Freiheitskämpfer

Ich bin spät dran; hinke grad überall [einen Tag] hinterher. Warum? Ich bin immer noch in der Waldheimat! Doch die wunderbaren Tage neigen sich langsam dem Ende zu; der Alltag rückt unaufschiebbar heran, ist bereits zum Greifen nahe.

Daher – auch wenn es sich gestern schon gejährt hat, am liberalen Dreikönigstag - ich will mich heute mit der liberalitas, der Freiheit, befassen!
Denn in meiner Wahlheimat ist der Tag der heiligen Himmelsboten von den Liberalen besetzt.

Heilig Dreikönig – der Tag der Freiheit?
Es ließe sich so sehen. Schließlich jährte sich am gestrigen Dreikönigstag eine der großen Freiheitsreden der letzten hundert Jahre!

Ein Anlass heute in meinen Wiederworten einmal länger zu räsonnieren. Holen Sie sich also lieber noch ein Glas Tee oder einen Latte macchiato oder gleich einen Verlängerten, bevor Sie mit dem Lesen starten, liebe Leserinnen und Leser, denn ich möchte hier nun über die bedeutende Freiheits-Rede eines großen amerikanischen Staatsmannes laut nachdenken: Die Vier-Freiheiten-Rede von Franklin D. Roosevelt.

Liberaler oder Demokrat?

War Franklin D. Roosevelt ein Liberaler?
Eigentlich stand er in der Tradition der großen Demokraten unserer Weltgeschichte. In ganz jungen Jahren pendelte er unentschlossen zwischen der demokratischen Tradition seiner Familie und dem Republikaner Theodore Roosevelt, seinem Cousin fünften Grades, der als 26. US-Präsident republikanisch gesinnt war.

Franklin D[elano] Roosevelt prägte seine Erziehung nach klassisch humanistischen Werten, bei denen Religiosität, asketische Lebensführung und sportliche Betätigung eine große Rolle spielten. Bereits mit 28 Jahren wurde er in den Senat von New York City gewählt und setzte sich in den vier Jahren seiner Senatorentätigkeit für Reformen der politischen Willensbildung, etwa die Direktwahl der Senatoren auf Bundesebene und sogar das Frauenwahlrecht [!] ein.
Er bekämpfte die rigorose Abholzung der Wälder und engagierte sich für die Verbesserung der Lebensbedingungen von Farmern und Arbeitern. Kein Wunder, dass er sich im Laufe der Zeit den Ruf eines „progressiven Demokraten“ einhandelte und in seinen politischen Überzeugungen mit dem „progressive movement“ sympathisierte. Diese Bewegung entwickelte sich zu seiner Zeit als Antwort auf die negativen Auswüchse des damaligen Kapitalismus und zu einer dominierenden Geisteshaltung. Mit ihrer Unterstützung gelang ihm der Wechsel nach Washington. Seine progressive Haltung beschränkte sich nicht allein auf innenpolitische Reformen, etwa die Stärkung der demokratischen Mechanismen, die Stärkung des Gemeinwohls oder den Umweltschutz, sondern bestimmte auch seine außenpolitische Ausrichtung. Roosevelt war ein „Internationalist“, der für eine aktive Rolle der USA im Weltgeschehen eintrat.

In der Eigenvermarktung präsentierte er sich, passend zu seinen Ansichten, als „energischer Reformer und global ausgerichteter Außenpolitiker“ (weitere Details zur Person sehr übersichtlich bei wikipedia). Als einziger Präsident der USA amtierte er vier Amtsperioden, da er dreimal als Kandidat der demokratischen Partei wiedergewählt wurde: erstmals 1933, dann 1936, 1940 und 1944.


Vater des GREAT NEW DEAL

Unter seiner ersten Präsidentschaft kurbelte er mit einem Bündel von Wirtschafts- und Sozialreformen in den USA die Binnenkonjunktur mit massiven staatlichen Investitionen an. Der erste NEW DEAL, wie dieses Maßnahmenpaket damals genannt wurde, ist daher auf ihn zurück zu führen [und keine Gegenwarts-Erfindung Blairs und Konsorten]. Dieser „Erste [First] New Deal" umfasste weite Teile der damals krisengeschüttelten Wirtschaft der USA [Stichwort „Great Depression“]: angefangen beim Bank- und Eisenbahnwesen bis hin zur Industrie und Landwirtschaft. Der "Zweite New Deal" konzentrierte sich auf die soziale Kohäsion, wozu der sog. gewerkschaftsfreundliche „Wagner Act“, die Works Progress Administration (WPA), eine Organisation zur Arbeitsbeschaffung, das Sozialversicherungsgesetz Social Security Act, und Hilfsprogramme für Pachtfarmer und Wanderarbeiter zählten. Mit diesen „New Deals“ griff in den USA eine Regierung erstmals dirigistisch in die Marktwirtschaft ein. Der damalige „NEW DEAL“ wird daher als frühes Beispiel für den Versuch einer unter staatlicher Regie durchgeführten gesellschaftlichen Transformation zur Lösung einer globalen Krise angesehen.

Allerdings darf niemals ausser Acht gelassen werden, liebe Leserinnen und Leser, dass die Genesung der US-Verhältnisse auch mit dem verheerenden zweiten Weltkrieg in Europa zusammenhing. Schließlich sorgte auch die gesteigerte amerikanische Kriegsproduktion für die vollständige Erholung der US-Wirtschaft, die zunächst Frankreich und später auch Großbritannien unterstützte und nach Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg auch den US-Truppen selbst diente. Insofern löste die Kriegswirtschaft den „NEW DEAL“ im Jahr 1941 ab.


Die VIER großen FREIHEITEN

Ich hole so weit aus, und fasse dennoch das Wichtigste nur staccato zusammen, weil mir dieser Hintergrund für das Verständnis der großen „Vier Freiheiten“-Rede, die Präsident Roosevelt am 6. Januar 1941 hielt, nicht unwichtig erscheint. Der große US-Reformer, mit dem sich auch der gegenwärtige amerikanische Präsident gerne vergleicht, hielt seine Rede, die eigentlich als Rede zur Lage der Nation gedacht, zu einem Zeitpunkt, als der Riese Amerika noch gänzlich kriegsunwillig war. Er, Roosevelt, sah jedoch „die Sicherheit Amerikas von außen her ernsthaft bedroht“.

In seiner Rede, die er vor den Kongressabgeordneten am Dreikönigstag vor siebzig Jahren hielt, skizzierte er die Gedanken der globalen Abhängigkeit „aller von allen“ [die einer „One World“] und entwickelte für diese EINE Welt ein Fundament des weltweit friedvollen Zusammenlebens. Dieses gründet auf vier wesentlichen menschlichen Freiheitsrechten, die sog. „VIER FREIHEITEN“, die er in seiner Rede ausführlich erläutert:

1. Die erste Freiheit ist die Freiheit der Rede und der Meinungsäußerung – überall in der Welt.
2. Die zweite Freiheit ist die Freiheit eines jeden, Gott auf seine Weise zu dienen – überall in der Welt.
3. Die dritte Freiheit ist Freiheit von Not. Das bedeutet, gesehen vom Gesichtspunkt der Welt, wirtschaftliche Verständigung, die für jede Nation ein gesundes, friedliches Leben gewährleistet – überall in der Welt.
4. Die vierte Freiheit ist Freiheit von Furcht. Das bedeutet, gesehen vom Gesichtspunkt der Welt, weltweite Abrüstung, so gründlich und so weitgehend, dass kein Volk mehr in der Lage sein wird, irgendeinen Nachbarn mit Waffengewalt anzugreifen – überall in der Welt.

Roosevelt erinnert in dieser Rede an die Bedeutung der Meinungs- und Glaubensfreiheit. Er rückt eindrucksvoll seine Sozialpolitik des „NEW DEAL“ (siehe oben !) in den Mittelpunkt und proklamiert als Grundvoraussetzung für FREIHEIT und FRIEDEN [denn was sichert FREIHEIT VON ANGST stärker] den Wohlfahrtsstaat.


DIE vier Freiheiten – naiv und utopisch?

Die Rede des amerikanischen Präsidenten wurde DAMALS von manchem als „naiv und utopisch“ belächelt. HEUTE wird sie „als geistiger Zündfunke der internationalen Menschenrechtsbewegung im 20. Jahrhundert“ bewertet und als Leitbild für eine humane Gesinnung und menschenfreundliches Handeln angesehen.


Und wie steht es heute um diese VIER FREIHEITEN?

Was meinen Sie, liebe Leserinnen und Leser?
Haben Sie eine Meinung dazu?
Dann freue ich mich sehr, wenn Sie sie hier [oder andernsorts mit Querverweis dorthin] kundtun!



BITTER

Schade eigentlich oder sollte ich eher schreiben, schon „bedenklich“ [!?!], dass außer dem Deutschlandfunk kein anderes deutsches Leitmedium gestern in einem größeren Beitrag, oder in einem größeren Artikel den runden Jahrestag dieser bedeutenden Rede thematisierte! [oder doch? Dann bitte Link hier posten. Danke!] Diese mediale Amnesie! Noch dazu in einer Zeit, in der die „Wutbürger“, Medien zufolge, fröhliche Urständ feiern und die parlamentarische Demokratie, wie schon lange nicht mehr, auf dem Prüfstand steht. All das zum Auftakt eines Mega-Wahl-Jahres 2011, in dem in sieben Bundesländern Landtagswahlen anstehen!

Wie hat eine andere berühmte Persönlichkeit einmal gesagt: „Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Zukunft nicht gestalten!“

Achja, unter nachfolgendem Link können sich Interessierte unter Ihnen Roosevelts Rede als mp3 im original anhören – sehr hörenswert auch aufgrund Roosevelts Intonation:
http://174.132.193.190/~eiden/mp3clips/politicalspeeches/fdrfourfreedoms.mp3
1899 mal gelesen
MelusineB - 7. Jan, 23:24

Danke, dass Du an FDR und diese Rede erinnerst. Ich habe vor zwei Jahren eine dicke Biographie über ihn gelesen. Er war sicher kein einfacher Mensch, nicht nur, aber auch wegen seiner Behinderung. Die Ehe mit Eleanor Roosevelt, die auf ihre Weise eine große Reformerin war, ist intern gescheitert, doch haben sie es verstanden, dennoch weiter nach außen für gemeinsame Ziele zu kämpfen.

Sein Memorial in Washington ist beeindruckend. Er ist der einzige Präsident, dessen Frau gleichberechtigt gezeigt wird. Es trägt u.a. die Inschrift: "I never forget that i live in a house owned by all the American people and that i have been given their trust."
Wasserfälle umrahmen die verschiedenen Skulpturen und erinnern an die Naturparkprojekte, die der Präsident im Rahmen des New Deal initiierte.

Teresa HzW - 10. Jan, 21:59

Vielen Dank, liebe Melusine, für Deine Ergänzungen; an das Memorial habe ich gar nicht mehr gedacht. Ich habe es ebenfalls schon live gesehen. Es ist - wie Du schreibst - "beeindruckend"! Für mich zählt es zu den wenigen Erinnerungsstätten, die in einem zeitlebens nachhallen, wenn man sie einmal besucht hat.

Welcher Autor hat die Biographie geschrieben (in engl. od. dt.?), die Du erwähnst?

Eleanor Roosevelt zählt selbst heute noch zu den bedeutendsten Frauen, die es in der amerikanischen Politik je gab.
Herzlich
Teresa

Liberalismus gestern und heute

Liebe Teresa,

vielen Dank für die informative Zusammenstellung zu dieser historischen Rede. Bei einer kurzen Suche bin ich nur auf folgende Seite des dradio gestossen, die auch an diese Rede erinnerte:
http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/kalenderblatt/1346946/
70 Jahre später müssen wir uns anscheinend mit weniger zufrieden geben:
http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/1359523/

Auch den Büchermarkt von dradio lese oder höre ich ab und zu ganz gern:
http://www.dradio.de/dlf/sendungen/buechermarkt/

Bei dem Ernst Jünger Zitat oben rechts fällt mir ein, dass im Marbacher Literaturarchiv gerade eine Austellung dazu läuft.

Herzlichen Gruß
Der Buecherblogger

Teresa HzW - 10. Jan, 22:14

Lieber Bücherblogger,

vielen Dank für Ihre ergänzenden Links! Der vom D-Radio Kultur ist derselbe wie der von mir verlinkte (da der DLF und das Deutschlandradio Kultur sich oft gegenseitig "beliefern").

Das Zitat von Ernst Jünger fand ich in einem der Tagebücher (über seine Rhodos-Reisen), die ich derzeit lese.
Die Ausstellung von Ernst Jünger ist wirklich sehenswert (noch bis 27. März im Literaturmuseum der Moderne in Marbach): 280 Tagebücher von Ernst Jünger, der zeitlebens seine Lebenseindrücke schriftlich festhielt, sind erstmals zu sehen. Sie sind der Quell, aus der er beim Schreiben seiner Werke schöpft. Er legt dabei dieselbe Akribie an den Tag, mit der er seine Käfer sammelt: Korrekturgänge gehören zu seinen täglichen Pflichten und die Überarbeitung seiner Tagebucheintragungen gipfelte offensichtlich bisweilen in einer wahren Bearbeitungsmanie. Sein Feilen an der Sprache machte wohl vor keiner Formulierung Halt, wie ich heute erst las.

Hier noch ein Link, der die Inhalte der Ausstellung beschreibt: http://www.dla-marbach.de/aktuelles/wechselausstellungen/stimmen_zu_den_wechselausstellungen/index.html#c103843

Herzlich
Teresa
hans1962 - 10. Jan, 21:49

Freiheit der Rede

gibt es immer noch - jeder darf sagen, was mir zupass kommt. (das ist natürlich zynisch, wie konnte ich nur! ; )

Doch was soll schon in der freien Rede - "damit ist nicht die nicht abgelesene gemeint!", flüstert grinsend der Schalk im Nacken - zum Ausdruck kommen? Im Englischen gibt es den Ausdruck "informed opinion". Solche zum Ausdruck bringen zu dürfen, wäre (und ist auch) eine feine Sache. Über meine lästigen Blähungen könnte ich überall und jederzeit tief fundiert referieren. Über wirtschaftliche und politische Zusammenhänge indes auch nur im kleinsträumigen gesellschaftlichen Kontext zu parlieren, fiele bereits deutlich schwerer. Die Voraussetzung für die "fundierte Meinung" ist nämlich qualitativ einwandfreie Information, welche aus einer freien Presse bezogen werden können sollte.

WIRD denn geschrieben,
DARF geschrieben werden,
KANN überhaupt noch geschrieben werden,
was geschrieben werden sollte?

Auf welcher Grundlage bauen wir heute also unsere Redegerüste?


Wie mit der Freiheit eines jeden, Gott auf seine Weise zu dienen, in Europa umgegangen wird, lässt mich vermuten: diese Freiheit ist verloren gegangen.
Nein.
Sie hat nie ins alltägliche Leben gefunden und teilt dieses Schicksal mit der Freiheit von Not. (es erscheint als Ironie der Geschichte, dass sich gerade der Kapitalismus durchgesetzt hat. Doch ist es lediglich Angelegenheit weniger Jahre, dass auch diese Ideologie zusammenbricht - das bedingen mathematische Gesetzmäßigkeiten)


Freiheit von Furcht ist, soweit es nachbarschaftliche Bedrohungsszenarien innerhalb Europas (EU) betrifft, durchaus verwirklicht worden. Das gilt gewiss auch für das Innenleben der USA. Auch die ehemals sich unverblümt feindselig gegenüber stehenden großen Militärblöcke haben mit entsprechenden Abrüstungsgesten soviel Vertrauen in der Weltbevölkerung wiederhergestellt, dass kaum jemand mehr einen atomaren Vernichtungsschlag innerhalb z.B. der nächsten drei Jahre für möglich halten möchte.

Allein, die Furcht bleibt.
Wir machen sie uns jetzt selbst.
Im Land. Gegenseitig.
(Hartz IV? Zwangsmaßnahmen?)

Es ist hoch an der Zeit für einen Europäischen "New Deal".
(just my 2 cents)

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