Auf der Sofakante... Rayuela IV

Beim Lesen von Rayuela höre ich den ganzen Tag französische Chansons und schreibe darüber, WAS ich höre, Warum ich es höre, Wie ich es höre. Horacio Oliveira, der Protagonist treibt sich derweil in seinem Lieblingssalon in Saint-Germain-des-Prés herum, diskutiert dort nächtelang bei Gauloises und Alkohol über Literatur, Kunst, Jazz und den Sinn des Lebens. Mich lässt er hier allein sitzen, inmitten der Gedanken, die mir sein Freund, Julio Cortázar, hinwirft.
GEMEIN! Ich möchte aufstehen und ihn begleiten, wenn er sich das nächste Mal davon stiehlt, während ich des Nachdenkens müde, eingenickt bin. Ich möchte sehen, wen er da trifft, wer diese Maga ist, von der mir Cortázar andauernd vorschwärmt. Muss ja ein tolles Weib sein! Oder ein Biest! Oder eine Schlampe! Ich tippe auf Letzteres, denn welche Frau kann es sich erlauben, sich die Nächte in irgendwelchen Clubs um die Ohren zu schlagen. Cortázar läßt nichts raus, ob sie die einzige in der illustren Runde ist!? Ob sich da nur ein Haufen seniler Bettflüchtlinge trifft!?
Jedenfalls lese ich es Horacio von den Augen ab, ob sie es in der Nacht mal wieder besonders dolle trieben, da in ihrem Club "sous le ciel de Paris"! Langsam fühle ich mich ver....., wenn er mir vom Klang der Jazztrompeter, vom Bass, vom Sound der Musik vorschwärmt, von den Schlagzeugsoli, die irgendein Jean trommelte, dass die Wände wackelten.
"Alles Ablenkungsmanöver", seufze ich still vor mich hin.
Wäre ich beruhigter, wenn ich wüßte, da sind auch andere Frauen dabei? ODER würde mich das in neue Zweifel, in neue Plagen stürzen? Weil ich mich fragte, warum nimmt er DICH nie mit? Warum geht er ohne Dich? Wovor will er Dich schützen?

"Ahhh…", ich höre Geräusche an der Tür, ich glaube, er kommt zurück… was er mir dieses Mal für eine Geschichte auftischen wird?
"Ahhh, meine Liebe, Du bist noch wach? Liest Du wieder…", eilt Horacio auf mich zu. Küsschen links, Küsschen rechts, "ma Chère", Küsschen links, "war das wieder ein Abend, ein Genuss…obwohl es erst nicht so begann… "

Er setzt sich ungefragt zu mir, auf die Sofakante, schiebt die Bücher zur Seite und fährt fort: "...ein schlecht gespieltes, banales Thema, eine alte Schallplatte mit aufgerauhten Rillen, ein unaufhörliches Schaben, Kratzen, Knistern, ein klägliches Saxo, 1928 oder 29 an irgendeinem Abend eingespielt aus Angst verlorenzugehen…. Aber dann kam wie als Überleitung zu etwas anderem, eine schnittige Gitarre, und gleich darauf… löste sich ein Kornett von den anderen Instrumenten, ließ die beiden ersten Noten des Themas fallen und sprang von ihnen ab wie von einem Trampolin…Gitarre gegen Kornett, meine Liebe, Gin gegen Unglück. Der Jazz."

Horacio schaut mir mit seinen schokobraunen Augen tief in die meinen, sein Conquistadore-Bart kitzelt, als er sich über mich beugt und mich auf die Stirn küsst. Er lässt seinen ganzen Charme spielen, glaubt er, während ich überlege, wieviel Gin wohl wieder den Abend hinunter geflossen ist.
"Man fühlt sich wohl hier bei dir. Es ist warm, es ist dunkel", flüstert er.
"Süßholzraspler"
"Aber, ma Chère, ich leg mal Jazz me blues auf… Das hast Du doch hier?"

Er steht auf, geht zum Plattenschrank beim Kamin, kruschtelt in den alten Scheiben von Tommy Dorsey und Bob Scobey, legt eine auf, bevor er zurückkommt, „nach dem Takt im Rauch" der Zigarette schwingend, die er sich eben (auf S. 59) schnell noch heimlich ansteckt, bevor ich protestieren kann. Weil er mich provozieren will? Er weiß, doch wie sehr ich es…

Mir erkalten die Worte im Geiste, weil ich sehe, dass er mit seinen Gedanken längst abgedriftet ist.
Im Rauch bewegen sich schweigend seine Lippen, er sprach nach innen zu etwas weiter Zurückliegendem, etwas anderem, das mir, ohne dass ich wußte warum, unmerklich den Magen umdrehte, vielleicht weil diese scheinbare Abwesenheit Horacios eine Farce war.

"Er lässt mich allein", murmle ich, während er zu sich nach innen spricht, schweigend die Lippen bewegt, führt er wohl in Wahrheit zwischen Rauch und Jazz ein Gespräch mit der Maga…
"Unglaublich, wie weit der Uhrzeiger vorgerückt ist", höre ich mich plötzlich laut sagen, bevor ich mich abrupt vom Sofa erhebe...
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Teresa HzW - 2. Sep, 07:40

Rayuela-Quellen

Kursive Textauszüge sind aus Kapitel 10 und 11, Seite 55-59, in Rayuela von Julio Cortázar.

Die unerträgliche Leichtigkeit der Frauen

Sie haben mich zurückgelassen, überholt, ich hinke hoffnungslos hinterher mit meinen pseudo-intellektuellen Erörterungen. Muss immer zu diesem wahnsinnigen Morelli springen, mir ist schon ganz schwindlig, Hoffentlich hüpfe ich nicht aus einem Kästchen und lande wieder in der Hölle. Sie sitzen derweil gemütlich mit Horacio auf der Couch und hören Jazz. Mit einer geradezu für mich peinlichen Leichtigkeit verfassen Sie Männer-Frauen-Dialoge. Dann soll ich anderswo mit Tortenstücken abgefunden werden, die machen mich doch nur dicker. Ich blase Ihnen jetzt mal etwas Rauch ins Gesicht, das mögen sie nicht, verdammt, ich bin ja mittlerweile Nichtraucher. Durch Paris begleiten wollen sie diesen Kerl auch noch, sich womöglich in Mansarden rekeln, also ich muß schon sagen, der Neid und die Eifersucht fressen an meinem Herzen, da hilft nur ein gutes Frühstück und danach stürze ich mich wieder in die Rayuela-Lektüre, mal sehen, ob ich auch ein bisschen Jazz höre...

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