Die Würde des Menschen

… ist unantastbar. So steht es in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und im Grundgesetz.
Unmittelbar, damit es keiner übersieht, überliest, überhört, übergeht, in Artikel eins.
Wie steht es jedoch mit der Würde des Menschen in der heutigen Arbeitswelt?

Darüber entbrannte heute in meiner Wohnküche eine Diskussion zwischen jung und alt.
Zum Disput geriet uns die Frage: Was ist Menschen-Würde? Wie weit ist das, was wir heute im beruflichen Kontext erleben, noch dem Menschen würdevoll?
Was ist das Kennzeichen einer Arbeitsumgebung, eines Arbeitgebers, von Arbeitsbedingungen, unternehmerischen Rahmenbedingungen, die würdevoll mit ihren Menschen umgehen?

ODER ist "Würde" die falsche Begrifflichkeit?
Kann man im Arbeits-Kontext, im Kontext von Wirtschaften und Arbeiten nicht [mehr] von [Menschen]Würde sprechen? Was wäre der treffendere Begriff?

In unserer Freundeskreis-Diskussion war schnell klar, dass dieser Begriff "sehr vage" und "ganz schwer zu greifen" ist. Dennoch beinhaltet der Begriff für uns auch eine Verpflichtung - auf den beruflichen Kontext bezogen: Die Pflicht menschenwürdige Arbeitsbedingungen zu schaffen.

Zwei Kernfragen trieben uns besonders um:
1. Achtet ein Arbeitgeber diese Menschenwürde [noch], wenn er die Arbeit so schlecht bezahlt, dass ein würdiges Leben ohne staatliche Unterstützung nicht mehr möglich ist?

2. Achtet ein Arbeitgeber diese Menschenwürde, wenn er es gestattet, dass die von ihm eingesetzten Führungskräfte fortlaufend "Grenzüberschreitungen" gegenüber "Schutzbefohlenen" begehen? Also gegenüber den Mitarbeitern, die unter ihrer Führungsobhut stehen?

Beim Kampf um das erstere gibt es landauf-landab eine breite Lobby, da es sich um ein greifbares, meßbares Thema handelt. Wir erleben es gerade im Ringen der Parteien und Politiker um die HartzIV-Sätze in Deutschland.

Was ist jedoch mit dem anderen Thema? Den Grenzüberschreitungen?
Den äußerlich wahrnehmbaren Grenzüberschreitungen? Ich möchte sie fast "objektive" [wahrnehmbare] Grenzüberschreitungen nennen. Dazu zählt für uns etwa der Zwang zur gemeinsamen Mittagspause im Kollegenkreis mit Chef verpflichtet zu werden. Oder jenem Gruppendruck ausgesetzt zu sein, wenn in einem Unternehmen, keiner vor 18 Uhr wagt, das Haus zu verlassen, alle jedoch bereits um 8 Uhr kommen, also der Zwang zu regelmäßigen Überstunden im Rahmen des Arbeitsrechts.

Was ist jedoch mit jenen Grenzüberschreitungen, die subversiv, unsichtbar, unter der Tischkante ablaufen? Vielleicht könnte man diese "subjektive" [wahrnehmbare] Grenzüberschreitungen nennen. Einige Beispiele, damit verständlich wird, was ich meine: Anrufe außerhalb der Dienstzeiten auf dem Handy oder am privaten Festnetzanschluss, weil noch dringend etwas zu klären ist. Private Anrufe vom Chef direkt oder von ihm dazu genötigten Kollegen bei Krankmeldungen, bereits in den ersten Tagen der Krankmeldung? Email-Bombardements in Form von Weiterleitung von Arbeitsaufträgen an die private E-Mail-Adresse (Facebook und Co machen es möglich, dass der Arbeitgeber auch die findet!) bei Krankheit, im Urlaub, auf Auslandsdienstreisen.
Ansetzen von Besprechungen und Meetings, abends nach 17 Uhr, nach einem bereits achtstündigen Arbeitstag. Wie steht es da um die Würde des Menschen? Insbesondere, wenn einem kranken Mitarbeiter vom Chef ein geschäftliches Telefonat im Krankenbett oder gar am Wochenende bei Krankheitsverlängerung aufgezwungen wird?

Sind solche subversiven oder subjektiven Genzüberschreitungen nicht erniedrigende, den Menschen entmündigende Handlungen? Die denjenigen Menschen, dem sie widerfahren, entwürdigen? Weil sie ihm das Recht auf Selbstbestimmtheit absprechen?

Einen sehr guten Satz fand ich dazu vorhin bei Karl Kraus, einem [manche ahnen es] österreichischen Schriftsteller und Sprachkritiker des frühen 20. Jahrhunderts: "Würde ist die konditionale Form von dem, was jemand ist."

Doch was ist im Kontext der heutigen Arbeitsumwelt "WÜRDE"? Menschenwürde?
Steht der Führungskraft, dem Vorgesetzten, dem Chef ein "Mehr" an Würde zu? Darf er sich aufgrund seiner "höheren" Standes-Würde (weil er eben als vor-geschaltete Führungskraft eingesetzt ist) ein MEHR an Handlungen gegenüber einem anderen Menschen herausnehmen?
Und falls JA; wo findet dieses "Mehr" seine Grenzen (außer in arbeitsrechtlichen Gesetzen)?
Oder ist es eher eine ethische Frage? Eine Frage des Anstands, der eigenen Kinderstube, ob Chefs die Würde ihrer Mitarbeiter achten?
Gibt es nicht eine Verantwortungs-Würde? Woraus leitet sie sich ab?

Fragen über Fragen zur "Würde des Menschen" im Arbeitskontext, die ich einfach mal über mein Block weitergebe.
Ich freue mich hierzu über Ihre Kommentare, liebe Leserinnen und Leser!

...auch über anonyme, wenn es ernsthafte sind...
2962 mal gelesen
hans1962 - 16. Feb, 01:19

Darüber habe ich mir auch schon Gedanken gemacht, wie das so ist mit der "Arbeitswürde", bin aber von einer anderen Seite an das Thema herangegangen - die im Hintergrund drohenden Konsequenzen nämlich. Gesetzt den Fall, jemand wollte sich subversive oder auch offene Übergriffigkeiten seiner Chefs nicht länger bieten lassen und sagte eines Tages einfach "Nein": was hätte sie/er schon zu fürchten, außer Jobverlust?

Selbstverständlich sind uns die Konsequenzen des Erwerbseinkommensverlust bewusst. Uns ist auch die Existenzangst geläufig, die einen angesichts der straffen, gesetzlich regulierten Armutsherstellung im Lande beschleichen kann. Sähen wir mal genauer hin, welche Einschränkungen die auf Hartz-IV-Leistungen Angewiesenen (der Ausdruck "Bezieher" gibt das Ausgeliefertsein nicht annähernd wieder) hinnehmen müssen, eröffnete sich gleich eine neue Perspektive. Ja, so ist das, Erwerbseinkommensplatz weg, à la longue Würde weg.

Aus dieser latenten, vorausahnenden Existenzangst nährt sich eine allzu nachgiebige Haltung der Arbeitnehmer, was Angriffe auf deren Unversehrtheit betrifft - psychisch wie physisch. Menschen werden eher krank, als dass sie aufstehen und weggehen aus einem ungesunden Arbeitsumfeld. Sie hätten formal gesehen die Freiheit dazu, tun's aber nicht. Insofern würde ich den Gedanken an Selbstverletzung in die Diskussion einbringen wollen. Spannend auch die Frage, w e l c h e Arbeit als Bestandteil der menschlichen Würde gelten kann. Dass sie es i s t, denke ich, wird weitgehend unwidersprochen bleiben können. Ich vertrete hier die Ansicht, dass es die selbstgewählte Arbeit ist und nicht unbedingt die gerade verfügbare.

Die Würde des Menschen im Arbeitskontext ist unter anderem getragen von der Möglichkeit, die eigene Unversehrtheit mit fragloser Selbstverständlichkeit verteidigen zu können. Es wäre ein Leichtes, die Rahmenbedingung dafür herzustellen, so seh' ich das.

PS: Ich habe meine Überlegungen dazu bei mir verallgemeinert fortgesetzt.

Teresa HzW - 17. Feb, 23:46

@HANS1962

Lieber Hans, absolut richtig, Arbeit ist ein wichtiger Bestandteil des Lebens, sie macht das persönliche Lebenskonzept mit aus, beeinflusst Lebensziele und das tägliche Leben. Insofern muss meines Erachtens auch die "gerade verfügbare Arbeit" einem Mindestmaß an Menschen Würde entsprechen, denn: Es ist gewiss das Privileg sehr weniger Menschen, sich die Arbeit "selbst wählen" zu können. Die Masse der heute arbeitenden Bevölkerung muss eben in "gerade verfügbarer Arbeit" tätig sein.
"Sich Arbeit frei wählen zu können" funktioniert zwischenzeitlich nicht mal mehr in jungen Jahren und in älteren schon gar nicht... Räumlich betrachtet: funktioniert das in einem Ballungsraum Stuttgart aufgrund der Vielfalt unterschiedlicher Branchen und Arbeitgeber vielleicht noch eher, als wenn ich irgendwo im ländlichen Raum eben nur die Wahl zwischen dem Mittelständler x und y oder vielleicht auch gar keine Aus-Wahl habe und mich als Arbeitnehmer ins Schicksal fügen muss.

Ansonsten möchte ich noch zu Ihren HartzIV-Anmerkungen eine Ergänzung anbringen: Das Wort "Bezieher" ist eine typisch bürokratische Wortschöpfung, die mehr als zynisch wirkt.
Ich halte den Begriff "Hartz IV" zwischenzeitlich sogar für diskriminierend. Für Betroffene ein diskriminierender Stempel, der alles andere als die menschliche Würde be-achtet.

Alles Weitere werde ich in dem Text auf Ihrer Website nach-lesen und anmerken ;-)
Herzlich
Teresa
andere (Gast) - 18. Feb, 00:07

Leiharbeit, Lohndumping und andere miese Tricks kenne ich zur genüge. Ich verdiene 7,71 € pro Stunde bei einer christilichen Organisation. Muss auch an Feiertagen arbeiten. Es wird immer nur eingeschüchtert, damit die Leute still halten. Diakonie und Wohlfahrtsverbände sind schlimmer als jeder Discounter das sag ich ihnen. Arbeit und christl. Nächstenliebe ist das schlimmste.
hans1962 - 18. Feb, 00:28

Sich Arbeit frei wählen zu können,

liebe Teresa, bedeutet nach meiner Denksicht, dass mit Arbeit nicht notwendigerweise das Auskommen bestritten werden muss. Wir brauchen ein Einkommen, um arbeiten zu können, nicht umgekehrt. Das bedingungslose Grundeinkommen leistet genau das. Unter diesem Blickwinkel betrachtet, wird es für jeden Mitbürger möglich, frei zu entscheiden, w a s er denn gerne arbeiten, w o er sich gerne einbringen würde. Es geht im Hintergrund nämlich auch darum, dem Begriff Arbeit einen neuen Bedeutungsraum zu verschaffen, Arbeit überhaupt neu zu definieren.

PS: Sie haben so viele Leser. Ich wünsche Ihren Denkstrahlen, dass sie aufgenommen und weitergetragen werden. Es gibt viel zu tun auf dieser Strecke (für den Konjunktiv ist keine Zeit mehr, bin ich mir sicher)
Teresa HzW - 18. Feb, 23:06

Brot und Spiele II

Lieber Hans,

meine "Einkommens"-Sicht haben Sie sicher schon auf Ihrem Blog unter >>>>https://spuerbar.twoday.net/stories/stillhalten-im-abgrund/#comments
entdeckt...
Gern schicke ich Ihnen ein paar Leser-innen hinüber ;-)

Mir ist es übrigens manchmal nicht geheuer, wenn ich hier die Leserat[t]en sehe... irgendwie unheimlich, dabei tauche ich momentan schon gar nicht mehr im Ranking der 2day-Hot Stories auf, wieviel Leserat[t]en müssen da die anderen dort gelisteten Blogs erst haben!?

Nichtsdestotrotz freue ich mich sehr über das rege Interesse an diesem - doch gar nicht so einfachen - Thema. Ich dachte nicht, dass meine paar Fragen und Überlegungen aus der bei mir im häuslichen Bereich geführten Diskussion hier so viele interessante Kommentierungen auslöst. Das ist toll!

Vor allem freue ich mich sehr, dass Sie fortgesetzt mitdiskutieren. Ganz herzlichen Dank dafür.

Herzlich Teresa
hans1962 - 24. Feb, 20:42

Brot und Spiele III

Liebe Teresa,
haben Sie herzlichen Dank für die über 600 Zugriffe, die Sie mir geschickt haben. Sie sehen mich wirklich sprachlos!

Ich habe nun eine Antwort versucht, ohne vom Hölzchen zum Stöckchen zu kommen. Nichts läge mir ferner, als Sie mit meinem Leidenschaftsthema zu "verschrecken" ; )
Ihre Einlassung auf meinem Blog ist mir kostbar, es darf auch, bitte!, noch viel ausführlicher sein, ich werde Ihrer Gedanken nicht müde.
Christa K. (Gast) - 16. Feb, 10:17

Unser politisches System ist mit verantwortlich, dass die Arbeit immer stärker ent-mensch-licht wird! Es käme nicht zu den von Ihnen beschriebenen Auswüchsen, wenn die Menschen in die Entwicklung der sozialen Sicherungssysteme, in die Entwicklung politischer Konzepte eingebunden wären. Hätten wir Unternehmen, die ethisch sauber handelten, die ihren Beschäftigten für Arbeit faire Preise, sprich Löhne, zahlten, hätten wir heute nicht diese -weltumspannende- Armutsdebatte.
Andererseits setzt dies voraus, dass jeder von uns auch als Verbraucher bereit ist, faire Warenpreise zu zahlen. Selbst meine kleinen Enkel spüren, dass es nicht mit rechten Dingen zugeht, wenn ein buntes T-Shirt für 5 Euro zu haben ist, während Spielsachen -selbst Faschingskostüme- oder ein Musikplayer um ein Vielfaches teurer sind.
Haben wir uns deshalb die Suppe nicht selber eingebrockt? Oder besser (von den Politikern, denen wir zu sehr vertrauen!) einbrocken lassen?
Egal wie man es dreht und wendet, ich sehe nur einen Lösungsansatz: Als erstes müssten wir wieder zu fairen Lebens- und Arbeitsbedingungen zurück finden.

Robert (Gast) - 16. Feb, 10:19

Es war ein grundlegender Fehler der Ende der damals regierenden SPD in Deutschland (Kanzler Schröder!), die Entwicklung eines sozialen Grundsicherungssystems (so nenne ich das jetzt mal, um das hässliche Wort HartzIV zu vermeiden) in der F e d e r f ü h r u n g dem Beschäftigten eines Großkonzerns zu übertragen. Die Vertreter der Zivilgesellschaft, der Sozial- und Wohlfahrtsverbände, und viele andere Stakeholder [NGOs oder Graswurzelbewegungen wie Greenpeace, auch Vertreter aus kleineren Wirtschaftsverbänden oder von Organisationen wie Fair Trade] waren damals nicht mit am Tisch. Das ist doch das grundsätzliche Problem. Fatal ist, dass an diesem kranken Hartz IV System alle weiter festhalten. Besser einen klaren Schnitt machen und es abschaffen. Doch dazu fehlt a l l e n existierenden politischen Parteien der Mut!

Gast (Gast) - 16. Feb, 10:33

Es fehlt nicht der Mut, sonder der Wille zum klaren Schnitt.
Teresa HzW - 18. Feb, 23:15

Lieber Robert,

auch Ihnen vielen Dank für die Leser-Treue und das Mitdiskutieren! Ich habe zu diesem Thema ergänzend einige Ausführungen bei Hans1962 unter >>>>https://spuerbar.twoday.net/stories/stillhalten-im-abgrund/#comments
geschrieben.
Dabei auch an Ihre Anregung "einen klaren Schnitt machen" gedacht. Ich denke, dafür bleibt nicht mehr lange Zeit! Allerdings befürchte ich fast, dass unserer politischen Elite dafür nicht der Mut, sondern die Fähigkeit fehlt! Wenn man sich das mittlerweile siebenwöchige Hick-Hack um die HartzIV-Aufstockung von einer Handvoll Euro ansieht. Das ist schon nicht mehr peinlich, sondern galoppierend inkompetent, was unsere Politiker damit abliefern.
Alles Weitere im anderen Blog.

Herzlich
Teresa
Margit (Gast) - 16. Feb, 23:22

Trotz Stuttgart21 und anderen Großprojekten haben die politisch Verantwortlichen immer noch nicht dazu gelernt. Entscheidungen von großer menschlicher Tragweite werden weiterhin von einer kleinen Elite (Politiker mit den von ihnen dazu ernannten Experten) überlegt und vorbereitet. Solange sich hier in der Denke und der Grundhaltung der Politiker nichts ändert, wird sich bei den großen Themen nichts bewegen. Die Spirale der Entwürdigung des Menschen –auch in hoch entwickelten Wohlstandsgesellschaften wie unserer – wird sich weiter nach unten beschleunigen.

Teresa HzW - 17. Feb, 23:32

@Margit

Durch die weltweite Vernetzung der Arbeit sind die humanen Aspekte der Gesellschaft sicherlich bedroht, denn wenn wir nicht bereit sind, mitzuspielen, irgendjemand auf der Welt wird es tun; Wenn man nicht den Mut hat, diese Abwärtsspirale zu durchbrechen, wird sie, worauf Sie zu Recht hinweisen, liebe Margit, sich noch schneller und unmenschlicher weiter drehen. Ich denke, dass v.a. wir Industrie- und Wohlfahrtstaaten besonders gefordert sind, endlich sozial und Werte verantwortlich zu handeln. Solange wir selbst vor unserer Haustüre nicht mehr Menschlichkeit ein-fordern und v o r -leben wird es dies in den vorgelagerten Wertschöpfungsketten in den Entwicklungsländern erst recht nicht geben.
Teresa HzW - 17. Feb, 23:23

@all

Herzlichen Dank Ihnen allen für die interessanten Meinungsbeiträge!
Angeregt durch Ihre Kommentare möchte ich noch folgendes ergänzen, bevor ich auf einzelne detaillierter eingehe:

Wir brauchen wieder mehr gerechte Verteilung von Arbeit, nicht nur, was das Angebot an Menschen würdiger Arbeit betrifft, sondern auch bezüglich gerecht verteilter Rechte und Pflichten. Hier scheint sich mir – wie im Ausgangsbeitrag beschrieben – viel zum Negativen hin zu verschieben. Solange nur einzelne Arbeitnehmer mit Unterstützung von Anwälten oder Gewerkschaften hinter geschlossenen Gerichtstüren unter Ausschluss der Öffentlichkeit gegen Benachteiligungen durch Vorgesetzte und Arbeitgeber kämpfen, wird sich nichts ändern. Solange zudem die Betriebsräte in den Unternehmen oder die Medien selbst Vorkommnisse dieser Art nicht stärker thematisieren, wird es eine breitere Sensibilisierung dafür, dass dies nicht in Ordnung ist, nicht geben.

Allerdings ist dies auch ein unpopuläres Thema. Welcher Politiker möchte sich schon mit den Bossen, den Unternehmensinhabern anlegen? Welcher Medienbetrieb potenzielle Anzeigenkunden verprellen?

Es wird sich daher erst etwas ändern, lieber Hans und liebe anderen Gäste, wenn einerseits die Arbeit als solche in ihren vielen unterschiedlichen Dimensionen und Wirkungsweisen gesehen wird. Andererseits aber auch endlich ein-gesehen wird, dass all diese Facetten und Spektren zusammen wirken. Insofern braucht die Arbeits-Tätigkeit an sich (gleich ob jemand angestellter Beschäftigter oder Selbstständiger, ob er Chef oder Angestellter ist) eine ganz andere Wertschätzung in der breiten Bevölkerung. Dazu zählt für mich auch, dass Arbeitsplätze so beschaffen sind, dass die Menschen ihre Gesundheit erhalten können.
Gut gefallen hat mir daher, wie es die Kommentatorin Christa K. formulierte, das "politische System ist mit dafür verantwortlich", ob wir in [und von]Deutschland [ausgehend] eine Menschen würdige Arbeitswelt gestalten oder nicht.

Hier ist die politische und wirtschaftliche Elite gefordert, mit gutem Beispiel voran zugehen, wie es Gastkommentatorin Margit forderte. Jedoch, liebe Margit, liebe Mit-Leser-innen, genau da habe ich derzeit wenig Hoffnung, dass sich etwas ändert... Das dauert gewiss noch zwei Generationen, wenn die Hoffnungsträger-innen von morgen bis dahin nicht durch entsprechende Erfahrungen versaut sind, weil das System natürlich auch diejenigen prägt und entsprechend formt, die heute in jungen Jahren in diese Arbeitswelt starten.

E.D. (Gast) - 18. Feb, 09:39

Der Plagiatsfall vuzGut zeigts: Sogar die adlige Elite Deutschlands hat jegliches Gespür für Anstand und Ehre, Respekt und Glaubwürdigkeit verloren.
Ihre Diskussion in allen Ehren ist doch eine rein akademische.
hans1962 - 18. Feb, 19:08

@E.D.

Eine akademische bliebe die Diskussion nur dann, wenn wir uns alle unbeteiligt verhalten. Ich meine, dass diese eine Diskussion, von Teresa initiiert, ein weiterer wichtiger Beitrag zur notwendigen Veränderung unseres Arbeitsverständnisses ist. Diskutiert wird insgesamt viel und an unterschiedlichen Orten.
Was Ihren Hinweis auf die Fragwürdigkeit elitären Verhaltens betrifft, habe ich in meinem aktuellen Beitrag einiges dazu aufgeschrieben. Moralverlust ist das Stichwort.
Teresa HzW - 18. Feb, 23:25

@E.D.

Wenn sich hier alle in utopischen Forderungen ergehen oder in abgehobene Fachsprache mit unverständlichen soziologischen Fachausdrücken ab-heben würden, dann wäre unsere Diskussion eine "rein akademische", liebe[r] E.D.
Die Reaktion der vielen Kommentator-inn-en ist doch ein Zeichen dafür, dass wir - für alle verständlich - auf dem Boden der Lesbarkeit geblieben sind ;-)
Teresa HzW - 18. Feb, 23:30

P.S.

Vielen Dank für die vielen tollen Beiträge!

Ich hoffe, ich habe alle Kommentare, Anregungen, Hinweise und Meinungen ausreichend gewürdigt!? Falls ich jemanden überlesen habe, bitte nochmals Laut geben...

stoppl - 18. Feb, 23:37

Ihre Diskussion hier in Ehren, aber...

... es ändert sich nichts, aber schon rein gar nichts, denn die Politik ist in der Zange der Wirtschaft und die hat das Sagen.
Menschwürde hin - oder her, die Kasse muss klingeln, das ist das einzig Wahre in der heutigen Zeit. Der Mensch und seine Würde sind doch wirklich obsolet geworden. ;-(

Teresa HzW - 18. Feb, 23:48

@Stoppl

In der Politik - wie auch in der Medienarbeit - muss man dicke, schwere Bretter bohren; insofern wenn wir immer alles still schweigend ertragen oder tot schweigen, ist doch auch nichts gewonnen.
Vielleicht ist unter den vielen Leser-innen ja doch eine oder einer dabei, die oder der das Thema (in die Politik oder die Medien hinein) weiter trägt, dann wäre schon ein bisserl was gewonnen. Jede Lawine, liebe[r] Stoppl, beginnt mit einem Schneeball ;-)
MelusineB - 22. Feb, 15:45

Grenzen

Das ist ein mir sehr wichtiges Thema, bei dem ich viele Gefahren sehe, wenn die Diskussion sich nicht um begriffliche Schärfe müht (an der mir in anderen Zusammenhänge nicht so gelegen ist).

1. Der verfassungsrechtlich gemeinte Begriff der "Menschenwürde" darf nicht vermischt werden mit allen möglichen Formen von Befindlichkeitsirritationen im zwischenmenschlichen Bereich bis hin zu Ehrverletzungen. Solche Handlungen und Verhaltensweisen sind im Einzelfall verwerflich und verabscheuenswert, haben mit "Menschenwürde" aber nichts zu tun. (Beispielsweise: Mobbing, Beleidigungen, Kränkungen etc.)
2. Die Menschenwürde besteht in der Willensfreiheit und im Selbstzweck des Menschen. In anderen Worten: der Mensch kann sich selbst qua seines Willens (auch widernatürliche) Gesetze geben; außerdem und vor allem: der Mensch (jede, jeder) ist selbst ein Zweck und kein Mittel zum Zweck.

Daraus folgt:
3. Die Menschenwürde wird verletzt
a) wenn der freie Wille gebrochen wird (d.i.: Folter)
b) wenn der Mensch ausschließlich als Mittel zum Zweck betrachtet wird. (d.i.: Sklaverei).

Arbeitsverhältnis sind dann Verstöße gegen die Menschenwürde, wenn sie sich der Sklaverei angleichen: d.h. derjenige/diejenige, die ihre Arbeitskraft verkauft, muss s i c h dabei quasi komplett verkaufen (das kann die Arbeitszeit, die Arbeitsorganisation etc.) betreffen.

Generell ist im Kapitalismus problematisch, dass Arbeitskraft zur Ware wird. Diese Tatsache kann überhaupt nur gerechtfertigt werden, wenn die gesellschaftliche Arbeitsteilung trotzdem so organisiert wird, dass jede/jeder auch jenseits der Erwerbsarbeit Zeit und Kraft zur Entfaltung seiner/ihrer (nicht verwertbaren) Fähigkeiten hat. Eine Wahrnehmung, die den Menschen vollständig in seiner Funktion als "Humankapital" aufgehen lässt, ist in der Tat verfassungswidrig.

Jenseits aller Theorie gibt es aber Hoffnung: Der sogenannte demographische Wandel wird auf Kapitalseite Verhaltensänderungen bewirken. Denn das "Humankapital" wird rar werden und daher besser behandelt werden müssen. Das ändert nichts daran, dass eine solche Weltanschauung und ein solches Menschenbild an sich verwerflich sind.

hans1962 - 24. Feb, 23:30

@Melusine

Erlauben Sie mir bitte eine Ergänzung zu Ihrem Punkt 3:
c) wenn der Mensch zur Deckung seiner Lebensgrundbedürfnisse bewilligungspflichtige Anträge stellen muss
d) wenn der Mensch bezüglich Nahrungsaufnahme beschränkt wird. (Hartz-IV, Regelsatz, Aufwand für Nahrungsmittel zur Deckung des Energieverbrauchs von 2200 kcal, das sind jetzt € 4,49 pro Tag je einzelnem Erwachsenem)

Die Angleichungen von Arbeitsverhältnissen an Sklaverei ergeben sich auch überall dort, wo sie, die Arbeitsverhältnisse, aus der offenen oder indirekten Drohung mit Existenzangst abgeleitet werden.
Teresa HzW - 25. Feb, 20:08

@Melusine

Deine Hinweise lenken wieder hin zum ursprünglichen Kern meines Blogeintrages, liebe Melusine:
Die Achtung der Menschenwürde in der heutigen Arbeitswelt.
[darum ging es mir vorrangig, als ich die Diskussion vom häuslichen Küchentisch in mein Blog lenkte ;-) - weniger um die verfassungsrechtliche Klärung... wobei das eine vielleicht vom anderen nicht getrennt werden kann...hm...*grübel*...]

Mir scheint der Mensch immer mehr zum [Einsatz]"Mittel" für mehr und höheren Profit missbraucht zu werden.

Dein Hinweis auf die "Sklaverei" bringt mich dabei wieder auf die Kernfrage, zu der hier noch keine[r] etwas schrieb: "Grenzüberschreitungen".

Ich frage mich, ob solche – wie die von mir oben im Eintrag beschriebenen – nicht erste Anzeichen und Auswüchse einer "modernen" Form der Sklaverei des "Humankapitals" Mensch sind? Wenn Mitarbeiter-Kollegen bis in den privaten, häuslichen Bereich hinein von den Chefs ihrer Arbeitgeber mit Arbeits-Aufträgen und Kontrollanrufen/Kontroll-e-mails verfolgt werden.
Sind diese Methoden nicht neue Formen von [Galeeren]-Frondiensten bzw. andere Formen des "Geißelns" – unter dem Deckmäntelchen der Für-Sorge? [vielleicht etwas überspitzt formuliert, jedoch] angesichts der sprunghaften Zunahme psychischer Erkrankungen am Arbeitsplatz – Burnout und Depression – frage ich mich, ob dies nicht auch mit diesen die Würde des Menschen verletzenden Methoden, die eben eine Würde-Grenze überschreiten, zusammenhängen!?
Teresa HzW - 25. Feb, 21:26

@HANS1962 und @Melusine

Daher wäre aus meiner Sicht unter 3. noch hinzuzufügen:

Die Menschenwürde wird verletzt
e. wenn physische oder psychische Gewalt, Unterdrückung oder Ausbeutung am Arbeitsplatz vorkommen.

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