Ein besonderer Tag

Liebe Leserinnen und liebe Leser,

heute ist ein besonderer Tag:
Sant Jordi. Der Tag des Heiligen Georg.
Das ist nicht irgendein Tag.
Es ist der Tag, an dem man sich Rosen schenkt.
Und.
Bücher.
Ja, Bücher.

Guten Freunden schenkt man heute ein Buch.
Und dem oder der Geliebten eine Rose, oder mehrere.
Oder gleich beides:
Eine Rose und ein Buch.
Denn die beste Geliebte ist doch diejenige, die auch eine Bücherfreundin ist. Der beste Freund im Idealfall einer, der auch das Hobby des Lesens mit einem teilt.
Zumindest in Katalonien. Da ist das so.

Da schenkt der Mann heute seiner Frau und[oder] seiner Freundin eine rote Rose und die Frau[en] revanchieren sich mit einem Buch.

Jedenfalls ist mir das ein Anlass,
Sie heute mit drei lesenswerten Büchern ausländischer Autor[inn]en zu beschenken:

Thomas Bernhard, Der Wahrheit auf der Spur, ein aktuelles, eben erst erschienenes Taschenbüchlein von 346 Seiten, das eine Auswahl seiner journalistischen Arbeiten, Leserbriefe, öffentlichen Erklärungen und Interviews enthält. Texte, die [bis auf die Preisverleihungen] bisher noch nicht in Buchform veröffentlicht. Eigentlich ein „Must-have“ für alle Bernhard-Fans. Wundervolle Lektüre über einen Schriftsteller ,der zeitlebens unbequem war und konsequent [s]eine unbeugsame Haltung gelebt hat. Mein Lieblingstext in diesem Suhrkamp-Buch ist jenes Interview von Werner Wögerbauer, das den Titel trägt: "Leute, die ein Gespräch führen wollen, sind mir verdächtig."
Der fragt den Schriftsteller gleich zu eingangs:
"Interessieren Sie sich für das Schicksal Ihrer Bücher?"
und der antwortet:
>Na, eigentlich net.<
"Für Übersetzungen zum Beispiel?"
>…Überhaupt nicht, weil eine Übersetzung ist ein anderes Buch. Das hat mit dem Original gar nichts mehr zu tun. Das ist ein Buch dessen, der das übersetzt hat. Ich schreibe ja in deutscher Sprache. Die werden ins Haus geschickt, die Bücher, und entweder machen`s an Spaß oder nicht, wenn sie scheußliche Umschläge haben, da ärgern Sie sich ja nur, und dann blättert man`s durch und fertig. Das hat mit dem eigenen, außer mit einem verschrobenen andern Titel meistens nichts gemeinsam. Nicht? Weil man kann ja nicht übersetzen. Net, ein Musikstück, das spielt man, wie die Noten stehen, überall auf der Welt, aber ein Buch, das müßte man überall, in Deutsch, in meinem Fall spielen. Mit einem Orchester!<


Das ist der Grund, weshalb ich sehr gern Bücher in ihrer, des Schriftstellers Muttersprache lese, sofern ich die Sprache einigermaßen verstehe.
Sehr gern lese ich französische Autor[inn]en.
Ein Buch von meinem französischen Büchertisch, Nation Pigalle, von Anne Plantagenet, ist ein wunderbares [auch politisches] Buch über die Ära Sarkozy und zugleich über das Lebensgefühl einer ganzen französischen Generation. Zum einen, jener jungen Generation, die seit einiger Zeit das Montmartre-Viertel um den Place Pigalle und seine angrenzenden Straßen, wie die Rue Martyr erobert:
Die Wohnungen genauso wie die dortigen "Geschäfte". Wo ehemals leichte Damen dem sündigen Gewerbe nachgingen, [er]öffne[te]n Ökoläden und Biokostbistros.
Zum anderen setzt sich die Schriftstellerin in ihrem Roman kritisch mit der Gesellschaft unter Präsident Sarkozy auseinander: Eine alte Dame legt Feuer in ihrer Wohnung, weil sie aus dem Leben scheiden will. Sie hat Glück und kommt mit dem Leben davon. Allerdings verändert diese Tat nicht nur ihr eigenes Leben, sondern auch das von ihr nahestehenden Personen. Hinter der verkohlten Fassade des alten Hauses beginnt es im Leben von sechs Hauptfiguren zu bröckeln: Das Feuer bringt es ans Licht, was bisher unter dem Deckmantel des "So-tun-als-Ob" oder hinter Lebenslügen verborgen war. All das spielt sich ab rund um den Place Pigalle. Zwischen Bars und Restaurants, Stundenhotels und Sexshops, Künstlerateliers und Kindergärten. Ein Buch, das zugleich ein Stadtviertel in Paris porträtiert, das sich in den letzten Jahren vom Schmuddelviertel zu einem Quartier der neuen Bourgeoisie [ge]wandelt [hat].
Ein Buch, das es auch dem nicht versierten Sprachkenner leicht macht, zu verstehen, was zwischen den Buchdeckeln geschrieben steht, da sich die französische Schriftstellerin im südlichen Teil von Pigalle durch das Alltagsleben ihrer Figuren [wie auch im realen Leben] in allen Facetten bewegt. Auch wenn man nicht jedes Wort versteht, es lässt sich nach ein paar Lese-Seiten leicht aus dem Lese-Kontext herleiten und damit zugleich spielerisch die französische Sprache auffrischen [welch` angenehmer Nebeneffekt].

Allerdings ist es kein Buch, das man im Zug oder Bus auf dem Weg von "A" nach "B" liest, wie etwa meine dritte Empfehlung zum heutigen Tag - "Das graue Heft":

"22. April – Rückkehr nach Barcelona. In Flacà nehmen wir den Eilzug. Mein Bruder betrachtet die Landschaft durchs Fenster. Hinten im Waggon dritter Klasse lese ich einen französischen Roman. Es wird allmählich Abend. Als alles dunkel ist, wird an der Decke des Waggons ein Lämpchen angezündet. Die Lampe schwankt, und es ist unmöglich weiterzulesen. Ich drehe mir eine Zigarette, frage nach der Uhrzeit… Ich denke: Dieses Hin und Her zwischen Barcelona und Palafrugell, um einen Beruf zu erlernen, den ich letztlich nie ausüben und nie für etwas verwenden werde, ist vielleicht eine Komödie, die schon zu weit geht. Wenn ich mir nüchtern vor Augen halte, daß meine Eltern noch an mich glauben, schaudert es mich bei dem Gedanken an die Gewalt, die der Glaube in dieser Welt haben kann.
Die Pension. Dasselbe fürchterliche Ambiente wie immer. Abends gehe ich in die Bibliothek. Der alte Costa mit den wehenden Rockschößchen serviert mir den Kaffee. Alles ist wie gewohnt. Die Bibliothek ist düster wie immer. Die grünen Lampenschirme geben ein Licht wie stehendes, brackiges, trübes Wasser. Die intensive Blässe der vereinzelten Leser unter dem grünen Licht."


Der, der dies schreibt, ist zu dem Zeitpunkt hin- und hergerissen zwischen den Anforderungen der Eltern und seinem eigenen inneren Werden als Schriftsteller: Josep Pla`s Tagebücher der Jahre 1918/1919 zu lesen, heißt nicht nur, das Coming-Out eines jungen Schriftstellers zu erleben, sondern auch seine spitzen Beobachtungen, seine kurzen Landschafts-, Gesellschafts- und Lebens-Skizzen sowie Personenporträts [der Familie und der ihn umgebenden wichtigen Personen aus seinem jungen Leben] und seine Selbstreflexionen zu teilen.
"Das graue Heft" - ein Büchlein, das kaum größer als ein DIN A6-Heft ist, vermittelt auf 244 Seiten viel über die damalige Zeit und die Art von Prosa, die Josep Pla zu einem der bedeutendsten Schriftsteller Kataloniens im letzten Jahrhundert gemacht hat.

Und dies... an einem Tag wie heute...

...denn kann es Schöneres geben, als dass in einer Region die Menschen an einem besonderen [weil "himmlischen"] Tag zugleich auch einem ihrer größten Schriftsteller [manche sagen auch, er sei der größte Katalanen-Poet] gedenken:

Der heutige Tag ist nicht nur der von "Sant Jordi", sondern auch der Welttag des Buches und zugleich der 31. Todestag von Josep Pla i Casadevall.

Mit seinem umfangreichen Werk prägte er die katalanische Literatur des 20. Jahrhunderts. Ein Schriftsteller, bei dem ich [m]ein Bernhard`sches Credo außer Acht [ge]lasse[n habe] und die deutsche Übersetzung gelesen... zumal... sich die Frage wohl erübrigt: Wer kann heute noch "katalanisch"!?

Insofern, geh`n Sie doch mal wieder in eine Buchhandlung und suchen Sie nach einer[-em] unbekannten [ausländischen] Autor[in]. Manchmal lohnt es sich, über den Tellerrand zu gucken und zu schauen, was andere jenseits des eigenen Landes schreiben und ein solches Buch zu verschenken. Wie es nicht nur ein schöner Brauch am Tag des Heiligen Georg, sondern zugleich auch der Sinn des heutigen Welt-Buch-Tages ist.
2833 mal gelesen
steppenhund - 23. Apr, 21:31

Oje!

Da kann ich doch jetzt gar nichts dazu sagen, weil ich die "Tage" so hasse. Auch wenn das sozusagen ein intellektueller Valentinstag ist. Ich habe mir im letzten Monat 6 Bücher gekauft, die aber alle Fachbücher sind. Wenn ich sie gelesen habe, kommen sie in die Firmenbibliothek.
Und vom Geburtstag im letzten Jahr habe ich noch zehn ungelesene Bücher.
Und überhaupt ist es so, dass in unserer Familie generell Bücher geschenkt werden. Da brauch ich doch keinen "Tag" dazu! Selbst wenn es irgendwelche Wunschgeschenke zu verschenken gibt, gibt es darüber hinaus noch mindestens ein Buch. Manchmal auch mit dem Hinweis: "das borgst Du mir nachher aber noch."
Aber irgendwoher müssen ja die 4500 Bücher herkommen, die sie da noch immer weiter ansammeln.

Teresa HzW - 25. Apr, 11:16

4500 Bücher

Eine stattliche Bibliothek, mit der könnten Sie locker jedem Buchladen Konkurrenz machen, lieber Steppenhund.

Es wäre ja mal interessant, einen Eintrag zu verfassen über die Bücher, die seit Monaten im Stapel liegen und die man noch immer nicht zu lesen imstande war.
Interessant wäre es auch, zu sehen, welche Art von Bücher einem andere schenken, denn das sagt ja ganz viel auch über die Wahrnehmung, die ein anderer von einem selbst hat, aus.

Ich verschenke mittlerweile fast lieber Büchergutscheine [v.a. von kleineren [aber feinen] Buchhändlern!]. Dies hat den Vorteil, dass sich der Beschenkte dann wirklich den Buchtitel oder das Hörbuch kaufen kann, das er gern hätte.

Dennoch halte ich den Brauch, den die Katalanen haben, für wunderschön, ebenso die Bezeichnung, die Sie dafür fanden: "intelektueller Valentinstag".

Insofern haben Sie doch eine ganze Menge durch Ihren Kommentar "gesagt", lieber Steppenhund :-)
ulr23 (Gast) - 23. Apr, 21:49

seltsam, ist bernhard nicht in mehrere sprachen übersetzt?

Teresa HzW - 25. Apr, 11:26

Bernhards Sprachen

In der Tat, ich habe extra nachgesehen, er ist in mehrere Sprachen übersetzt!
Vielleicht hat er es ja mit dem, was er sagte, doch nicht so genau genommen, liebe[r] Ulr23, denn im gleichen Interview, das ich in meinem Eintrag zitiere, sagt er später: "...na, was glauben Sie, was man in einem Leben von fünfzig Jahren alles sagt [vermutlich wurde das besagte Interview zu einem Zeitpunkt geführt, als Bernhard ein halbes Jahrhundert alt war!?]. Was die Leute und was man selbst für einen Blödsinn in Jahrzehnten sagt. Wenn man die Leute immer festnageln würde, was sie immer sagen."
[So stehts gesagt und geschrieben auf S. 250 im Bernhard-Buch "Der Wahrheit auf der Spur"].
Und darüber können wir nun alle denken, was wir wollen, nicht wahr ;-)
[dennoch schmälert es nicht meine Begeisterung für diesen Schriftsteller ;-)]
Shhhhh - 23. Apr, 23:20

Ich gehe indestens einmal in der Woche in mein Lieblingsantiquariat und erstehe dort ein altes Schätzchen, nur heute tat ich etwas anderes. Ich gab dort vier! Romane von Sjöwall und Wahlöö zurück, weil ich vor einer Woche den kompletten Schuber erstand, für meine Frau. Ich bekam ein Buch zurück dafür, dass ich wahrscheinlich vor dem nächsten Jahr nicht anfange zu lesen, weil der Montag, der für solche Bücher bestimmt ist, von Huxleys "Kontrapunkt des Lebens" blockiert wird, eine ungemein fesselnde und langatmige Lektüre zugleich und das an einem Wochentag, an dem ich gewohnheitsmäßig am wenigsten zum Lesen komme. Mein schlechtes Gewissen plagt mich und ich werde gleich noch ein Kapitel lesen, bevor ich den Tag bei geschlossenen Augen und Dämmerzustand ausklingen lasse.

Aber, ich habe heute den Tag des Bieres zelebriert und sitze gerade bei einem an meinem Rechner, immerhin ein Jubeldatum habe ich nicht vergessen.

steppenhund - 23. Apr, 23:32

@SHHHHH

Tja, den Luxus, ein Antiquariat zu besuchen, kann ich mir nicht leisten. Das ist so, als wenn ein trockener Alkoholiker in die Bar geht. Und das Schlimme ist, dass es einen Buchhändler gibt, der in seinem Antiquariat Weinverkostungen durchführt. Hat mich jedesmal 100€ gekostet, weil ich nicht unter 4 Büchern weggekommen bin:)
Jossele - 25. Apr, 11:36

Die Kombination Buch und Wein gibt es leider zu oft in Wiens Buchhandlungen, und diese Gauner haben dann auch noch so eine Art Magnet installiert, so dass man der Anziehung hilflos erliegen muss.
Daheim dann die Ernüchterung, weil wohin mit all den Schätzen?
Irgendwie fällt mir "Die Blendung" von Elias Canetti ein...
Teresa HzW - 25. Apr, 11:49

Einen kompletten Schuber

Was für ein Glück Ihre Frau doch hat, lieber SHHHHH! Einen kompletten Schuber voller Krimis, wie ich vermute ;-)
Und Sie dürfen sich ebenso glücklich schätzen, einen Buchantiquar zu haben, der sogar Bücher zurücknimmt! Das habe ich hier im Schwabenland noch gar nie nicht erlebt! Ob das an der Mentalität hier liegt? Wiewohl ich natürlich nicht weiß, in welcher geografischen Mentalität Sie verortet sind. Ich tippe mal auf Hessen [kann aber auch völlig daneben liegen, indes ein Anlaß, Sie mal auf Ihrem Blog zu besuchen ;-)]
Auch ein schöner Brauch: Sich einen Tag in der Woche für das Lesen eines bestimmten Buches zu reservieren! [So habe ich es heraus gelesen] Und geehrt fühle ich mich, dass Sie mein kleiner Eintrag zum Welttag des Buches inspiriert hat, um nicht zu sagen, an Ihre Selbstdisziplin appellierte, doch noch ein Kapitel zu lesen!
Und dabei habe ich wiederum von Ihnen erfahren, dass der Welttag des Buches stets mit dem Welttag des Bieres zusammenfällt, wiewohl es mir zwar lieber gewesen wäre, er fiele mit einem Welttag des Weines [den es nicht gibt!] zusammen.... aber man kann halt nicht alles haben ;-)

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