Bachmannpreis 2011 - Fazit zum ersten Lese-Tag

Am Ende des ersten Tages des Literatur-Wettbewerbs bin ich erschüttert.

Es ist für mich schwer zu verstehen, warum junge Menschen heute so viel über Krankheit, Tod und Apokalypse schreiben.
Das erschreckt mich sehr!
Ist denn dieser Autor[inn]en-Generation der 26- bis 35 Jährigen die Heiterkeit abhanden gekommen?

Oder ist es die Prägung durch die Medien?
Die beständig nieder rieselnde negative Berichterstattung, die sich mittlerweile im Schreiben der jungen Autorinnen und Autoren niederschlägt?

Was für eine neue Literatur kommt da auf uns zu?

Ist das überhaupt Literatur?

Sind das die Literaten, die in die Fußstapfen einer Ingeborg Bachmann treten wollen?

Oder haben die Juroren bewusst, diese die Welt schwarz malenden Texte ausgewählt?
Dann sind sie uns eine Erklärung schuldig.
Das Erläutern des Warum.
Bereits im vergangenen Jahr machte ich diese Wolke aus apokalyptischen Texten, die sich wie Asche über den Wettbewerb legt, aus.

Ich vermisse bei den Juroren, die anhand dieser eingereichten Texte, die Autorinnen für die Klagenfurter Lesung auswählen, eine gewisse Sensibilität.
Ich vermisse ein Händchen für die Auswahl gelungener Texte von wirklich viel versprechenden Autorinnen und Autoren.
Die haben wir - Leser und potenziellen Käufer - heute nach dem ersten Tag nicht gesehen.

Zu denken gibt mir zudem noch anderes:
Die mangelnde Sensibilität auch für die Stoffe, die hinter den Texten stecken, in sie hinein gelesen werden können.
Wenn eine Autorin in ihrem Text eine Parallele zu einem Hitler-Stalin-Pakt zieht, dann ist es die Aufgabe der Juroren darauf auch einzugehen.
Alle Juroren haben sich beim letzten Text dieses Tages darum herum gedrückt. Das halte ich für ungeheuerlich! Von einer Jury aus renommierten Literaturkritikern, Literaturprofessoren oder Autoren, die für renommierte Qualitätszeitungen wie DIE ZEIT schreiben, erwarte ich als Zuschauer: Wenigstens einen dazu Stellung nehmenden Satz und zwar von jedem!
Vor allem aber von jenem Juror, der einen solchen Text und seine Autorin für den Bewerb vorgeschlagen hat.
2911 mal gelesen
rosenberger (Gast) - 7. Jul, 21:57

bachmann - preis wirklich am ende?

die diskussion rund um den bachmann - preis, mit oder ohne gregor keuschnig & co., erinnert an die seltsamen schleifen eines kurt gödel. ich weise darauf hin, dass unser mitarbeiter, der bestsellerautor daniel kehlmann ("die vermessung der welt"). das problem auf seíne art gelöst hat:

http://rosenberger.twoday.net/stories/daniel-kehlmann-tobt-fingiertes-interview/

Teresa HzW - 7. Jul, 22:27

Die nächsten beiden Tage werden zeigen, ob der Preis einmal mehr - in der öffentlichen Diskussion - zu Grabe getragen werden wird.

Jedenfalls möchte ich als Bücherfreundin bei einem Literatur-Wettbewerb, der sich immerhin in der Tradition einer Ingeborg Bachmann und einer Gruppe 47 sieht und den "staatstragenden" Titel "Tage der deutschsprachigen Literatur" führt, qualitativ gute Texte lesen und nicht solche, die bereits bei der Aufnahmeprüfung für ein Germanisten-oder Journalistenseminar durchfallen würden:
wegen handwerklicher Fehler
wegen ungenügender Recherche
wegen Brüche und Widersprüche, schiefer Sprachbilder
wegen mangelhafter Kenntnisse über das zugrunde liegende Sujet
[um nur das Auffälligste der heutigen Wettbewerbstexte zu nennen]

Ich wünsche mir den Wettbewerb zwischen den besten Texten. Zwischen Best Practise und nicht zwischen Bad Practise.
Das setzt jedoch auch mehr Sorgfalt bei der Auswahl der Texte durch die Juroren voraus.

Von Autoren, die bereits Bücher veröffentlicht haben, erwarte ich jedenfalls anderes als das, was heute in Klagenfurt präsentiert wurde.

Sonst ist der Preis wirklich am Ende.

Vielen Dank jedoch für Ihren Kommentar, der mich zu diesem Nachklapp inspirierte
:-)
Mal sehen, wie es morgen weitergeht...
steppenhund - 7. Jul, 22:54

Ich habe meinen Kommentar ja schon beim vorigen Beitrag abgegeben.
Ich möchte aber noch einmal betonen: mir wäre der Inhalt wichtiger als das Handwerkliche. Wenn das letztere nicht stimmt, haben die Vorschlagenden geschlampt.
Doch was ich mit einer Wertigkeit von 70% beurteilen möchte, sind die Inhalte. Und die können mich nicht überzeugen.
Teresa HzW - 7. Jul, 23:03

@Steppenhund

Irgendwie gehört beides zusammen: Das Schreib-Handwerk und der passende Inhalt.
Ein altes Thema [nehmen wir die Liebe - wie im Fall von Montauk ;-) ] kann durch eine ungewöhnliche Perspektive óder eine interessante schriftstellerische Idee in gut formulierten Sätzen sehr wertig und wie neu gestaltet geschrieben werden. Das wären die Hundert Prozent, die mich als Leser überzeugen.
steppenhund - 7. Jul, 23:13

Schon! Aber wo gibt es denn heute noch 100%. Selbst Oral-Sex mögen nur 80%, wie man recht bezeichnend bei creature nachlesen kann;)
Teresa HzW - 7. Jul, 23:22

Vielleicht der Grund, lieber Steppenhund, warum man oft zur Lektüre auf die alten, verstorbenen Schriftsteller zurückgreift: Bernhard, Frisch, Mann, Johnson, Bachmann, Sontag, Hauptmann und wie sie alle heißen...

Die Diversifizierung des Geschmacks in der post-sexuellen Gesellschaft - ein anderes Thema... für einen anderen Blogeintrag ;-)
steppenhund - 7. Jul, 23:37

Aber dafür gibt es jetzt gleich einen Text bei mir:)

Früher Frust

Gerade eben habe ich den ersten Geltinger-Text noch einmal nachgelesen und die Diskrepanz zwischen erstem Zuhören und Lesen ist auffällig. Es lohnt sich, die Texte erst in Ruhe durchzulesen, bevor man über sie urteilt. Trotzdem ist die Mühe der spontanen, schreibenden Begleitung der gesamten gestrigen Beiträge natürlich bewundernswert. Mir hat die "Rettung einer Kindheitserinnerung" trotz fäkalsprachlichen Einsprengseln nachträglich gefallen, der stotternde Vortrag irritierte. Gerade der Gegensatz zwischen derber bäuerlicher Gutshofatmosphäre und den frostigen Naturmetaphern finde ich spannend. Ich glaube, dass der Text auch autobiographisch geprägt ist. Die Umsetzung durch verschiedene Erinnerungsperspektiven, unterschiedliche Erzählebenen, Schreibperspektive und Jungensicht fand ich auch gelungen. Eine Mutter-Kind-Beziehung zu beschreiben, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, davor gebührt dem Autor Respekt. Überhaupt kann ich den Frust des ersten Tages zwar verstehen, aber alle Texte enthielten interessante Ansätze und die "Autorenschelte" ist eigentlich unangebracht. Man muss nicht jeden Text gut finden und kann ihn auch literarisch sezieren, aber zunächst einmal ist der Versuch zu machen, dem Schreibenden Verständnis entgegen zu bringen. Aber leider geht es auch in Klagenfurt ja um Gewinner. Alle anderen werden schnell vergessen.
Die Aufregung über den "Hitler-Stalin-Pakt" halte ich für übertrieben. Soweit ich mich erinnere geht es in der Geschichte um eine Zweierbeziehung und deren Charakter. Die Autorin hat Geschichte studiert und stellt nur eine Art Vergleich mit dem auf dem Schreibtisch liegenden Manuskript über den "Hitler-Stalin-Pakt" und der männlich geprägten Beziehungsstruktur her, die ähnlich wie Tekno-Rhythmen als hart, stählern und unterschwellig monoton empfunden wird. Ein Geschichtsseminar darf man an dieser Stelle nicht erwarten. So, nun habe ich ein wenig meine Meinung skizziert, hoffe aber Sie nicht brüskiert zu haben, was absolut nicht meine Absicht ist. Ich verfolge Ihre Einlassungen sehr gern.

Teresa HzW - 8. Jul, 09:49

Wirkungsforschung – nicht Frust :-)

Meine Lese-"Rezeption" ist eine Art Wirkungs-„Forschung“, lieber Bücherblogger. Die Untersuchung der Fragen: Wie wirkt ein Text auf eine Leserin. Was löst das Vor-lesen, Vor-Tragen im Augenblick des ersten Ohren- oder Augen-Kontakts in einem aus. Wie verändert sich diese Wirkung im Laufe der Lesung. Was verändert der Text in einem. Welche Gefühle, welche Fragen löst er aus. Welche Sätze faszinieren. Welche Worte wecken Aufmerksamkeit. An welchen Ausführungen stösst man sich…

Darum geht es bei mir.
Ich beobachte mich selbst in jedem Augenblick der "Text-Berührung" und beschreibe diese [Aus]Wirkungen lediglich.

Ich analysiere nicht.
Das ist bei der ersten Spontan-Begegnung mit einem vor-gelesenen Text, von dem man nichts weiß, gar nicht möglich.

Die Reflektion kann erst später einsetzen: Nach nochmaligem Lesen, nach längerem Überlegen, ggf. auch erst nach einmal drüber schlafen.

Daher freue ich mich sehr über die Einlassungen in Ihrem Kommentar hier!
Sie zeigen, wie die Wirkungen, wie die Beschäftigung mit einem Text weiter geht bzw. weitergehen kann.
Sie zeigen, welche Nachdenk-Prozesse nach dieser ersten Textwirkung, auf die ich mich – wie gesagt – konzentriere, in Gang kommen [können]. Das ist toll. Es ist die andere Seite der Rezeptions-Medaille.

Lieber Bücherblogger, es fällt mir schwer, jetzt und an dieser Stelle nicht in die Reflektion über die Texte, v.a. den letzteren Lesungstext, zu gehen. Regelrecht auf die Zunge muss ich mich beißen, um selbige zu hüten. Wie gern würde ich jetzt mit Ihnen und auch den anderen Leser-innen anfangen, zu diskutieren. Ich werde mir dies für einen späteren Zeitpunkt aufheben.

Gleich geht das Vor-Lesen in Klagenfurt wieder los und ich verschwinde in der Lese-Aura vor dem Fernseher. Bis später, wir lesen uns ;-)

Für die anderen Leser-innen: Die Vorbemerkung zu meiner Herangehensweise meines kleinen Wirkungs-Forschungs-Experiments beim Bachmann-Wettbewerb 2011 können Sie nachlesen unter
http://wiederworte.twoday.net/stories/bachmannpreis-2011/
Angela Leinen (Gast) - 12. Jul, 18:18

Oft ungerecht, von der Vortragsweise auf den Text zu schließen, deshalb ist es gut, dass die Juroren die Texte vorher haben und die Autoren sie deshalb nur noch schwer kaputtlesen können.
Geltigern ist tatsächlich Stotterer, und wer "The Kings Speech" gesehen hat, wird einige Strategien wiedererkannt haben. Ich habe ihm gerne zugehört, ist mir lieber als allzu gewollte Theatralik.
Angela Leinen (Gast) - 12. Jul, 18:20

Zu schnell getippt

(Schreibe zehn mal Geltinger, Geltinger, Gelt...
Teresa HzW - 15. Jul, 18:28

@Angela Leinen

Vielen Dank für Ihren Kommentar. Dadurch bin ich auf Ihr interessantes Blog gestoßen und konnte nachträglich ein wenig Live-Atmosphäre aus Klagenfurt mit nehmen. Ihr Blog habe ich gern meiner Bachmann-Blogliste hinzugefügt, hier>>> http://wiederworte.twoday.net/stories/andere-bachmann-blogs/

Es ist gewiss ein anderer Eindruck live dabei zu sein, die Autoren auch persönlich zu erleben, ggf. sogar mit Ihnen ins Gespräch zu kommen; Ihre Erkenntnis, dass es durch die vor-ort-Nähe zu Mensch und Text schwieriger wird, kritisch zu bleiben, ist doch gerade die Herausforderung einer Live-vor-Ort-Berichterstattung.
Eine beneidenswerte Erfahrung, die Sie da machen konnten und die mich inspiriert und ins Grübeln bringt: vielleicht fahre ich doch kommendes Jahr auch mal hinunter an den schönen Wörther See, um diese Atmosphäre einzuatmen ;-)

Trackback URL:
https://wiederworte.twoday.net/stories/bachmannpreis-2011-fazit-zum-ersten-lese-tag/modTrackback

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