In Grass`Sinne: Haltung zeigen, Widerworte geben!?
Wi[e]der[W]orte heißt mein Blog. Es ist ein literarisches.
Diese Schreibweise impliziert jedoch auch: Widerworte.
Daher komme ich wohl, eben weil ich ihm diesen doppeldeutigen Namen gab, nicht darum herum, nun einmal Widerworte zu geben, und dabei Haltung nicht nur zu entwickeln, sondern sie auch zu zeigen, wie es sich für eine „jüngere“ Blogautorin gehört.
Jedenfalls fordert im aktuellen Spiegel – Nr. 33/16.8.2010 - einer unserer großen Schriftsteller, Günter Grass, dass die "jüngeren Autoren (ob er damit wohl auch Blogautoren meinte!?) eine Haltung entwickeln und verlautbaren sollten".
"Seine Unzufriedenheit mit jungen Kollegen“ ( so die Unter-Überschrift zum Artikel Spiegel-Gespräch „Oralverkehr mit Vokalen“, S.118ff) drückt er auf fünfzehn Zeilen des vier Seiten langen Interviews (auf Seite 122) so aus:
[„Spiegel: Sie sind nicht der einzige Schriftsteller Ihrer Generation, der sich immer wieder politisch zu Wort gemeldet hat. Vermissen Sie ähnlichen Elan bei den jungen Kollegen?
Grass: Ich würde es bedauern, wenn sie keine Lehre aus dieser relativ kurzen Tradition ziehen. Sie sollten nicht die Fehler der Weimarer Republik wiederholen und sich in privater Distanz halten. Der Beitrag der Intellektuellen zur Entwicklung unserer Schuldemokratie in Westdeutschland hin zu einer erwachsen gewordenen Demokratie war erheblich. Es gibt leider Anzeichen dafür, dass dieser Beitrag abreißt. Finanzkrise, Kinderarmut, Abschiebepraxis, das Auseinanderdriften in Reich und Arm: Das sind Themen, zu denen jüngere Autoren eine Haltung entwickeln und verlautbaren sollten.“]
Liebe Leserinnen und Leser,
nun könnte ich es mir leicht machen, mich zurücklehnen, ein Lächeln auf meine Lippen zaubern, wie Mister Spock die linke Augenbraue hochziehen und ganz gender-lady-like sagen: „Ah, Grass kritisiert hier das eigene Geschlecht! Er ist unzufrieden mit der Art und Weise, wie AutoRen, also die eigene männliche Schriftsteller-, Journalisten- und Publizisten-Spezies schreibt.“
Und wenn ich an gewisse publizistische Vorgänge denke, die sich in diesen Tagen vor meiner Haustüre abspielen, komme ich zu dem Schluss: "Wo Grass Recht hat, hat er Recht!"
Zumindest ein klein wenig!
Zumal, wenn diese "jungen (männlichen) Kollegen" einmal kritisieren, dann nehmen sie es mit dem Geschichtsbewusstsein nicht so genau…. Die Weimarer Republik ist ja auch schon ein Weilchen her… Da sei die Frage gestattet, ob diese Weimarer Republik überhaupt schon im Unterricht behandelt wurde, damals, als die Alt-Achtundsechziger Generation die Schulbank drückte!?
Jedenfalls ging mir das durch den Kopf, als ich heute eine Tageszeitungs-Kolumne wiederholt und erneut las, in der eine solche kritische Auseinandersetzung bei einem Journalisten der hiesigen Regionalpresse jüngst gründlich „in die Hose“ ging. Unterstellt, dass kritische Auseinandersetzung nicht nur auf der großen Bühne der nationalen Themen geführt werden sollte, sondern zunächst erst einmal vor Ort, im Lokalen: Dort, wo die Menschen leben, wo sie ihrer Arbeit nachgehen.
Hier, vor Ort, immerhin in der Landeshauptstadt Baden-Württembergs, herrscht seit Wochen, ach was, seit Monaten Aufruhr um den Umbau des Stuttgarter Hauptbahnhofs, der durch das Großprojekt – genannt Stuttgart 21 – vom Sackgassenbahnhof in einen Durchgangsbahnhof umgebaut werden soll (nur ein Teil des Großprojekts). Im Zuge dessen, soll die alte Fassade („Bonatzbau“) des Hauptbahnhofs abgerissen werden. Vor einigen Tagen wurde mit dem Abbruch des Nordflügels begonnen (wie manche/r Leser/in unter Ihnen wohl auch durch entsprechende Berichterstattungen im deutschen Sommerloch aus der Tagesschau oder im Heute-Journal mitbekommen hat). Ein über die Landesgrenzen hinaus bekannter Kolumnist – gleichzeitig Schriftsteller – und Redakteur der Stuttgarter Nachrichten hat sich bei seiner Kritik, die man nun im Grass`schen Sinne in Bezug auf Stuttgart 21 so auslegen könnte, tüchtig vergriffen, als er über den Beginn der Abbrucharbeiten im Lokalteil der Stuttgarter Nachrichten vom 14.8.2010, auf Seite 19, in seiner Kolumne „Joe Bauer in der Stadt“ unter der Headline „Überdruck“ Folgendes schrieb:
[„Am Morgen des 13. August 2010 stand ich im Bad und wollte mich ausnahmsweise rasieren. Da hörte ich auf SWR (= Anmerkung: Südwestrundfunk) die Meldung: „Um fünf Uhr fünfundvierzig…“
O Gott, dachte ich, der Durchgeknallte mit der Charlie-Chaplin-Bürste nimmt wieder Polen ins Visier. Dann hörte ich genauer hin, und alles war schlimmer: Am 13. August, fünf Uhr fünfundvierzig, war ein Bagger aufgefahren, um das Regendach am Nordflügel des Bahnhofs abzureißen.
Mit obigen Zeilen, dachte ich, führe ich heute etwas einfühlsamer als sonst zum Dauerthema hin: Witze über Stuttgart 21 sind nämlich strenger verboten als über Hitler, und mit einer Kombination von beiden katapultiere ich mich endgültig raus. Es ist fast unmöglich geworden, noch irgendwo ohne schlechtes Gewissen Alltägliches zu diskutieren: Fußball bei den Kickers (Anmerkung Stuttgarter Kickers, Fußball-Regionallist), Sex im Alter, was treibt Schuster (Anmerkung: Stuttgarts derzeitiger Oberbürgermeister)….]
Den Rest der Kolumne erspare ich Ihnen, liebe Blogleserinnen und Blogleser, wobei sich der weitere Kolumnentext dann sachlich mit der Zerrissenheit und der Polarisierung von S 21 in der Bürgerschaft auseinandersetzt. Wobei das, was als glossierender, ironisierender, beißender Kommentar von dem Redakteur gedacht war, auf den letzten zwanzig Zeilen der fast 90zeiligen Kolumne wieder entgleist, wenn der Kolumnist erneut in der Historie Rückgriff oder Bezug zu nehmen sucht:
[….Vermutlich mischen sich unter die Demonstranten am Bahnhof auch Vollzeitprotestler mit der „überwertigen Idee“ im Kopf, ähnlich wie auf der anderen Seite arrogante, unsichtbare Zukunftsbeschwörer, die um 5.45 Uhr Geschichte schreiben wollen – ohne eine Ahnung davon, dass es nach wissenschaftlichen Erkenntnissen die nahe Zukunft ist, die das menschliche Hirn zum allergrößten Teil umtreibt, und nicht die Vergangenheit oder Gegenwart….]
Vielleicht sollten die deutschen Regionalzeitungen ihren RedakteuRen zunächst eine Auffrischung zur deutschen Geschichte verpassen, bevor jene nun, in der Zukunft, der Grass`schen Aufforderung nachzueifern versuchen.
Mich stört – als Durchschnittsbürgerin dieses Landes – massiv, dass sich ein Redakteur, noch dazu nicht irgendeiner, sondern ein über die Stadt- und Regionalgrenzen hinaus bekannter und einer, den man in unseren süddeutschen Gefilden als „gstand`nes Mannsbild“ bezeichnen würde, dermaßen leichtfertig mit dem wohl dunkelsten Teil der deutschen Geschichte umgeht.
Ich bin fassungslos, dass dieser den Beginn von Abbrucharbeiten an der historischen Stuttgarter Hauptbahnhofsfassade mit dem Beginn des damaligen Zweiten Weltkriegs vor 71 Jahren gleich setzt! Er stellt damit – jedenfalls in meiner bescheidenen, kleinen Weltsicht - diese Abbrucharbeiten und den Kriegsausbruch kulturhistorisch auf eine Stufe!!!!!
Er setzt sich mit seinem Vergleich über das Leid, das dieser Zweite Weltkrieg über Millionen europäische Bürger gebracht hat, hinweg!
Er setzt sich darüber hinweg, dass heute noch in Deutschland jede vierte Bürgerin, jeder vierte Bürger aus einer heimatvertriebenen oder aus einer Flüchtlings-Familie stammt: 20 Millionen Menschen waren nämlich bei Kriegsende auf der Flucht! Ganz zu schweigen von dem unsäglichen Leid, das dieser Zweite Weltkrieg über Juden und andere Ethnien brachte.
Aber wahrscheinlich ist es für jemanden, der leichtfertig die Vergangenheit in den Keller der Gedankenlosigkeit ablegt, einfach nicht nachvollziehbar, dass auch heute in der Kinder- oder Enkelgeneration noch Menschen an den Langzeitfolgen der Auswirkungen jenes schlimmen Krieges leiden, auch wenn das alles schon 66 bis 71 Jahre her ist.
Diese - ich nenne es mal einfach nur "journalistische Gedankenlosigkeit" - ist für mich als Bürgerin, als Deutsche, UNGEHEUERLICH! Unfassbar! Nicht nachvollziehbar!
Ungeheuerlich ist für mich auch die Naivität, die der oben zitierte Schlussabschnitt, am Ende gar als Botschaft an die Durchschnittsleser der Stuttgarter Nachrichten gedacht (??), in sich birgt: Die Zukunft(sgestaltung) sei wichtiger wie die Vergangenheit oder Gegenwart. Ich kann da nur gegenhalten mit einem Zitat, das ich einmal las, und das da lautet: „Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Zukunft nicht gestalten!“
Liebe Leserinnen, liebe Leser meines Blogs,
ich habe lange überlegt, ob ich diesen Beitrag in mein Blog hinein schreibe...
Die o..g. Samstagausgabe der Stuttgarter Nachrichten, in der jene Kolumne erschien, lag schon in der Papier-Mülltonne, doch als ich nun das Interview mit Günter Grass im Spiegel las, habe ich mich erinnert, habe ich sie herausgeholt, erneut gelesen und da ist mir der Kamm wieder geschwollen, sogar noch mehr als am Wochenende....
....und ich dachte mir, wenn wir nicht im Kleinen anfangen, uns, gleich ob als Bürgerin oder als Blogautorin, zu Wort zu melden und nicht nur eine Haltung zu entwickeln, sondern sie auch zu zeigen oder zum Ausdruck zu bringen, hat Grass mit seiner Befürchtung recht.
Einmal Weimarer Republik reicht. Geschichte darf sich nicht wiederholen! Es darf, nicht nur, nie wieder Krieg von deutschem Boden ausgehen, sondern wir – v.a. wir Jüngeren, egal ob wir nun Männer oder Frauen, ganz junge oder ältere „Jüngere“ sind - sollten mit unserem Verhalten auch dazu beitragen, dass sich woanders Kriegsgeschichte nicht wiederholen, nicht ereignen kann.
Widerworte geben, zu herbei geschriebenen „Kriegsvergleichen“ in einer großen regionalen Tageszeitung, gehört für mich dazu!
Es grüßt Sie, liebe Leserinnen und Leser, heute eine sehr in sich gekehrte Blogautorin, darüber nachdenkend, was es bringt, diese Zeilen, diese Widerworte in ein anonymes kleines – eigentlich literarisches - Blog zu schreiben….
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Diese Schreibweise impliziert jedoch auch: Widerworte.
Daher komme ich wohl, eben weil ich ihm diesen doppeldeutigen Namen gab, nicht darum herum, nun einmal Widerworte zu geben, und dabei Haltung nicht nur zu entwickeln, sondern sie auch zu zeigen, wie es sich für eine „jüngere“ Blogautorin gehört.
Jedenfalls fordert im aktuellen Spiegel – Nr. 33/16.8.2010 - einer unserer großen Schriftsteller, Günter Grass, dass die "jüngeren Autoren (ob er damit wohl auch Blogautoren meinte!?) eine Haltung entwickeln und verlautbaren sollten".
"Seine Unzufriedenheit mit jungen Kollegen“ ( so die Unter-Überschrift zum Artikel Spiegel-Gespräch „Oralverkehr mit Vokalen“, S.118ff) drückt er auf fünfzehn Zeilen des vier Seiten langen Interviews (auf Seite 122) so aus:
[„Spiegel: Sie sind nicht der einzige Schriftsteller Ihrer Generation, der sich immer wieder politisch zu Wort gemeldet hat. Vermissen Sie ähnlichen Elan bei den jungen Kollegen?
Grass: Ich würde es bedauern, wenn sie keine Lehre aus dieser relativ kurzen Tradition ziehen. Sie sollten nicht die Fehler der Weimarer Republik wiederholen und sich in privater Distanz halten. Der Beitrag der Intellektuellen zur Entwicklung unserer Schuldemokratie in Westdeutschland hin zu einer erwachsen gewordenen Demokratie war erheblich. Es gibt leider Anzeichen dafür, dass dieser Beitrag abreißt. Finanzkrise, Kinderarmut, Abschiebepraxis, das Auseinanderdriften in Reich und Arm: Das sind Themen, zu denen jüngere Autoren eine Haltung entwickeln und verlautbaren sollten.“]
Liebe Leserinnen und Leser,
nun könnte ich es mir leicht machen, mich zurücklehnen, ein Lächeln auf meine Lippen zaubern, wie Mister Spock die linke Augenbraue hochziehen und ganz gender-lady-like sagen: „Ah, Grass kritisiert hier das eigene Geschlecht! Er ist unzufrieden mit der Art und Weise, wie AutoRen, also die eigene männliche Schriftsteller-, Journalisten- und Publizisten-Spezies schreibt.“
Und wenn ich an gewisse publizistische Vorgänge denke, die sich in diesen Tagen vor meiner Haustüre abspielen, komme ich zu dem Schluss: "Wo Grass Recht hat, hat er Recht!"
Zumindest ein klein wenig!
Zumal, wenn diese "jungen (männlichen) Kollegen" einmal kritisieren, dann nehmen sie es mit dem Geschichtsbewusstsein nicht so genau…. Die Weimarer Republik ist ja auch schon ein Weilchen her… Da sei die Frage gestattet, ob diese Weimarer Republik überhaupt schon im Unterricht behandelt wurde, damals, als die Alt-Achtundsechziger Generation die Schulbank drückte!?
Jedenfalls ging mir das durch den Kopf, als ich heute eine Tageszeitungs-Kolumne wiederholt und erneut las, in der eine solche kritische Auseinandersetzung bei einem Journalisten der hiesigen Regionalpresse jüngst gründlich „in die Hose“ ging. Unterstellt, dass kritische Auseinandersetzung nicht nur auf der großen Bühne der nationalen Themen geführt werden sollte, sondern zunächst erst einmal vor Ort, im Lokalen: Dort, wo die Menschen leben, wo sie ihrer Arbeit nachgehen.
Hier, vor Ort, immerhin in der Landeshauptstadt Baden-Württembergs, herrscht seit Wochen, ach was, seit Monaten Aufruhr um den Umbau des Stuttgarter Hauptbahnhofs, der durch das Großprojekt – genannt Stuttgart 21 – vom Sackgassenbahnhof in einen Durchgangsbahnhof umgebaut werden soll (nur ein Teil des Großprojekts). Im Zuge dessen, soll die alte Fassade („Bonatzbau“) des Hauptbahnhofs abgerissen werden. Vor einigen Tagen wurde mit dem Abbruch des Nordflügels begonnen (wie manche/r Leser/in unter Ihnen wohl auch durch entsprechende Berichterstattungen im deutschen Sommerloch aus der Tagesschau oder im Heute-Journal mitbekommen hat). Ein über die Landesgrenzen hinaus bekannter Kolumnist – gleichzeitig Schriftsteller – und Redakteur der Stuttgarter Nachrichten hat sich bei seiner Kritik, die man nun im Grass`schen Sinne in Bezug auf Stuttgart 21 so auslegen könnte, tüchtig vergriffen, als er über den Beginn der Abbrucharbeiten im Lokalteil der Stuttgarter Nachrichten vom 14.8.2010, auf Seite 19, in seiner Kolumne „Joe Bauer in der Stadt“ unter der Headline „Überdruck“ Folgendes schrieb:
[„Am Morgen des 13. August 2010 stand ich im Bad und wollte mich ausnahmsweise rasieren. Da hörte ich auf SWR (= Anmerkung: Südwestrundfunk) die Meldung: „Um fünf Uhr fünfundvierzig…“
O Gott, dachte ich, der Durchgeknallte mit der Charlie-Chaplin-Bürste nimmt wieder Polen ins Visier. Dann hörte ich genauer hin, und alles war schlimmer: Am 13. August, fünf Uhr fünfundvierzig, war ein Bagger aufgefahren, um das Regendach am Nordflügel des Bahnhofs abzureißen.
Mit obigen Zeilen, dachte ich, führe ich heute etwas einfühlsamer als sonst zum Dauerthema hin: Witze über Stuttgart 21 sind nämlich strenger verboten als über Hitler, und mit einer Kombination von beiden katapultiere ich mich endgültig raus. Es ist fast unmöglich geworden, noch irgendwo ohne schlechtes Gewissen Alltägliches zu diskutieren: Fußball bei den Kickers (Anmerkung Stuttgarter Kickers, Fußball-Regionallist), Sex im Alter, was treibt Schuster (Anmerkung: Stuttgarts derzeitiger Oberbürgermeister)….]
Den Rest der Kolumne erspare ich Ihnen, liebe Blogleserinnen und Blogleser, wobei sich der weitere Kolumnentext dann sachlich mit der Zerrissenheit und der Polarisierung von S 21 in der Bürgerschaft auseinandersetzt. Wobei das, was als glossierender, ironisierender, beißender Kommentar von dem Redakteur gedacht war, auf den letzten zwanzig Zeilen der fast 90zeiligen Kolumne wieder entgleist, wenn der Kolumnist erneut in der Historie Rückgriff oder Bezug zu nehmen sucht:
[….Vermutlich mischen sich unter die Demonstranten am Bahnhof auch Vollzeitprotestler mit der „überwertigen Idee“ im Kopf, ähnlich wie auf der anderen Seite arrogante, unsichtbare Zukunftsbeschwörer, die um 5.45 Uhr Geschichte schreiben wollen – ohne eine Ahnung davon, dass es nach wissenschaftlichen Erkenntnissen die nahe Zukunft ist, die das menschliche Hirn zum allergrößten Teil umtreibt, und nicht die Vergangenheit oder Gegenwart….]
Vielleicht sollten die deutschen Regionalzeitungen ihren RedakteuRen zunächst eine Auffrischung zur deutschen Geschichte verpassen, bevor jene nun, in der Zukunft, der Grass`schen Aufforderung nachzueifern versuchen.
Mich stört – als Durchschnittsbürgerin dieses Landes – massiv, dass sich ein Redakteur, noch dazu nicht irgendeiner, sondern ein über die Stadt- und Regionalgrenzen hinaus bekannter und einer, den man in unseren süddeutschen Gefilden als „gstand`nes Mannsbild“ bezeichnen würde, dermaßen leichtfertig mit dem wohl dunkelsten Teil der deutschen Geschichte umgeht.
Ich bin fassungslos, dass dieser den Beginn von Abbrucharbeiten an der historischen Stuttgarter Hauptbahnhofsfassade mit dem Beginn des damaligen Zweiten Weltkriegs vor 71 Jahren gleich setzt! Er stellt damit – jedenfalls in meiner bescheidenen, kleinen Weltsicht - diese Abbrucharbeiten und den Kriegsausbruch kulturhistorisch auf eine Stufe!!!!!
Er setzt sich mit seinem Vergleich über das Leid, das dieser Zweite Weltkrieg über Millionen europäische Bürger gebracht hat, hinweg!
Er setzt sich darüber hinweg, dass heute noch in Deutschland jede vierte Bürgerin, jeder vierte Bürger aus einer heimatvertriebenen oder aus einer Flüchtlings-Familie stammt: 20 Millionen Menschen waren nämlich bei Kriegsende auf der Flucht! Ganz zu schweigen von dem unsäglichen Leid, das dieser Zweite Weltkrieg über Juden und andere Ethnien brachte.
Aber wahrscheinlich ist es für jemanden, der leichtfertig die Vergangenheit in den Keller der Gedankenlosigkeit ablegt, einfach nicht nachvollziehbar, dass auch heute in der Kinder- oder Enkelgeneration noch Menschen an den Langzeitfolgen der Auswirkungen jenes schlimmen Krieges leiden, auch wenn das alles schon 66 bis 71 Jahre her ist.
Diese - ich nenne es mal einfach nur "journalistische Gedankenlosigkeit" - ist für mich als Bürgerin, als Deutsche, UNGEHEUERLICH! Unfassbar! Nicht nachvollziehbar!
Ungeheuerlich ist für mich auch die Naivität, die der oben zitierte Schlussabschnitt, am Ende gar als Botschaft an die Durchschnittsleser der Stuttgarter Nachrichten gedacht (??), in sich birgt: Die Zukunft(sgestaltung) sei wichtiger wie die Vergangenheit oder Gegenwart. Ich kann da nur gegenhalten mit einem Zitat, das ich einmal las, und das da lautet: „Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Zukunft nicht gestalten!“
Liebe Leserinnen, liebe Leser meines Blogs,
ich habe lange überlegt, ob ich diesen Beitrag in mein Blog hinein schreibe...
Die o..g. Samstagausgabe der Stuttgarter Nachrichten, in der jene Kolumne erschien, lag schon in der Papier-Mülltonne, doch als ich nun das Interview mit Günter Grass im Spiegel las, habe ich mich erinnert, habe ich sie herausgeholt, erneut gelesen und da ist mir der Kamm wieder geschwollen, sogar noch mehr als am Wochenende....
....und ich dachte mir, wenn wir nicht im Kleinen anfangen, uns, gleich ob als Bürgerin oder als Blogautorin, zu Wort zu melden und nicht nur eine Haltung zu entwickeln, sondern sie auch zu zeigen oder zum Ausdruck zu bringen, hat Grass mit seiner Befürchtung recht.
Einmal Weimarer Republik reicht. Geschichte darf sich nicht wiederholen! Es darf, nicht nur, nie wieder Krieg von deutschem Boden ausgehen, sondern wir – v.a. wir Jüngeren, egal ob wir nun Männer oder Frauen, ganz junge oder ältere „Jüngere“ sind - sollten mit unserem Verhalten auch dazu beitragen, dass sich woanders Kriegsgeschichte nicht wiederholen, nicht ereignen kann.
Widerworte geben, zu herbei geschriebenen „Kriegsvergleichen“ in einer großen regionalen Tageszeitung, gehört für mich dazu!
Es grüßt Sie, liebe Leserinnen und Leser, heute eine sehr in sich gekehrte Blogautorin, darüber nachdenkend, was es bringt, diese Zeilen, diese Widerworte in ein anonymes kleines – eigentlich literarisches - Blog zu schreiben….
Teresa HzW - 17. Aug, 19:32 - Rubrik Widerworte
Äpfel und Birnen
Vergleiche können in der Literatur meist auch als Metapher eingesetzt sehr poetisch sein, das macht die falschen Vergleiche, ob in der Politik oder im Jounalismus nicht besser. Die Funktion des obigen Vergleichs von Herrn Bauer hat nur eine Aufgabe, zu provozieren und Aufmerksamkeit zu erreichen. Er will eine Sache, und das heißt letztlich sich selbst, interessanter machen als sie ist. Er schreibt eben Kolumne und nicht Literatur. Mit seiner Kritik am Prestigeobjekt der Bahn "Stuttgart 21" kann ich mich ganz gut identifizieren, weil hier am Willen eines großen Teils der Bevölkerung vorbei gebaut werden soll. 10 Milliarden Euro zeigen mir, dass Politiker zur Maßlosigkeit neigen. Nun ernten sie völlig zu recht den Widerstand der Steuerzahler. Das alles macht jedoch seinen "Schlimmer-als-Apfel-und-Birnen-Vergleich" nicht besser. Ich kann Ihre Entrüstung gut nachvollziehen und es zeigt mir, dass sie ein feines Gespür für solche falschen Vergleiche und die damit verbundenen unterschwelligen Herabsetzungen von Menschen und ihrer Geschichte haben. Bei Hitler-Vergleichen sind wir ja besonders empfindlich. Literarisches und politisches Textverständnis sollte sich keinesfalls ausschließen.
In einem kleinen Dilemma bin ich allerdings, weil der kritisierte Alt-Achtundsechziger mein Jahrgang ist. Deshalb weiß ich genau, dass er für einen Achundsechziger doch noch zu jung war, kann aber auch nachvollziehen, wie Joe auch heute noch mit einer gewissen revoluzzerhaften Haltung kokettiert. Sie haben sich völlig zu recht aufgeregt, aber auch der Gescholtene ist nur ein Kind seiner Zeit.
Einen lieben Gruß an Sie
Dietmar
zunächst einmal herzlichen Dank für Ihren Kommentar.
Interessant fand ich Ihre Anmerkung, dass "die Funktion des ... Vergleichs von Herrn Bauer nur eine Aufgabe hat, zu provozieren und Aufmerksamkeit zu erreichen."
Das treibt mir - auch nach Tagen - wieder die Zornesröte ins Gesicht! Natürlich nicht über Sie, werter Bücherblogger, sondern über diesen Redakteur: Da es um so schlimmer ist, wenn sich ein lang gedienter und erfahrener Redakteur dieser Art der Effekthascherei bedient, um Aufmerksamkeit zu erzielen. Zu anderen Zeiten und unter anderen Chefredakteuren wäre er bei der Zeitung dort sicher seinen Job los gewesen.
Kritik ist das eine und im Fall von S21 in vielerlei Hinsicht durchaus berechtigt. Die Art und Weise jedoch, in der hier journalistisch in die "Kriegskiste" gegriffen wird, einfach verwerflich! Egal, welcher Generation dieser Redakteur angehört.
...weil... der kleine Nachklapp sei noch erlaubt, gegen die Achtundsechziger habe ich nichts, zumal diese "Ihre" Generation auch viel Positives eingeläutet hat...
Herzlich
Teresa
Thomas Bernhard über Zeitungen