDU 60
SPD 35
Grüne 36
FDP 7

Zur absoluten Mehrheit sind 70 Sitze erforderlich, d.h. eine Grün-Rote Regierungskoalition kommt auf 71 Sitze und liegt damit klar vor einer Schwarz-Gelben [67 Sitze].

ES LÄUFT DAMIT ALLES AUF EINEN GRÜNEN MINISTERPRÄSIDENTEN ZU.
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