Büchertraum
Es gibt Bücher, von denen nur geträumt werden kann; weil sie zu umfänglich, um im Alltag zu lesen, oder kaum erschwinglich, vom Preis her. Beides trifft auf [m]ein derzeitiges Traumbuch zu.
Es entspräche, setzte man seinen Inhalt in normale Standardbücher, "umfangmäßig… 17 Bücher". Kein geringerer als sein Autor selbst sagte dies über sein "eines großes Buch", das von vielen - Literaten und Literaturwissenschaftlern wie auch Bibliothekaren und Buchhändlern - als "hohes Kunstwerk" angesehen wird.
Was fasziniert daher an diesem "Traumwerk"?
Da ist zum einen das ungewöhnlich hohe Format, wie wohl ich in diesen Tagen auch noch ein anderes in dieser Größe und Schwere von sieben Kilogramm gesehen und gehoben hatte.
Zum anderen begeistert mich seine typografische Form: die dreispaltige seinem Inhalt entsprechende Aufmachung. Typografisch erinnert es mich an das gute alte Zeitungshandwerk, wie ich es noch vor x-Jahr[zehnt]en erlernt. Es gibt in diesem Buch eine Fülle von typografischen [auch Wort]Gebilden, die gar nicht oder nur in Extremfällen [satztechnisch] getrennt werden dürfen, z.B. sogenannte "Ramifikationen", also Wörter, die innerhalb einer Zeile übereinander gestellt sind oder Interpunktionsfolgen [übrigens, für alle, die bereits rätseln, von welchem Autor und seinem Kunstwerk hier die Rede ist, diese sind ein typisches Merkmal der Texte jenes Schriftstellers ;-)]. Typografisch ist der inhaltliche Text dergestalt gebaut, dass es in des Leser[s]innen Augenhöhe über die drei Spalten hinweg fließende Lese-Übergänge gibt: von links–zur Mitte–nach rechts hin.
Inhaltlich fasziniert mich, dass es sich dem Werk und der Zeit des Schriftstellers Edgar Allan Poe widmet.
Ein weiteres Faszinosum: Jede dieser drei Satz-Spalten beinhaltet einen eigenen Erzählstrang. Eine, die mittlere, gehört dem sog. "Überbuch". Es erzählt eine Art romantische Mehr-Ecks-[Liebes]Geschichte: zwischen dem alternden Schriftsteller Daniel Pagenstecher und der sechszehnjährigen Franziska Jacobi sowie ihren Eltern Wilma und Paul Jacobi, einem Übersetzer-Ehepaar, die sich dem Werk Edgar Allan Poe`s verschrieben haben. Inhaltlich wird in dem Megawerk darüber hinaus von den Anstrengungen des Übersetzer-Berufs und den Brotarbeiten im Literaturbetrieb sowie aus dem Leben eines Schriftstellers erzählt. All dies spielt sich in der mittleren Spalte des Buches mit Überlappungen in die linke und rechte Spalte ab. Die linke Spalte gehört ansonsten Edgar Allan Poe und die rechte Spalte ist zeitlos.
Der Schauplatz rsp. Ort der Handlung ist in der mittleren Spalte, im "Überbuch", der Landkreis Celle; in der linken Spalte Poes Amerika in der Dekade 1830 bis etwa 1840; in der rechten Spalte wechselt der Ort.
Bzgl. der "Figuren" gibt es eben diese zwei Hauptpaare. Im Laufe der erzählten Zeit, die einen Julitag von morgens halbvier bis zum nächsten Morgen um halbvier umfasst, gesellen sich viele weitere Nebenpersonen und Pärchen zu diesen Protagonisten.
Mir kommt das Buch, das auf seinen mehr als 1530 Seiten kein Thema auslässt, wie ein riesiger "Voyeurs-Guckkasten" vor. Philosophiert wird über vielerlei, beispielsweise über die Psychologie des Schreibens, darüber, was die Wortwahl des Schriftstellers über sein Unbewusstes verrät: Egal wie gelehrt ein Text sein mag, der Klang seiner Worte assoziiert oft ganz andere Dinge. Beispiele liefert die Hauptfigur Daniel Pagenstecher [das Alter Ego des Autors? - frage ich mich] aus der englischen Sprachwelt Edgar Allan Poe`s. Dort verbirgt sich hinter einzelnen englischen Begriffen, die für eine Vielzahl von Bedeutungen stehen [sog. Homonymen], oft ein erotischer oder sexuell aufgeladener Subtext. Dieser Subtext entsteht oftmals auch durch "Maskierung" [wovon ich es dieser Tage ja auch schon hatte und manch eine[r] von Ihnen mag beim Lesen >>>jener Zeilen vielleicht geahnt haben, das ich nicht nur vom Fasching schreibe ;-) - ]. Jedenfalls verwandelt der Erzähler [m]eines Buchtraumes seine handelnden Figuren in Pflanzen oder Tiere, die dann als Symbol für anderes stehen. Beispielsweise dreht sich irgendwo im ersten Drittel des Werks das Gespräch der Personen um Blumen und Obst als literarische Metaphern für Körperteile. Viele Seiten weiter nehmen die beiden männlichen Hauptfiguren auf einem Spaziergang zum Dorfteich einen Zaubertrank zu sich und einen Schluck später verwandelt sich die Badegesellschaft im Wasser in Schiffe, während die beiden Spaziergänger als Matrosen um den Teich herum wandeln…
Es ließe sich noch viel mehr erzählen, wenn der Buchladen, in dem ich gestern gewesen, nicht geschlossen und ich daher das Buch nicht hätte zurückstellen müssen.
Das Werk, von dem hier die Rede ist, in das ich hinein blätterte, hie und da hinein las, ist natürlich Zettels Traum. Es machte seinen Autor, Arno Schmidt, auf einen Schlag berühmt.
Für normal sterbliche Buchleser[innen] ist es, zum stolzen Preis von in Worten dreihundertachtundvierzig Euro leider unbezahlbar.
Dafür kann sich ein[e] Leser[in] ein Jahr lang jeden Monat eine Hardcover-Neuerscheinung zum Preis von 19,95 € bis 24,95 € plus zusätzlich einem Taschenbuch pro Monat gönnen. Ganz zu schweigen davon, dass sich dieses Buch aufgrund seiner Größe und Schwere [7 Kilo] auch nicht als Sofa- geschweige denn Bettlektüre eignet.
Bleibt nur zu hoffen, dass es irgendwann einmal in naher ferner Zukunft zu einem mehrbändigen und dann erschwinglicheren Paperback-Preis auch für die interessierte Durchschnittsleserschaft erhältlich.
Zumal - wollte eine[r] es dann wirklich lesen [und nicht nur als Zierde ins Regal stellen, wie es gewiß auch einige Sammler tun], könnte ein[e] geneigte[r] Arno Schmidt-Leser[in] ein Jahr lang ohnehin kaum ein anderes Buch lesen. Es fordert[e] gewiss die ganze Lese-Aufmerksamkeit. Ein abschweifendes Nebenher-Lesen anderer Romane oder Bücher wäre dabei kaum möglich.
Alternativ bliebe die Möglichkeit, jede Woche sieben Euro [an anderen Ausgaben] einsparend sich anzusparen, dann wäre es möglich in einem Jahr sich diesen Zetteltraum zu erfüllen. Eine andere Möglichkeit: Lotto spielend auf einen Vierer hoffend.
Oder doch lieber als Trostpflästerchen ein anderes Traumbuch kaufen, das erschwinglicher: "Für alle Tage. Ein Lebensbuch" von Leo Nikolajewitsch Tolstoi!? Dieses 760seitige Werk gibt’s ebenfalls in einem Schuber, jedoch für in Worten neunundvierzig Euro fünfundneunzig Cents. Aber d e m Werk ist nicht das facettenreiche - oben ausgeführte - Faszinosum eingeschrieben u n d es handelt leider nicht von und über Edgar Allan Poe :-(
2998 mal gelesen
Es entspräche, setzte man seinen Inhalt in normale Standardbücher, "umfangmäßig… 17 Bücher". Kein geringerer als sein Autor selbst sagte dies über sein "eines großes Buch", das von vielen - Literaten und Literaturwissenschaftlern wie auch Bibliothekaren und Buchhändlern - als "hohes Kunstwerk" angesehen wird.
Was fasziniert daher an diesem "Traumwerk"?
Da ist zum einen das ungewöhnlich hohe Format, wie wohl ich in diesen Tagen auch noch ein anderes in dieser Größe und Schwere von sieben Kilogramm gesehen und gehoben hatte.
Zum anderen begeistert mich seine typografische Form: die dreispaltige seinem Inhalt entsprechende Aufmachung. Typografisch erinnert es mich an das gute alte Zeitungshandwerk, wie ich es noch vor x-Jahr[zehnt]en erlernt. Es gibt in diesem Buch eine Fülle von typografischen [auch Wort]Gebilden, die gar nicht oder nur in Extremfällen [satztechnisch] getrennt werden dürfen, z.B. sogenannte "Ramifikationen", also Wörter, die innerhalb einer Zeile übereinander gestellt sind oder Interpunktionsfolgen [übrigens, für alle, die bereits rätseln, von welchem Autor und seinem Kunstwerk hier die Rede ist, diese sind ein typisches Merkmal der Texte jenes Schriftstellers ;-)]. Typografisch ist der inhaltliche Text dergestalt gebaut, dass es in des Leser[s]innen Augenhöhe über die drei Spalten hinweg fließende Lese-Übergänge gibt: von links–zur Mitte–nach rechts hin.
Inhaltlich fasziniert mich, dass es sich dem Werk und der Zeit des Schriftstellers Edgar Allan Poe widmet.
Ein weiteres Faszinosum: Jede dieser drei Satz-Spalten beinhaltet einen eigenen Erzählstrang. Eine, die mittlere, gehört dem sog. "Überbuch". Es erzählt eine Art romantische Mehr-Ecks-[Liebes]Geschichte: zwischen dem alternden Schriftsteller Daniel Pagenstecher und der sechszehnjährigen Franziska Jacobi sowie ihren Eltern Wilma und Paul Jacobi, einem Übersetzer-Ehepaar, die sich dem Werk Edgar Allan Poe`s verschrieben haben. Inhaltlich wird in dem Megawerk darüber hinaus von den Anstrengungen des Übersetzer-Berufs und den Brotarbeiten im Literaturbetrieb sowie aus dem Leben eines Schriftstellers erzählt. All dies spielt sich in der mittleren Spalte des Buches mit Überlappungen in die linke und rechte Spalte ab. Die linke Spalte gehört ansonsten Edgar Allan Poe und die rechte Spalte ist zeitlos.
Der Schauplatz rsp. Ort der Handlung ist in der mittleren Spalte, im "Überbuch", der Landkreis Celle; in der linken Spalte Poes Amerika in der Dekade 1830 bis etwa 1840; in der rechten Spalte wechselt der Ort.
Bzgl. der "Figuren" gibt es eben diese zwei Hauptpaare. Im Laufe der erzählten Zeit, die einen Julitag von morgens halbvier bis zum nächsten Morgen um halbvier umfasst, gesellen sich viele weitere Nebenpersonen und Pärchen zu diesen Protagonisten.
Mir kommt das Buch, das auf seinen mehr als 1530 Seiten kein Thema auslässt, wie ein riesiger "Voyeurs-Guckkasten" vor. Philosophiert wird über vielerlei, beispielsweise über die Psychologie des Schreibens, darüber, was die Wortwahl des Schriftstellers über sein Unbewusstes verrät: Egal wie gelehrt ein Text sein mag, der Klang seiner Worte assoziiert oft ganz andere Dinge. Beispiele liefert die Hauptfigur Daniel Pagenstecher [das Alter Ego des Autors? - frage ich mich] aus der englischen Sprachwelt Edgar Allan Poe`s. Dort verbirgt sich hinter einzelnen englischen Begriffen, die für eine Vielzahl von Bedeutungen stehen [sog. Homonymen], oft ein erotischer oder sexuell aufgeladener Subtext. Dieser Subtext entsteht oftmals auch durch "Maskierung" [wovon ich es dieser Tage ja auch schon hatte und manch eine[r] von Ihnen mag beim Lesen >>>jener Zeilen vielleicht geahnt haben, das ich nicht nur vom Fasching schreibe ;-) - ]. Jedenfalls verwandelt der Erzähler [m]eines Buchtraumes seine handelnden Figuren in Pflanzen oder Tiere, die dann als Symbol für anderes stehen. Beispielsweise dreht sich irgendwo im ersten Drittel des Werks das Gespräch der Personen um Blumen und Obst als literarische Metaphern für Körperteile. Viele Seiten weiter nehmen die beiden männlichen Hauptfiguren auf einem Spaziergang zum Dorfteich einen Zaubertrank zu sich und einen Schluck später verwandelt sich die Badegesellschaft im Wasser in Schiffe, während die beiden Spaziergänger als Matrosen um den Teich herum wandeln…
Es ließe sich noch viel mehr erzählen, wenn der Buchladen, in dem ich gestern gewesen, nicht geschlossen und ich daher das Buch nicht hätte zurückstellen müssen.
Das Werk, von dem hier die Rede ist, in das ich hinein blätterte, hie und da hinein las, ist natürlich Zettels Traum. Es machte seinen Autor, Arno Schmidt, auf einen Schlag berühmt.
Für normal sterbliche Buchleser[innen] ist es, zum stolzen Preis von in Worten dreihundertachtundvierzig Euro leider unbezahlbar.
Dafür kann sich ein[e] Leser[in] ein Jahr lang jeden Monat eine Hardcover-Neuerscheinung zum Preis von 19,95 € bis 24,95 € plus zusätzlich einem Taschenbuch pro Monat gönnen. Ganz zu schweigen davon, dass sich dieses Buch aufgrund seiner Größe und Schwere [7 Kilo] auch nicht als Sofa- geschweige denn Bettlektüre eignet.
Bleibt nur zu hoffen, dass es irgendwann einmal in naher ferner Zukunft zu einem mehrbändigen und dann erschwinglicheren Paperback-Preis auch für die interessierte Durchschnittsleserschaft erhältlich.
Zumal - wollte eine[r] es dann wirklich lesen [und nicht nur als Zierde ins Regal stellen, wie es gewiß auch einige Sammler tun], könnte ein[e] geneigte[r] Arno Schmidt-Leser[in] ein Jahr lang ohnehin kaum ein anderes Buch lesen. Es fordert[e] gewiss die ganze Lese-Aufmerksamkeit. Ein abschweifendes Nebenher-Lesen anderer Romane oder Bücher wäre dabei kaum möglich.
Alternativ bliebe die Möglichkeit, jede Woche sieben Euro [an anderen Ausgaben] einsparend sich anzusparen, dann wäre es möglich in einem Jahr sich diesen Zetteltraum zu erfüllen. Eine andere Möglichkeit: Lotto spielend auf einen Vierer hoffend.
Oder doch lieber als Trostpflästerchen ein anderes Traumbuch kaufen, das erschwinglicher: "Für alle Tage. Ein Lebensbuch" von Leo Nikolajewitsch Tolstoi!? Dieses 760seitige Werk gibt’s ebenfalls in einem Schuber, jedoch für in Worten neunundvierzig Euro fünfundneunzig Cents. Aber d e m Werk ist nicht das facettenreiche - oben ausgeführte - Faszinosum eingeschrieben u n d es handelt leider nicht von und über Edgar Allan Poe :-(
Teresa HzW - 10. Mär, 11:21 - Rubrik Bibliothek
Zettels Traums Ausgabe.
Die neue Ausgabe ist hingegen das, kann man schon sagen, Lebenswerk des genialen Buchgestalters >>>> Friedrich Forssmann und schon für sich genommen ein Kunstwerk, das man nicht anders kann, als es eine besondere Hommage an Arno Schmidt zu nennen. Die Ausgabe kam in über ein Jahrzehnt währender Arbeit zustande; rein verlegerisch wäre sie unmöglich gewesen und wohl nie realisiert worden, hätte es nicht Reemtsmas Arno-Schmidt-Stiftung einerseits, vor allem aber Forssmanns Leidenschaft für dieses Projekt gegeben, der er obsessiv auch gegen harte Widerstände - nicht zuletzt des Materials - bis zur Geburt dieser neuen Ausgabe unnachgebig folgte.
@AlbanNikolaiHerbst
Für Ihre Hinweise und Hintergrundinformationen danke ich Ihnen sehr, lieber ANH, sie sind sehr aufschlussreich und ich bin gerne Ihren hier angegebenen Links nachgegangen. Dadurch auf weitere interessante Interpretationen zu Arno Schmidts Poetik und Ästhetik [in Buchform bei Amazon] gestossen. Und schließlich auf die schönen Bücher des Verlag Hermann Schmidt aufmerksam geworden.
Als "Ersatz" habe ich mir nun die Audioversion zu Zettels Traum bestellt und bin sehr gespannt, wie dieses gigantische Werk mit der Überlappung der drei "Strähnen" für den Hörer aufgeschlossen wird. Eine kurze Hörprobe fand ich auf iTunes und war fasziniert von der Komposition der polyphonen Textlese. Ich glaube, dass wird [mir] ein besonderer Hörgenuss werden, wenn ich derzeit auf den wahren Lesegenuss [noch] verzichten muss.
Ich habe beschlossen, aufs Original zu sparen ;-)