Zu Falls Phänomen 2
Gestern berichtete ich ausführlich über ein Phänomen, das mich zur Kritischen Gesamtausgabe der Notizbücher von Peter Weiss führte, die ich als digitale Ausgabe erwarb.
Abends setzte ich, die Lektüre fort, in der Ihnen, liebe Leserinnen und liebe Leser, allen gewohnt vertraulichen Art und Weise, mit einem Buch in der Hand, dem „Bastardbuch“.
Dabei handelt es sich um die Autobiografie des Regisseurs Hans Neuenfels. Sie ist wie die Notizbücher Peter Weiss` ebenfalls eine Zeitreise. Nur dauert sie etwas länger und noch an. Erzählt wird ein halbes Jahrhundert Theater-Leben und die Geschichte wie einer quasi zum Theater kommt und selbst an der Deutschen Theatergeschichte mitschreibt. Bereits vor einer Woche erwarb ich das bei Bertelsmann druckfrisch aufgelegte Buch. Ich lese gerade über die „Wilden Jahre“ im Sommer 1968, als Neuenfels in Heidelberg [damals wie heute romantische, badische Provinz], inszenierte...
...und was soll ich Ihnen sagen, wieder lande ich bei Peter Weiss. Falls Sie sich nun verwundert die Augen reiben, Sie lesen schon richtig.
Der Regisseur Neuenfels stand damals vor der Herausforderung für [heute würde man sagen] "low budget" Theater machen zu wollen [weil müssen]:
„Für siebentausend Mark… das ist eine Bedingung…. Das ist zu wenig. Du musst sie durch einen Einfall überspringen… Der Einfall beinhaltet die siebentausend Mark und ist, wenn er eine wirkliche Qualität hat, mindestens 700.000 Mark wert!!“
Die [damals schon an Theaterbühnen knappen] Ressourcen zwangen zu einer Neu-Inszenierung eines Stückes [Neuenfels wählte angesichts des knappen Budgets ein Stück, das er drei Jahre vorher, im Jahr 1965, in Trier bereits inszeniert hatte und das nun in Heidelberg völlig anders, "neu" umgesetzt]: „Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats“ – ein Stück über die Auseinandersetzung zweier Extreme – de Sade und Marat – und über einen revolutionären Vorgang. Ein Stück von keinem geringeren als… genau…. Peter Weiss.
Und da lese ich nun Stunden später in diesem „Bastardbuch“ über jenen und über die Korrespondenz, die damals wegen des Inszenierungskonzepts zwischen den Heidelberger Theatermachern und Peter Weiss hin- und herging und finde einen Brief Peter Weiss` hier in der Autobiografie von Neuenfels abgedruckt und den wichtigen Hinweis des Stückeautors an die „Heidelberger“:
„Auf jeden Fall sollte man den Fehler vermeiden, dem so viele Regisseure verfallen sind: Das Spiel der Irren in den Vordergrund zu stellen. Die Hauptsache ist die politische Auseinandersetzung, der ganze psychopathologische Betrieb kann im Hintergrund stehen, wenn nicht ganz wegfallen. Vor allem Klarheit, politische Analyse! Ich würde mich sehr freuen, wenn Ihnen das gelingen würde.“
Und wie Neuenfels und seiner Theatercrew das gelang: Der Applaus nach der Premiere von Marat habe „fast dreißig Minuten“ gedauert, schreibt der Neuenfels in seinem Buch, habe das Magazin "Theaterheute" in seiner damaligen Ausgabe berichtet.
Und was notiert Weiss in seine Notizbücher zu jener Zeit – 1967/1968 - über jene Aufführung? – eine Frage, mit der ich mich schlafen legte.
Heute Morgen.
Ich blättere wissbegierig und selbiger Frage auf den Grund gehen wollend erneut in der Digitalen Bibliothek und finde... nichts. Auf die Schnelle. Bis jetzt.
Allerdings stoße ich auf ein interessantes Notat zum „Theater“ an sich: Im Notizbuch 14, seinen Aufzeichnungen vom 24.10.1967 bis 16.05.1968, hat Weiss auf Seite 67 und 68 notiert:
wie wirkt Theater?
direkt? –
Das Unterbewusstsein, das logisch strukturiert, Ordnung, eine bestimmte Sprache –
––––––––
poetische – Zeichen – Charakter des Theaters
––––––––
Theater ist Theater
Illusionstheater –:
Theater das vortäuscht, Realität zu sein
Utopie nicht Gegenteil von Wirklichkeit. Sie ist die Wirklichkeit von Möglichkeiten
Klassentheater (Schumacher)
heute weitgehend: sich das Arbeiterpublikum herzuholen
Ferner steht dort noch:
Das dokumentarische Theater ist revolutionär, es will den gewaltsamen Umsturz
Man zeigt die Situation eines Menschen, und man zeigt sie, die diese Situation herbeigeführt haben –
Die Misere des einen – das Glück des anderen –
Die inneren Widersprüche im Sozialismus –
Das dokumentarische Theater richtet sich gegen das Theater der Absurdität, der Verzweiflung –
[Peter Weiss: Die Notizbücher, Kritische Gesamtausgabe, Digitale Bibliothek, S. 11424f]
Womit ich wieder bei Samuel Beckett und dem Theater des Absurden angelangt bin. Was für ein Zu-Fall…. Oder nicht?
Allerdings... Ist das Theater des Absurden immer "Verzweiflung"... hmmm? Eigentlich doch nicht. Eher Kritik. Gesellschaftskritik. Kritik an den Umständen, Machenschaften, Gegebenheiten... hmmm.... da habe ich ja nun wieder etwas, worüber ich nachdenken könnte... auf den Grund gehen und lesen und weiter recherchieren...
2408 mal gelesen
Abends setzte ich, die Lektüre fort, in der Ihnen, liebe Leserinnen und liebe Leser, allen gewohnt vertraulichen Art und Weise, mit einem Buch in der Hand, dem „Bastardbuch“.
Dabei handelt es sich um die Autobiografie des Regisseurs Hans Neuenfels. Sie ist wie die Notizbücher Peter Weiss` ebenfalls eine Zeitreise. Nur dauert sie etwas länger und noch an. Erzählt wird ein halbes Jahrhundert Theater-Leben und die Geschichte wie einer quasi zum Theater kommt und selbst an der Deutschen Theatergeschichte mitschreibt. Bereits vor einer Woche erwarb ich das bei Bertelsmann druckfrisch aufgelegte Buch. Ich lese gerade über die „Wilden Jahre“ im Sommer 1968, als Neuenfels in Heidelberg [damals wie heute romantische, badische Provinz], inszenierte...
...und was soll ich Ihnen sagen, wieder lande ich bei Peter Weiss. Falls Sie sich nun verwundert die Augen reiben, Sie lesen schon richtig.
Der Regisseur Neuenfels stand damals vor der Herausforderung für [heute würde man sagen] "low budget" Theater machen zu wollen [weil müssen]:
„Für siebentausend Mark… das ist eine Bedingung…. Das ist zu wenig. Du musst sie durch einen Einfall überspringen… Der Einfall beinhaltet die siebentausend Mark und ist, wenn er eine wirkliche Qualität hat, mindestens 700.000 Mark wert!!“
Die [damals schon an Theaterbühnen knappen] Ressourcen zwangen zu einer Neu-Inszenierung eines Stückes [Neuenfels wählte angesichts des knappen Budgets ein Stück, das er drei Jahre vorher, im Jahr 1965, in Trier bereits inszeniert hatte und das nun in Heidelberg völlig anders, "neu" umgesetzt]: „Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats“ – ein Stück über die Auseinandersetzung zweier Extreme – de Sade und Marat – und über einen revolutionären Vorgang. Ein Stück von keinem geringeren als… genau…. Peter Weiss.
Und da lese ich nun Stunden später in diesem „Bastardbuch“ über jenen und über die Korrespondenz, die damals wegen des Inszenierungskonzepts zwischen den Heidelberger Theatermachern und Peter Weiss hin- und herging und finde einen Brief Peter Weiss` hier in der Autobiografie von Neuenfels abgedruckt und den wichtigen Hinweis des Stückeautors an die „Heidelberger“:
„Auf jeden Fall sollte man den Fehler vermeiden, dem so viele Regisseure verfallen sind: Das Spiel der Irren in den Vordergrund zu stellen. Die Hauptsache ist die politische Auseinandersetzung, der ganze psychopathologische Betrieb kann im Hintergrund stehen, wenn nicht ganz wegfallen. Vor allem Klarheit, politische Analyse! Ich würde mich sehr freuen, wenn Ihnen das gelingen würde.“
Und wie Neuenfels und seiner Theatercrew das gelang: Der Applaus nach der Premiere von Marat habe „fast dreißig Minuten“ gedauert, schreibt der Neuenfels in seinem Buch, habe das Magazin "Theaterheute" in seiner damaligen Ausgabe berichtet.
Und was notiert Weiss in seine Notizbücher zu jener Zeit – 1967/1968 - über jene Aufführung? – eine Frage, mit der ich mich schlafen legte.
Heute Morgen.
Ich blättere wissbegierig und selbiger Frage auf den Grund gehen wollend erneut in der Digitalen Bibliothek und finde... nichts. Auf die Schnelle. Bis jetzt.
Allerdings stoße ich auf ein interessantes Notat zum „Theater“ an sich: Im Notizbuch 14, seinen Aufzeichnungen vom 24.10.1967 bis 16.05.1968, hat Weiss auf Seite 67 und 68 notiert:
wie wirkt Theater?
direkt? –
Das Unterbewusstsein, das logisch strukturiert, Ordnung, eine bestimmte Sprache –
––––––––
poetische – Zeichen – Charakter des Theaters
––––––––
Theater ist Theater
Illusionstheater –:
Theater das vortäuscht, Realität zu sein
Utopie nicht Gegenteil von Wirklichkeit. Sie ist die Wirklichkeit von Möglichkeiten
Klassentheater (Schumacher)
heute weitgehend: sich das Arbeiterpublikum herzuholen
Ferner steht dort noch:
Das dokumentarische Theater ist revolutionär, es will den gewaltsamen Umsturz
Man zeigt die Situation eines Menschen, und man zeigt sie, die diese Situation herbeigeführt haben –
Die Misere des einen – das Glück des anderen –
Die inneren Widersprüche im Sozialismus –
Das dokumentarische Theater richtet sich gegen das Theater der Absurdität, der Verzweiflung –
[Peter Weiss: Die Notizbücher, Kritische Gesamtausgabe, Digitale Bibliothek, S. 11424f]
Womit ich wieder bei Samuel Beckett und dem Theater des Absurden angelangt bin. Was für ein Zu-Fall…. Oder nicht?
Allerdings... Ist das Theater des Absurden immer "Verzweiflung"... hmmm? Eigentlich doch nicht. Eher Kritik. Gesellschaftskritik. Kritik an den Umständen, Machenschaften, Gegebenheiten... hmmm.... da habe ich ja nun wieder etwas, worüber ich nachdenken könnte... auf den Grund gehen und lesen und weiter recherchieren...
Teresa HzW - 31. Aug, 12:24 - Rubrik Fund[W]orte
http://www.zeit.de/2011/34/Regisseur-Neuenfels/komplettansicht
Die Ratten als Metapher bei Wagner waren allerdings nicht mein Fall, (Erinnerung an einen hilflosen Versuch von mir die Inszenierung auf Arte live zu sehen) aber ich habe von Wagner und Opern ohnehin keine Ahnung.
@Bücherblogger
Zu den Opern kann ich auch nichts sagen, da ich die aktuellen Inszenierungen weder auf Arte noch auf 3Sat noch auf dem neuen ZDF-Kulturkanal verfolgen konnte. Leider werden aktuelle Inszenierungen ja immer erst ein Jahr oder später auf diesen Kanälen gezeigt; zu einem späteren Zeitpunkt lassen sich dann aber die - damals aktuellen - Diskussionen gar nicht mehr richtig verfolgen. Das finde ich irgendwie immer schade. Die Öffentlich-Rechtlichen Sender würden sich nichts vergeben, wenn sie zeitnäher, also wenigstens nach Ende der Aufführungszeit, gleich eine Aufzeichnung brächten.