Montauk XI - Frisch und die Frauen
Nachdem ich Montauk fast ausgelesen, kann es keinen Zweifel mehr geben - das Grundthema in dieser Tagebuch-Erzählung lautet: Mann liebt Frau[en]. In vielen Variationen.
Im letzten Drittel des Buches geht es nahezu nur noch um die Partnerschaften Frischs zum anderen Geschlecht, um sein Verhältnis zu den Frauen. Montauk ist daher nicht e i n e [einzige] Frühlingsromanze! Montauk ist die Sammlung a l l e r Frauengeschichten, die Frisch je hatte. Freundlicher formuliert: Es ist die Sammlung a l l e r Liebesgeschichten im Leben von Max Frisch.
Im Prinzip schildert er in Montauk nicht nur die ihm damals gegenwärtige Frühlingsromanze mit Lynn, sondern in [Gegenwart und] Rückblenden [liebevoll] den Beginn aller seiner L[i]ebe[n]s-Romanzen. Und dies, die jeweiligen Anfänge, zärtlich ausführlich.
Das jeweilige [dicke] Ende bedenkt Max Frisch stets nur noch mit einem kurzen [Ab]Satz, wie damals als jäh die Liebe zur Bachmann endete: "Ich komme von Rom! Das ist alles. Ich bin da. Warum ich nicht wenigstens angerufen habe, weiß ich nicht; ich habe nicht dran gedacht, nur gehofft, dass sie da ist. Sie ist da. Das ist vor dreizehn Jahren gewesen. Ingeborg ist tot. Zuletzt gesprochen haben wir uns 1963 in einem römischen Café vormittags" (S. 1611).
Genauso nüchtern, beinahe kalt[herzig], der Abschied von Lynn. [In meiner Suhrkamp-Quarto-Montauk-Ausgabe] nach 120 Seiten des Erzählens der Wochenendromanze schrumpft er diese Romanze im Buch auf sechs Zeilen zusammen: "Wir mussten jetzt nur noch den genauen Ort finden, wo man sich trennt, und auf den Verkehr achten; wir nahmen uns an der Hand, als wir die Avenue zu überqueren hatten, und liefen. First AVE/46th Street, das war der Punkt offenkundig, wir sagten: Bye, kußlos, dann ein zweites Mal mit erhobener Hand: Hi."
Geht es dem Autor daher mehr um den Beginn und die Blühte einer Liebe [auch im Sinne von Freundschaft]? Gleich welche Qualität diese nun hat: Ob daraus eine Jahr[zehnt]e währende Ehe wird oder nur eine Wochenend-Romanze, sozusagen ein Three-Night-Stand? Fast bin ich versucht, TNT, das Kürzel für Sprengstoff, zu schreiben. Denn, eigentlich bargen alle Beziehungen Frisch`s explosiven Stoff in sich:
Ingeborg Bachmann – das war wohl die dramatischste [vielleicht auch nur in meiner subjektiven Leserinnen-Sicht, da ich über die Beziehung der beiden, durch jahrelange Bachmann- und Frisch-Lektüre bedingt, am meisten weiß].
Die Verbindung zu seiner zweiten Ehefrau, Marianne, scheint mir die liebevollste gewesen zu sein. Jedenfalls enthält der Schlussteil von Montauk mehrere wunderbare Liebeserklärungen an sie, etwa wenn er über das gemeinsame Haus in Berzona schreibt. Der gefühlvollste Abschnitt, mit einer wunderschönen Liebeserklärung an seine zweite Frau, befindet sich auf Seite 1637, kurz nach der Satzstelle[als die Arbeiter, die sein Haus sanierten – stellvertretend für ihn[?] - sagen]: "Ein schönes Jahr, so sagen sie, sei es gewesen hier. Auguri." Kurz danach diese Liebeserklärung: "Zu beschreiben wäre die eine oder andere Speise, die Du erfunden hast/wie Du jüngere und alte Leute gewinnst, so dass sie gern ins Haus kommen/wenn wir in den kalten Bächen schwimmen, wenn ich die Flasche entkorke, die wir im Bach gekühlt haben: Deine frohe Anwesenheit/der Haufen von Büchern (hauptsächlich Deutsch, aber auch Englisch, Französisch, Italienisch) auf dem Boden neben Deinem Bett/wie Du viele Leute beschenkst/Deine kindliche Aufregung vor Geburtstagen/wie Du eine Frau auf dem Fahrrad sitzest und dabei eine Mädchenzeit sichtbar machst/Dein Arbeitstisch, das Tohuwabohu von schweren Wörterbüchern und beschriebenen Blättern und weißen Blättern und Zeitschriften der literarischen Avantgarde und Briefmarken und Magazinen mit Mode, die Du nicht trägst, und Briefen, die beantwortet sind/Dein mütterlicher Kummer mit meiner Arbeit/Dein lederner und vom Regen verwaschener Texas-Hut, wenn ich ihn im Gedränge am Bahnhof erkenne, und Orte, die ohne Dich anders sind: Prag, Warschau, Avignon, Paris, Leningrad, Odessa, Venedig, London, Jerusalem, Manhattan etc. und der kleine Steintisch im Tessin"
Dagegen war Lynn, die Gegenwarts-Romanze in Montauk, ihm nur eine Episode. Eine Gelegenheit. Eine Versuchung, der er nicht widerstehen konnte. So scheint mir. So nehme ich es am Schluss der Buchlesung wahr. Sie, Lynn, war eine Gelegenheit, die er bei seinem New York-Aufenthalt im Frühjahr 1974 wie im Vorübergehen mitnahm. So wie jemand schöne Wiesenblumen pflückt, die im Frühjahr am Wegesrand nach einem langen Winter er-blühen. Wer kann da schon widerstehen!?
"Nur nichts anbrennen lassen" – [könnte s]ein [chauvinistischer] Spruch [sein]. Fast scheint es mir, als ob Max Frisch in Bezug auf Frauen so lebte, präsentiert er sich hier in Montauk doch auch als "Schürzenjäger", als Frauenheld. Kein Playboy, um nicht missverstanden zu werden. Aber doch als Schürzenjäger [den altmodischen Begriff finde ich zur Generation Frisch`s passend], auch wenn die Frauen, denen er erlag, keine Schürzenträgerinnen, sondern nach meinem Lese-Eindruck starke, selbstbewusste, intelligente und intellektuell ihm ebenbürtige Partnerinnen waren.
Mag aber auch sein, dass Frisch sich in Montauk, seinem Spätwerk, im Vergleich zu seiner anderen Prosa inszeniert hat!
Hat er sich bewusst am Ende seines [Mannes-]Lebens mit Montauk absichtlich als Frauenheld inszeniert, damit dieser Eindruck seiner Nachwelt zurückbleibt?
Jedenfalls geht vieles, was die ihm geneigte Leserin [vielleicht auch der ihm geneigte Les-er ?] in Montauk aus seinem Munde, aus seiner Schreibe erfährt, nicht mit dem zusammen, was unsereine[r] aus früheren Interviews mit ihm oder aus literarisch-feuilletonistischen Aufarbeitungen über ihn weiß.
Jedenfalls kann ich auf die Frage, die im Diskussionsstrang zu Montauk VI, mir der Steppenhund stellte: "War Frisch ein Frauenhasser?" mit voller Inbrunst und Überzeugung sagen: "Nein!"
Dafür hat er die Frauen – seine Ehefrauen insbesondere– viel zu sehr geliebt.
Dafür hatte er zu viele Affären.
Ist es nicht so, dass ein Mann, der Frauen hasst, im einen Fall sich diesen fernhält und Junggeselle bleibt oder im anderen Fall sich als wandelnder Playboy gebärdet und an jedem Finger zehn hat!?
Vielleicht müsste ich die psychologisch-psychoanalytisch Beschlagenen unter Ihnen, meiner Leserschaft, bemühen und bitten, um die These, die ich mir zurecht legte, tiefer zu ergründen: Ich wage nämlich die provokante These, dass Frisch sogar zu der Sorte Mann gehört[e], die Frauen zu sehr lieben. Jawoll!
Ein Indiz dafür scheint mir auf Seite 1605 zu stehen, wo er mehrmals ausruft: "Damn! Shit!" [dies nur, dass alle Mit-Leser[innen] jene Stelle leichter finden] Dort an jenen Stellen, bei einem dieser Ausrufe, gesteht er sich ein: "Es bleibt das irre Bedürfnis nach Gegenwart durch eine Frau. Ich kenne das Vakuum: wenn eine Viertelstunde, die nächste länger erscheint als das vergangene Jahr..."
Frisch erzählt in Montauk nicht nur die Liebesgeschichten seines Lebens, sondern er beichtet auch seine Fehler.
Zu jenen zählen außer des Chauvinismus und seines Jähzorns auch seine Eifersucht[m.E. ein weiteres Indiz für "zu sehr lieben"(!?)], die sich im eben genannten Zitat auch schon ausdrückt, jedoch auch in diesem: "Die Eifersucht ist der Preis von meiner Seite, ich bezahle ihn voll" (Seite 1610).
Ich erinnere mich an einen Spruch, gelesen an der Innenwand einer Toilette, vor mehr als dreißig Jahren, ein Spruch, der einem auch nach Jahr[zehnt]en noch einfällt, wenn man über Eifersucht spricht oder schreibt: "Leidenschaft ist eine Sucht, die mit Eifer sucht, was Leiden schafft."
Hat Frisch also eigentlich die Leidenschaft gesucht, das Gegenteil von "hassend"? War er den Frauen in seiner liebenden Leidenschaft so sehr verfallen, dass er ihnen gar hörig war?
Stürzte er sich von einer Frau zur nächsten, von einer Liebe[s]-such-t in die andere, weil es ihm nur so gelingt, sich aus der hörigen Abhängigkeit der jeweils gegenwärtigen Liebesbeziehung zu befreien? Warum begeht [und gesteht] er sonst [in Montauk] Taten, die einem außenstehenden Leser als töricht, vielleicht sogar wahnsinnig, erscheinen? Etwa wenn er in strömenden Regen vierzehn Stunden, allein, eine Fahrt non-stopp von Rom über den Sankt Gotthard in die Schweiz unternimmt, um sie, die Geliebte zu sehen. Anstatt zu übernachten, fährt er unter widrigsten Wetterbedingungen weiter und stürzt mit dem Auto fast den Alpenhang hinunter. "Wieder einmal meine ich, dass ich es nicht aushalte ohne sie." (Seite 1610, die Fahrt zu I.B. ist dort und auf Seite 1611 dramatisch beschrieben).
Treiben ihn die Eifersucht und seine Hörigkeit zu Taten, die man psychologisch betrachtet, als zwanghaft bezeichnen könnte? Dazu zählt auch, dass er den Frauen hinterher spioniert, heimlich ihre Briefpost liest oder etwa der I.B. einmal an einer Straßenecke vor Rom auflauert und ihr - unerkannt – eine halbe Stunde im Auto hinterher fährt [weil er dachte, sie habe einen anderen im Auto neben sich sitzend]…
Legt Frisch daher seinen wahren Charakter in Montauk frei? Filettiert er sich darin selbst wie man ansonsten einen Fisch zerlegt? Denn schonungslos legt er sich frei. Die guten wie auch die schlechten Seiten. Will er sich dadurch im gesetzten Alter – mit dreiundsechzig – ein für allemal mit Montauk vom "Laster der Liebe" befreien? Versucht er sich davon frei zu schreiben, wenn er an mehreren Stellen in Montauk – die überschrieben sind mit der Zwischenüberschrift "my life as a man" – bekennt, ja eigentlich beichtet: "Es lässt mir keine Ruhe, ich muss wissen, wen ich liebe [als Bekenntnis zu seiner Eifersucht]… Es muss an mir liegen, wenn ähnliche Verhaltensweisen wiederkehren, oft sogar haargenau….Ob es mich peinigt oder beseligt, was ich um die geliebte Frau herum erfinde, ist gleichgültig; es muss mich nur überzeugen. Es sind nicht die Frauen, die mich hinters Licht führen; das tue ich selber." (alle Zitate auf Seite 1593)
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Im letzten Drittel des Buches geht es nahezu nur noch um die Partnerschaften Frischs zum anderen Geschlecht, um sein Verhältnis zu den Frauen. Montauk ist daher nicht e i n e [einzige] Frühlingsromanze! Montauk ist die Sammlung a l l e r Frauengeschichten, die Frisch je hatte. Freundlicher formuliert: Es ist die Sammlung a l l e r Liebesgeschichten im Leben von Max Frisch.
Im Prinzip schildert er in Montauk nicht nur die ihm damals gegenwärtige Frühlingsromanze mit Lynn, sondern in [Gegenwart und] Rückblenden [liebevoll] den Beginn aller seiner L[i]ebe[n]s-Romanzen. Und dies, die jeweiligen Anfänge, zärtlich ausführlich.
Das jeweilige [dicke] Ende bedenkt Max Frisch stets nur noch mit einem kurzen [Ab]Satz, wie damals als jäh die Liebe zur Bachmann endete: "Ich komme von Rom! Das ist alles. Ich bin da. Warum ich nicht wenigstens angerufen habe, weiß ich nicht; ich habe nicht dran gedacht, nur gehofft, dass sie da ist. Sie ist da. Das ist vor dreizehn Jahren gewesen. Ingeborg ist tot. Zuletzt gesprochen haben wir uns 1963 in einem römischen Café vormittags" (S. 1611).
Genauso nüchtern, beinahe kalt[herzig], der Abschied von Lynn. [In meiner Suhrkamp-Quarto-Montauk-Ausgabe] nach 120 Seiten des Erzählens der Wochenendromanze schrumpft er diese Romanze im Buch auf sechs Zeilen zusammen: "Wir mussten jetzt nur noch den genauen Ort finden, wo man sich trennt, und auf den Verkehr achten; wir nahmen uns an der Hand, als wir die Avenue zu überqueren hatten, und liefen. First AVE/46th Street, das war der Punkt offenkundig, wir sagten: Bye, kußlos, dann ein zweites Mal mit erhobener Hand: Hi."
Geht es dem Autor daher mehr um den Beginn und die Blühte einer Liebe [auch im Sinne von Freundschaft]? Gleich welche Qualität diese nun hat: Ob daraus eine Jahr[zehnt]e währende Ehe wird oder nur eine Wochenend-Romanze, sozusagen ein Three-Night-Stand? Fast bin ich versucht, TNT, das Kürzel für Sprengstoff, zu schreiben. Denn, eigentlich bargen alle Beziehungen Frisch`s explosiven Stoff in sich:
Ingeborg Bachmann – das war wohl die dramatischste [vielleicht auch nur in meiner subjektiven Leserinnen-Sicht, da ich über die Beziehung der beiden, durch jahrelange Bachmann- und Frisch-Lektüre bedingt, am meisten weiß].
Die Verbindung zu seiner zweiten Ehefrau, Marianne, scheint mir die liebevollste gewesen zu sein. Jedenfalls enthält der Schlussteil von Montauk mehrere wunderbare Liebeserklärungen an sie, etwa wenn er über das gemeinsame Haus in Berzona schreibt. Der gefühlvollste Abschnitt, mit einer wunderschönen Liebeserklärung an seine zweite Frau, befindet sich auf Seite 1637, kurz nach der Satzstelle[als die Arbeiter, die sein Haus sanierten – stellvertretend für ihn[?] - sagen]: "Ein schönes Jahr, so sagen sie, sei es gewesen hier. Auguri." Kurz danach diese Liebeserklärung: "Zu beschreiben wäre die eine oder andere Speise, die Du erfunden hast/wie Du jüngere und alte Leute gewinnst, so dass sie gern ins Haus kommen/wenn wir in den kalten Bächen schwimmen, wenn ich die Flasche entkorke, die wir im Bach gekühlt haben: Deine frohe Anwesenheit/der Haufen von Büchern (hauptsächlich Deutsch, aber auch Englisch, Französisch, Italienisch) auf dem Boden neben Deinem Bett/wie Du viele Leute beschenkst/Deine kindliche Aufregung vor Geburtstagen/wie Du eine Frau auf dem Fahrrad sitzest und dabei eine Mädchenzeit sichtbar machst/Dein Arbeitstisch, das Tohuwabohu von schweren Wörterbüchern und beschriebenen Blättern und weißen Blättern und Zeitschriften der literarischen Avantgarde und Briefmarken und Magazinen mit Mode, die Du nicht trägst, und Briefen, die beantwortet sind/Dein mütterlicher Kummer mit meiner Arbeit/Dein lederner und vom Regen verwaschener Texas-Hut, wenn ich ihn im Gedränge am Bahnhof erkenne, und Orte, die ohne Dich anders sind: Prag, Warschau, Avignon, Paris, Leningrad, Odessa, Venedig, London, Jerusalem, Manhattan etc. und der kleine Steintisch im Tessin"
Dagegen war Lynn, die Gegenwarts-Romanze in Montauk, ihm nur eine Episode. Eine Gelegenheit. Eine Versuchung, der er nicht widerstehen konnte. So scheint mir. So nehme ich es am Schluss der Buchlesung wahr. Sie, Lynn, war eine Gelegenheit, die er bei seinem New York-Aufenthalt im Frühjahr 1974 wie im Vorübergehen mitnahm. So wie jemand schöne Wiesenblumen pflückt, die im Frühjahr am Wegesrand nach einem langen Winter er-blühen. Wer kann da schon widerstehen!?
"Nur nichts anbrennen lassen" – [könnte s]ein [chauvinistischer] Spruch [sein]. Fast scheint es mir, als ob Max Frisch in Bezug auf Frauen so lebte, präsentiert er sich hier in Montauk doch auch als "Schürzenjäger", als Frauenheld. Kein Playboy, um nicht missverstanden zu werden. Aber doch als Schürzenjäger [den altmodischen Begriff finde ich zur Generation Frisch`s passend], auch wenn die Frauen, denen er erlag, keine Schürzenträgerinnen, sondern nach meinem Lese-Eindruck starke, selbstbewusste, intelligente und intellektuell ihm ebenbürtige Partnerinnen waren.
Mag aber auch sein, dass Frisch sich in Montauk, seinem Spätwerk, im Vergleich zu seiner anderen Prosa inszeniert hat!
Hat er sich bewusst am Ende seines [Mannes-]Lebens mit Montauk absichtlich als Frauenheld inszeniert, damit dieser Eindruck seiner Nachwelt zurückbleibt?
Jedenfalls geht vieles, was die ihm geneigte Leserin [vielleicht auch der ihm geneigte Les-er ?] in Montauk aus seinem Munde, aus seiner Schreibe erfährt, nicht mit dem zusammen, was unsereine[r] aus früheren Interviews mit ihm oder aus literarisch-feuilletonistischen Aufarbeitungen über ihn weiß.
Jedenfalls kann ich auf die Frage, die im Diskussionsstrang zu Montauk VI, mir der Steppenhund stellte: "War Frisch ein Frauenhasser?" mit voller Inbrunst und Überzeugung sagen: "Nein!"
Dafür hat er die Frauen – seine Ehefrauen insbesondere– viel zu sehr geliebt.
Dafür hatte er zu viele Affären.
Ist es nicht so, dass ein Mann, der Frauen hasst, im einen Fall sich diesen fernhält und Junggeselle bleibt oder im anderen Fall sich als wandelnder Playboy gebärdet und an jedem Finger zehn hat!?
Vielleicht müsste ich die psychologisch-psychoanalytisch Beschlagenen unter Ihnen, meiner Leserschaft, bemühen und bitten, um die These, die ich mir zurecht legte, tiefer zu ergründen: Ich wage nämlich die provokante These, dass Frisch sogar zu der Sorte Mann gehört[e], die Frauen zu sehr lieben. Jawoll!
Ein Indiz dafür scheint mir auf Seite 1605 zu stehen, wo er mehrmals ausruft: "Damn! Shit!" [dies nur, dass alle Mit-Leser[innen] jene Stelle leichter finden] Dort an jenen Stellen, bei einem dieser Ausrufe, gesteht er sich ein: "Es bleibt das irre Bedürfnis nach Gegenwart durch eine Frau. Ich kenne das Vakuum: wenn eine Viertelstunde, die nächste länger erscheint als das vergangene Jahr..."
Frisch erzählt in Montauk nicht nur die Liebesgeschichten seines Lebens, sondern er beichtet auch seine Fehler.
Zu jenen zählen außer des Chauvinismus und seines Jähzorns auch seine Eifersucht[m.E. ein weiteres Indiz für "zu sehr lieben"(!?)], die sich im eben genannten Zitat auch schon ausdrückt, jedoch auch in diesem: "Die Eifersucht ist der Preis von meiner Seite, ich bezahle ihn voll" (Seite 1610).
Ich erinnere mich an einen Spruch, gelesen an der Innenwand einer Toilette, vor mehr als dreißig Jahren, ein Spruch, der einem auch nach Jahr[zehnt]en noch einfällt, wenn man über Eifersucht spricht oder schreibt: "Leidenschaft ist eine Sucht, die mit Eifer sucht, was Leiden schafft."
Hat Frisch also eigentlich die Leidenschaft gesucht, das Gegenteil von "hassend"? War er den Frauen in seiner liebenden Leidenschaft so sehr verfallen, dass er ihnen gar hörig war?
Stürzte er sich von einer Frau zur nächsten, von einer Liebe[s]-such-t in die andere, weil es ihm nur so gelingt, sich aus der hörigen Abhängigkeit der jeweils gegenwärtigen Liebesbeziehung zu befreien? Warum begeht [und gesteht] er sonst [in Montauk] Taten, die einem außenstehenden Leser als töricht, vielleicht sogar wahnsinnig, erscheinen? Etwa wenn er in strömenden Regen vierzehn Stunden, allein, eine Fahrt non-stopp von Rom über den Sankt Gotthard in die Schweiz unternimmt, um sie, die Geliebte zu sehen. Anstatt zu übernachten, fährt er unter widrigsten Wetterbedingungen weiter und stürzt mit dem Auto fast den Alpenhang hinunter. "Wieder einmal meine ich, dass ich es nicht aushalte ohne sie." (Seite 1610, die Fahrt zu I.B. ist dort und auf Seite 1611 dramatisch beschrieben).
Treiben ihn die Eifersucht und seine Hörigkeit zu Taten, die man psychologisch betrachtet, als zwanghaft bezeichnen könnte? Dazu zählt auch, dass er den Frauen hinterher spioniert, heimlich ihre Briefpost liest oder etwa der I.B. einmal an einer Straßenecke vor Rom auflauert und ihr - unerkannt – eine halbe Stunde im Auto hinterher fährt [weil er dachte, sie habe einen anderen im Auto neben sich sitzend]…
Legt Frisch daher seinen wahren Charakter in Montauk frei? Filettiert er sich darin selbst wie man ansonsten einen Fisch zerlegt? Denn schonungslos legt er sich frei. Die guten wie auch die schlechten Seiten. Will er sich dadurch im gesetzten Alter – mit dreiundsechzig – ein für allemal mit Montauk vom "Laster der Liebe" befreien? Versucht er sich davon frei zu schreiben, wenn er an mehreren Stellen in Montauk – die überschrieben sind mit der Zwischenüberschrift "my life as a man" – bekennt, ja eigentlich beichtet: "Es lässt mir keine Ruhe, ich muss wissen, wen ich liebe [als Bekenntnis zu seiner Eifersucht]… Es muss an mir liegen, wenn ähnliche Verhaltensweisen wiederkehren, oft sogar haargenau….Ob es mich peinigt oder beseligt, was ich um die geliebte Frau herum erfinde, ist gleichgültig; es muss mich nur überzeugen. Es sind nicht die Frauen, die mich hinters Licht führen; das tue ich selber." (alle Zitate auf Seite 1593)
Teresa HzW - 1. Mai, 13:37 - Rubrik [Post]Moderne
Ich bin noch nicht ganz am Ende
Mit Frauen hassen bzw. Frauen zu sehr lieben kann ich recht viel anfangen, sowohl bei Frisch als auch in diesem Posting. Man könnte erklären, dass zu sehr geliebte Frauen irgendwann Enttäuschungen auslösen. Da es nach Liebe keine Gleichgültigkeit geben kann, stellt sich dann vielleicht eine Hassperiode ein. Und irgendwann später gibt es dann Frieden, bei dem man sich erinnert, warum man einen Menschen geliebt hat. Man stellt fest, dass sich eigentlich nichts geändert hat.
Wenn man die pathologische Variante des Stalkers ausblendet, bleibt dann eigentlich nur mehr freundschaftliche, ja sogar liebevolle Zuwendung.
Was den three-night-stand mit Lynn angeht, glaube ich nicht an das "Nichts-anbrennen-lassen"-Syndrom. Es kommt mir eher wie eine sexualisierte Variante seiner Geldbetrachtungen vor.
Irgendwann stellt er fest, dass Geld nicht mehr dadurch definiert ist, dass es nicht da ist und daher eine Aussperrung bedeutet. Nein, er ist quasi im Besitz ausreichenden Tauschvolumens, dass er sich "die besten Sachen" leistet.
Und jetzt leistet er sich Lynn. Der Fundus seiner Liebeserfahrungen kann sich die Affäre Lynn leisten.
Ich finde das symptomatisch in der Darstellung beschrieben: es ist möglich, "you are wrong" zu sagen. Man braucht keine höfliche Floskel herum. Es gibt eine Selbstverständlichkeit, die überhaupt nicht selbstverständlich für einen Mann von Frischens Generation ist
Vielleicht ist heute ein One-Night-Stand selbstverständlich. Für mich war er das 1970 nicht. Eine Affäre wie mit Lynn könnte ich mir vorstellen, aber sie wäre absolut nichts für mich. Ich schreibe nicht als Moralapostel. Meine Ansprüche sind nur andere.
Insgesamt finde ich das Buch aber sogar sehr stimmig.
Ich frage mich jetzt, von wem ich ein ähnliches Buch gerne lesen würde? Welche Schriftstellerin oder Schriftsteller würde mich ähnlich interessieren können.
Ein Frisch steht mir heute wesentlich näher als ein Hesse. Und der war lange Zeit ein Idol von mir.
Nur zur Information: neben den berühmten Dichtern und Schriftstellern würde ich für mich Steinbeck und Vonnegut hervorheben.
Insofern können Sie und alle anderen Mit-Leser-innen sich auf ein, zwei [drei?] weitere Einträge im Rahmen dieses Lese-Experiments freuen :-)
An einigen Stellen Ihres aktuellen Kommentars habe ich geschmunzelt: Bitteschön, lieber Steppenhund, erklären Sie doch, was "Nebenschwimmerinnen" sind, den Ausdruck habe ich bisher nicht gehört. Mag aber auch sein, dass es sich damit verhält wie mit dem berühmten "Vogerlsalat", der uns Deutschen der "Ackersalat" ;-)
Insofern sind die von Ihnen bezeichneten "Nebenschwimmerinnen" also die "Nebenfrauen" oder doch "Dauerfreundinnen" oder am Ende doch die Frisch-"Episoden a la Lynn" ;-)
Ihre Interpretation der Lynn-Episode [wie ich es nannte] als "eine sexualisierte Variante seiner Geldbetrachtungen" [wie Sie es nennen] halte ich für eine recht interessante Interpretation! Die kann ich sehr gut nachvollziehen. Genau wie eine neue Pfeife "leistet er sich Lynn. Der Fundus seiner Liebeserfahrungen kann sich die Affäre Lynn leisten." [gefällt mir gut, Ihre Feststellung, lieber Steppenhund]. Dazu passt, dass sie, Lynn, nicht dabei sein mag, als er am Ende des Wochenendes alles zahlt.
Ich bin gespannt, ob eine[r] unserer Mit-Leser[innen] zu Ihrer These noch etwas sagen rsp. schreiben mag?
Andererseits, da will ich etwas Wasser in den Wein gießen, ist es nicht so, dass sich gut situierte ältere Liebhaber eben gern darin gefallen, jovial ihre erheblich jüngeren Geliebten zu allem einzuladen. Aus der Beschreibung [des Einzimmer-Appartements von Lynn und aufgrund ihres Berufs als Verlagsangestellte] wissen wir, Leser[innen], dass ihr Geldbeutel auch zu schmal, um sich ein solches Wochenende zu leisten. Ich versteige mich sogar zu der Annahme, dass Lynn nicht einmal als Einzelreisende in der finanziellen Lage dazu wäre, nach Long Island zum Montauk zu fahren. Lynn war es ja, die das Ausflugsziel empfahl. Sie kannte es von einer Geschäftsreise, die ihre Firma dorthin unternahm [dies erfahren wir Leser schon auf den ersten Seiten des Buches].
Ihre weitere Feststellung - "Ein Frisch steht mir heute wesentlich näher als ein Hesse." – auch darin mag ich Ihnen heute zustimmen! Für mich ist Hesse der Coming-out-of-Age-Autor schlechthin. Man liest ihn eben eher in jungen Jahren. Interessant finde ich, dass er nach wie vor bei der heutigen Abiturienten-Jugend Kult ist [auch bei Mädels!]. Mein Lieblingswerk von ihm [immer noch] "Siddharta"[ein echt zeitloser Entwicklungsroman] und seine Gedichte!
Zur Folge-Lese-Lektüre gleich ein Extra-Post-it, sonst wird das hier zu lang ;-)
Schön`Sonntach noch,
herzlich
Teresa
Der Ausdruck Geliebte ist für mich nicht so zielführend. Hätte ich damals meine Geliebte zuerst getroffen, hätte ich sie geheiratet und sie mit meiner Frau "betrogen". Betrug war allerdings in verpöntes Wort und kam auch nicht so richtig an, denn schließlich waren wir Post-68er und selbst eine Heirat war nur eine Konvention an äußere Gegebenheiten. Dass die Ehe jetzt nach 37 Jahren noch lebt, ist eines der Paradoxa im Leben;)
Die Ehe - ein "Paradox"?
Übrigens lese ich gerade das Tagebuch 1966-1971 von Max Frisch - quasi als Abrundung zu Montauk [und weil es neben Montauk ohnehin in der Suhrkamp-Quarto-Ausgabe enthalten ist - wie einige andere seiner klassischen Werke auch]. Im eben genannten Tagebuch veröffentlicht er unterschiedliche Fragebögen: Kann es ein Zufall sein, dass ich ausgerechnet zu diesem Post von Ihnen unter den Aufzeichnungen von Max Frisch zum Jahr 1968 einen Fragebogen zur Ehe finde!?
Folgende Frage findet sich darin, die ich hier eher rhetorisch sozusagen, einstelle:
Möchten Sie Ihre Frau sein?
[Das steht da wirklich auf S. 1282]
rsp. alle in Ehe oder Partnerschaft lebenden Mit-Leserinnen können sich ja die Frage stellen: Möchten Sie Ihr Mann sein?
Folgende Frage [auf S. 1205] aus Frisch`s Fragenkatalogen zur Ehe, aus den Aufzeichnungen zum Jahr 1966, finde ich ebenfalls nachdenkenswert:
Was hat Sie zum Eheversprechen bewogen:
a. Bedürfnis nach Sicherheit?
b ein Kind?
c. die gesellschaftlichen Nachteile eines unehelichen Zustandes. Umständlichkeiten in Hotels, Belästigung durch Klatsch, Taktlosigkeiten, Komplikationen mit Behörden oder Nachbarn usw.?
d. das Brauchtum?
e. Vereinfachung des Haushalts?
f. Rücksicht auf die Familien?
g. die Erfahrung, dass die uneheliche Verbindung gleichermaßen zur Gewöhnung führt, zur Ermattung, zur Alltäglichkeit usw.?
h. Aussicht auf eine Erbschaft?
i. Hoffnung auf Wunder?
k. die Meinung, es handle sich lediglich um eine Formalität?
Interessant, dass Frisch bei dieser Frage in keinem dieser Fragepunkte [die alle für sich schon eine Antwort von vielen darstellen] die Liebe selbst erwähnt. Heirat aus Liebe...
:-)
NEIN a. Bedürfnis nach Sicherheit?
NEIN (unsere erste Tochter kam erst drei Jahre später zur Welt) b ein Kind?
NEIN c. die gesellschaftlichen Nachteile eines unehelichen Zustandes. Umständlichkeiten in Hotels, Belästigung durch Klatsch, Taktlosigkeiten, Komplikationen mit Behörden oder Nachbarn usw.?
NEIN d. das Brauchtum?
NEIN e. Vereinfachung des Haushalts?
NEIN (vielleicht ein bisschen) f. Rücksicht auf die Familien?
NEIN g. die Erfahrung, dass die uneheliche Verbindung gleichermaßen zur Gewöhnung führt, zur Ermattung, zur Alltäglichkeit usw.?
NEIN (hätte aber ein Grund sein können:) h. Aussicht auf eine Erbschaft?
NEIN i. Hoffnung auf Wunder?
JA (meine Frau hätte dann in der Mieterschutzwohnung weiter wohnen können) k. die Meinung, es handle sich lediglich um eine Formalität?
Liebe?
NEIN, ich kann gar nicht lieben - bis auf ein paar Frauen. Moment, da war meine dabei:)
Im Übrigen wollte meine Frau nicht heiraten. Beim Punkt k hat sie eingewilligt.
Ich glaube, ich habe sie nur deswegen heiraten wollen, weil sie ein wunderbarer Mensch ist.
@Steppenhund
Dann hätt ich hier noch was – aus der Sammlung von Max Frisch – auch wieder aus den Aufzeichnungen des Jahres 1968, S. 1281:
Kommt es nach Jahr und Tag zum freundlichen Wiedersehen mit früheren Gefährtinnen: überzeugt Sie dann Ihre einstige Paarschaft oder verwundert es Sie, d.h. haben Sie dann den Eindruck, dass Ihre berufliche Arbeit und Ihre politischen Ansichten sie wirklich interessiert haben, oder scheint es Ihnen heute, dass man sich alle diesbezüglichen Gespräche hätte sparen können?
Ich habe schon oft beschrieben, dass ich mein Leben nicht als "das Leben für den Augenblick" sehe, sondern meine Wahrnehmung eine Glockenkurve darstellt. Was jetzt ist, erfährt die meiste Betonung. Meine heutigen Gedanken sind von den Erfahrungen der Vergangenheit beeinflusst und versuchen eine mögliche Zukunft zu erahnen und anzustreben.
Es gibt Dinge in meinem Leben, die ich bereuen kann, doch bei ehemaligen Partnerschaften trifft das nicht zu.
Am liebsten hätte ich ja alle Frauen um mich:)
Das Entscheiden-müssen ist ein echter Schmarr'n!