Nestbeschmutzer und Säulenheiliger?
Heute erinnere ich an einen, der stets unbequem war.
Die einen verehrten ihn schon zu Lebzeiten als "Menschendurchschauer", die anderen beschimpften ihn als "Misanthrop", nicht nur seiner Wutausbrüche wegen. Dennoch: Seine Theaterstücke werden auf der ganzen Welt gespielt, seine Romane und Erzählungen in viele Sprachen übersetzt und gelesen.
Heute vor achtzig Jahren wurde er, Thomas Bernhard, unehelich in Holland geboren und erlebte eine Jugend voller Qual, die er in "Ursache" aufarbeitet, welche im RBB derzeit vor-gelesen wird.
Er hasste alles Konventionelle in der Gesellschaft und hat es dennoch immer mitgemacht, mal wohlwollend, meist übel gelaunt. Vielleicht, weil er früh vom Leben erschöpft war!? Daher muss man sein Leben eigentlich vom Ende her lesen. Er schrieb über Verfall und Wahnsinn. Rhythmisch. Musikalisch. Vielleicht konnte er so frech und ohne Rücksicht zu nehmen, schreiben, weil er als Lungenkranker selbst so nah am Tod war und nichts zu verlieren hatte. Den Schatten des Todes bezeichnete er selbst als "Todesvogerl", das ihn auf der rechten Schulter sitzend, stets begleite.
Fasziniert habe ich vor mehr als einem Jahr das geistige Armdrücken, den Briefwechsel, den er sich mit seinem Verleger Siegfried Unseld über Jahre hinweg lieferte, nachgelesen. Deutlich wird in den etwa 500 Briefen, die dieser seltene Briefwechsel zwischen einem Verleger und seinem Autor umfasst, das Genie jenes Schriftstellers, das der Suhrkampverleger schon früh erkannt zu haben scheint. Erstaunlich finde ich, mit welcher Energie ihm Unseld entgegenkam. Und wie unverschämt sich dieser Schriftsteller seinem Verleger gegenüber oft zeigte. Das wäre heute sicher nicht mehr so möglich, davon bin ich überzeugt. Seine eigene [=Bernhards] Unverfrorenheit hat dieser selbst einmal festgehalten (in Thomas Bernhard, Unseld, S. 237ff): "Der Anfang meiner Beziehung zu Unseld war eine Forderung gewesen, um nicht sagen zu müssen, eine Erpressung meinerseits. Ich forderte von Unseld zwei Jahre nach dem Erscheinen von Frost und zwei Jahre vor dem Erscheinen von Verstörung, im Jänner 1965, 40.000 (in Worten: vierzigtausend) Mark; weil ich es eilig hatte, in zwanzig Minuten [als er ihn in Frankfurt aufsuchte]. Angeblich hatte Unseld zu diesem Zeitpunkt, wie seine Frau mir neunzehn Jahre später versicherte, vierzig Grad Fieber gehabt. Ich forderte also damals, wie ich heute denke, für jeden Fiebergrad des Verlegers oder für jede halbe Minute des Verlegers, tausend Mark. Nach diesem Geschäft, das mich im Höchstmaß befriedigte und das zur Rettung meines Ohlsdorfer Narrenhauses notwendig war, fuhr ich nach Gießen, um einen Vortrag zu halten, und dachte die ganze Zeit, dass gute Geschäfte machen wenigstens so schön ist wie Schreiben…." (nachzulesen auch in Bernhard/Unseld, Der Briefwechsel, S. 18)
So geht es in diesem Briefwechsel zwischen Schriftsteller und Verleger wenigstens in jedem dritten Brief um das liebe Geld. Dieses scheint eine nicht unerhebliche Rolle in Bernhards Leben gespielt zu haben. Selbst bei Preisverleihungen, z.B. der des Literaturpreises der Freien Hansestadt Bremen für seinen Roman Frost , dachte er daran, während ein anderer die Laudatio über ihn hielt: "Ein Mann betrat das Podium und sprach über mich….Er sprach sehr eindringlich und es war lauter Lob, wie ich mich erinnere, aber ich verstand nichts von allem. Ich sah die ganze Zeit nur meine Mauern von Nathal [= die seines künftigen Vierseithofes] und dachte nach, wie ich diese Mauern bezahlen werde. Dass es sich immer solange hinzieht, dachte ich, bis das Geld endlich flüssig geworden ist." (Bernhard, Meine Preise, S.44f).
Interessant ist, was auch ein anderer langjähriger Geschäftsfreund, sein "Liegenschaftshändler", der mittlerweile neunzigjährige Karl Ignaz Hennetmair, über Bernhard in einem aktuellen Artikel in der Printausgabe der Zeitschrift Datum berichtet: Nicht nur über gemeinsame Lebensgewohnheiten, wie tägliche Spaziergänge der beiden, sondern wie er den Schriftstellerfreund auch in dessen "alltagsuntaugliche Phasen" unterstützte, also etwa, dass er dem Schriftsteller "sämtliche seiner drei Häuser verkauft, auf diese aufgepasst und seine Korrespondenz abwickelte" sei es mit dem Bürgermeister des Ortes oder Theatergrößen…
Es ist spannend, über diese Zeiten in vergangenen Welten, sei es im Briefwechsel oder in Zeitschriftenartikel, nachzulesen. Geben sie doch Einblick in eine monumentale Zeit, in ein Stück Verlagsgeschichte, in eine österreichische Zeit, in Verhältnisse, die einem heute im Zeitalter der Digitalisierung vorkommen wie der Blick in ein Museum.
Oder kann es solche Beziehungen – wie etwa die zwischen seinem Verleger und ihm bzw. die zu seinem "Liegenschaftshändler" heute noch geben?
ALLERDINGS:
Je mehr man über Bernhard liest, umso weniger sicher ist man sich als Leser[in], ob er sich damals nicht doch auch ein Stück weit öffentlich inszeniert hat? Waren seine Wutausbrüche tatsächlich echt? Oder doch stilisiert?
Wie dem auch sei? ER hatte gewiss viele Gesichter, so viel ist sicher.
Ob er in der heutigen medialen Welt auch noch als der Misanthrop, der unversöhnliche Geist, wahrgenommen würde?
Was er zu Lebzeiten schrieb, könnte als Beleg dafür herhalten, dass er auch heute nicht versöhnlicher wäre. Gerade Beispiele anderer noch lebender Großschriftsteller zeigen, dass man im Alter nicht seinen Frieden mit der Welt zu machen braucht.
ÜBRIGENS:
Bernhard hatte sich bereits zu Lebzeiten "jede Geburtstagsfeier verbeten". Und dennoch wird sein Achtzigster heute und in den nächsten Wochen im deutschsprachigen Raum in vielfältiger Weise gefeiert.
Thomas Bernhard – gewiss - ein unbeugsamer Geist, von dem man sich manches abschauen kann, nicht nur in schreibender Weise ;-)
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Die einen verehrten ihn schon zu Lebzeiten als "Menschendurchschauer", die anderen beschimpften ihn als "Misanthrop", nicht nur seiner Wutausbrüche wegen. Dennoch: Seine Theaterstücke werden auf der ganzen Welt gespielt, seine Romane und Erzählungen in viele Sprachen übersetzt und gelesen.
Heute vor achtzig Jahren wurde er, Thomas Bernhard, unehelich in Holland geboren und erlebte eine Jugend voller Qual, die er in "Ursache" aufarbeitet, welche im RBB derzeit vor-gelesen wird.
Er hasste alles Konventionelle in der Gesellschaft und hat es dennoch immer mitgemacht, mal wohlwollend, meist übel gelaunt. Vielleicht, weil er früh vom Leben erschöpft war!? Daher muss man sein Leben eigentlich vom Ende her lesen. Er schrieb über Verfall und Wahnsinn. Rhythmisch. Musikalisch. Vielleicht konnte er so frech und ohne Rücksicht zu nehmen, schreiben, weil er als Lungenkranker selbst so nah am Tod war und nichts zu verlieren hatte. Den Schatten des Todes bezeichnete er selbst als "Todesvogerl", das ihn auf der rechten Schulter sitzend, stets begleite.
Fasziniert habe ich vor mehr als einem Jahr das geistige Armdrücken, den Briefwechsel, den er sich mit seinem Verleger Siegfried Unseld über Jahre hinweg lieferte, nachgelesen. Deutlich wird in den etwa 500 Briefen, die dieser seltene Briefwechsel zwischen einem Verleger und seinem Autor umfasst, das Genie jenes Schriftstellers, das der Suhrkampverleger schon früh erkannt zu haben scheint. Erstaunlich finde ich, mit welcher Energie ihm Unseld entgegenkam. Und wie unverschämt sich dieser Schriftsteller seinem Verleger gegenüber oft zeigte. Das wäre heute sicher nicht mehr so möglich, davon bin ich überzeugt. Seine eigene [=Bernhards] Unverfrorenheit hat dieser selbst einmal festgehalten (in Thomas Bernhard, Unseld, S. 237ff): "Der Anfang meiner Beziehung zu Unseld war eine Forderung gewesen, um nicht sagen zu müssen, eine Erpressung meinerseits. Ich forderte von Unseld zwei Jahre nach dem Erscheinen von Frost und zwei Jahre vor dem Erscheinen von Verstörung, im Jänner 1965, 40.000 (in Worten: vierzigtausend) Mark; weil ich es eilig hatte, in zwanzig Minuten [als er ihn in Frankfurt aufsuchte]. Angeblich hatte Unseld zu diesem Zeitpunkt, wie seine Frau mir neunzehn Jahre später versicherte, vierzig Grad Fieber gehabt. Ich forderte also damals, wie ich heute denke, für jeden Fiebergrad des Verlegers oder für jede halbe Minute des Verlegers, tausend Mark. Nach diesem Geschäft, das mich im Höchstmaß befriedigte und das zur Rettung meines Ohlsdorfer Narrenhauses notwendig war, fuhr ich nach Gießen, um einen Vortrag zu halten, und dachte die ganze Zeit, dass gute Geschäfte machen wenigstens so schön ist wie Schreiben…." (nachzulesen auch in Bernhard/Unseld, Der Briefwechsel, S. 18)
So geht es in diesem Briefwechsel zwischen Schriftsteller und Verleger wenigstens in jedem dritten Brief um das liebe Geld. Dieses scheint eine nicht unerhebliche Rolle in Bernhards Leben gespielt zu haben. Selbst bei Preisverleihungen, z.B. der des Literaturpreises der Freien Hansestadt Bremen für seinen Roman Frost , dachte er daran, während ein anderer die Laudatio über ihn hielt: "Ein Mann betrat das Podium und sprach über mich….Er sprach sehr eindringlich und es war lauter Lob, wie ich mich erinnere, aber ich verstand nichts von allem. Ich sah die ganze Zeit nur meine Mauern von Nathal [= die seines künftigen Vierseithofes] und dachte nach, wie ich diese Mauern bezahlen werde. Dass es sich immer solange hinzieht, dachte ich, bis das Geld endlich flüssig geworden ist." (Bernhard, Meine Preise, S.44f).
Interessant ist, was auch ein anderer langjähriger Geschäftsfreund, sein "Liegenschaftshändler", der mittlerweile neunzigjährige Karl Ignaz Hennetmair, über Bernhard in einem aktuellen Artikel in der Printausgabe der Zeitschrift Datum berichtet: Nicht nur über gemeinsame Lebensgewohnheiten, wie tägliche Spaziergänge der beiden, sondern wie er den Schriftstellerfreund auch in dessen "alltagsuntaugliche Phasen" unterstützte, also etwa, dass er dem Schriftsteller "sämtliche seiner drei Häuser verkauft, auf diese aufgepasst und seine Korrespondenz abwickelte" sei es mit dem Bürgermeister des Ortes oder Theatergrößen…
Es ist spannend, über diese Zeiten in vergangenen Welten, sei es im Briefwechsel oder in Zeitschriftenartikel, nachzulesen. Geben sie doch Einblick in eine monumentale Zeit, in ein Stück Verlagsgeschichte, in eine österreichische Zeit, in Verhältnisse, die einem heute im Zeitalter der Digitalisierung vorkommen wie der Blick in ein Museum.
Oder kann es solche Beziehungen – wie etwa die zwischen seinem Verleger und ihm bzw. die zu seinem "Liegenschaftshändler" heute noch geben?
ALLERDINGS:
Je mehr man über Bernhard liest, umso weniger sicher ist man sich als Leser[in], ob er sich damals nicht doch auch ein Stück weit öffentlich inszeniert hat? Waren seine Wutausbrüche tatsächlich echt? Oder doch stilisiert?
Wie dem auch sei? ER hatte gewiss viele Gesichter, so viel ist sicher.
Ob er in der heutigen medialen Welt auch noch als der Misanthrop, der unversöhnliche Geist, wahrgenommen würde?
Was er zu Lebzeiten schrieb, könnte als Beleg dafür herhalten, dass er auch heute nicht versöhnlicher wäre. Gerade Beispiele anderer noch lebender Großschriftsteller zeigen, dass man im Alter nicht seinen Frieden mit der Welt zu machen braucht.
ÜBRIGENS:
Bernhard hatte sich bereits zu Lebzeiten "jede Geburtstagsfeier verbeten". Und dennoch wird sein Achtzigster heute und in den nächsten Wochen im deutschsprachigen Raum in vielfältiger Weise gefeiert.
Thomas Bernhard – gewiss - ein unbeugsamer Geist, von dem man sich manches abschauen kann, nicht nur in schreibender Weise ;-)
Teresa HzW - 9. Feb, 17:09 - Rubrik [Post]Moderne