Montauk I - der Beginn

Heute ist der 20ste Todestag von einem großen deutsch sprachigen Welt-Literaten, der in 41 Tagen seinen Hundertsten Geburtstag gefeiert hätte. Ein Schweizer, dem in diesem Jahr all über all gehuldigt wird. Er wird immer noch viel gelesen. Es vergeht keine Schulgeneration, die nicht wenigstens eines seiner Werke liest und [oder] im Theater studiert: Andorra, Stiller, Homo Faber. Ja, von Max Frisch ist hier die Rede.

Ich war bereits in der Ausstellung im Literaturmuseum der Moderne, klar doch, sogar bei der Ausstellungseröffnung mit Volker Schlöndorff, was auch schon wieder vier Wochen her ist.

Heute habe ich angefangen, Montauk zu lesen.
Laut Kritiker soll das sein bestes Werk sein.
Vielleicht berichte ich hin und wieder über mein Lese-Experiment, hier in meinem Blog, so wie damals, vor Monaten, als ich Rayuela von Julio Cortàzar las. Nur dass ich da einen sehr interessierten Mitleser, den sehr geschätzten Bücherblogger, hatte. Gemeinsam lasen wir jenes postmoderne Werk und schrieben darüber in unseren Blogs.

Wer weiß, vielleicht findet sich unter meinen Blogbesucher[innen] jemand, der auch gerade jenes Werk von Max Frisch liest, dem ich mich nun verschworen: M o n t a u k.

Daher startet heute mein kleines Lese-Experiment, das heißt: Ich lese ab heute jeden Tag dreißig Minuten Montauk, ein Werk, das ich noch nicht kenne.

Im Anschluß an die Lese-Einheit will ich hier berichten, die frischen Eindrücke gleich loswerden.

Ich weiß nichts über jenes Werk, habe absichtlich nicht vor-gegoogelt, keine Inhaltsangabe gelesen, um völlig unbelastet und unvoreingenommen an die Lektüre zu gehen.

Allerdings habe ich schon wieder so eine Ahnung: Habe ich etwa schon wieder –unbewußt – in die postmoderne Bücherkiste gegriffen? Jedenfalls mutet mir der Einstieg in Montauk, gleich auf der ersten Seite, postmodern an, wenn ich schon angesprochen werde als Leser[in]:
„Dies ist ein aufrichtiges Buch, Leser, es warnt dich schon beim Eintritt, dass ich mir darin kein anderes Ende gesetzt habe als ein häusliches und privates…“
Ein solcher Einstieg, auch wenn er einem Zitat von Montaigne aus dem Jahr 1580 enstammt, erinnert mich dennoch an Italo Calvino „Wenn ein Reisender in einer Winternacht“. Wann werde ich sonst von einem Buchautor schon als Leser[in] direkt angesprochen, adressiert, in einem Buch!?

Inhaltlich steigt Frisch auktorial ein. Geschildert wird wie ER, ein Mann, Max Frisch, selbst, und eine Frau, Lynn, auf dem Weg zu einem Aussichtspunkt sind, dem „Overlook“ von Montauk.

Montauk
„ein indianischer Name; er bezeichnet die nördliche Spitze von Long Island, hundertzehn Meilen von Manhattan entfernt“.
"Aha", bereits auf Seite drei habe ich als Leser[in] die geografische Orientierung, wo die Geschichte spielt. Auch das Datum nennt er, der Erzähler, der zugleich der Protagonist[?] ist: 11. Mai 1974.

Offensichtlich war er, Max Frisch, vorher in New York, wo er die Frau, Lynn nennt er sie, im Rahmen eines Fotoshooting kennenlernte.

In einer Art stichwortartiger Rückblende wird gerafft erzählt, was ihn dort beeindruckte, zum Beispiel der Central Park und seine Baumratten, wie dort die Eichhörnchen ähnlichen Tiere genannt werden.

Frisch zoomt während des Spaziergangs zum Overlook in Rückblenden nach New York zurück, nennt Stichworte wie Hudson, Museum of Modern Art, White Horse, Fifth Avenue Hotel, Washington Square und schildert in wenigen Sätzen, was ihn am jeweiligen Ort beeindruckte oder welche Assoziation er dabei hat. Diese Stichwort-Rückblenden genügen, um sich als Leser[in] bereits auf den ersten Seiten der Erzählung (ein Roman ist es wohl nicht) zu orientieren.
3938 mal gelesen
steppenhund - 4. Apr, 23:23

Leider habe ich momentan wirklich keine Zeit, mich an dem Projekt zu beteiligen. Ich mag Max Frisch sehr und das Buch, das ich noch nicht gelesen habe, interessiert mich.
Bisher habe ich Montauk eher mit dem Philadelphia-Projekt in Verbindung gebracht, doch das ist etwas ganz anderes.
Viel Spass beim Lesen.
Mitlesen kann ich jetzt wenigstens auf diese Weise.

Teresa HzW - 5. Apr, 14:22

@Steppenhund

Ach, wie schaaade, lieber Steppenhund, dass Sie keine Zeit zum miteinander lesen :-(

Wieso Sie Montauk mit dem Philadelphia-Projekt in Verbindung bringen, habe ich nicht verstanden? Sie beziehen sich wohl auf das Philadelphia-Experiment, bei dem die US-Marine im Jahr 1943 ein Kriegsschiff verschwinden lassen wollte, was dann gründlich in die Hosen ging. Hm… also ich habe nicht vor zu verschwinden, höchstens zwischen den Zeilen beim Lesen von Montauk *hihi* - Und keine Sorge, wer hier mitliest oder sich kommentierend beteiligt, den werde ich nicht "wegbeamen", höchstens versuchen, mit meinen Ausführungen zu "verzaubern", in den Sog des Lesens hinein zu ziehen, so dass eine[r] wie Sie, werter Steppenhund, gar nicht anders kann, beim nächsten Gang in den ersten Bezirk oder auch in Ihrem Bezirk, als einen Abstecher in einen Buchladen hinein zu machen und jenes Buch – bei Suhrkamp als Taschenbuch für acht Euro – mitzunehmen [also natürlich nicht klauen, sondern kaufen ;-) – Huch, das habe ich nun doch etwas missverständlich ausgedrückt ;-) ]

Ihrem Blog entnehme ich, dass Sie selbst sehr beschäftigt mit den Atommeilern und anderen [Eintrags]Themen ;-)... Nun denn, vielleicht vermag ich Sie dem atomaren Wahnsinn hier wenigstens hin und wieder zu entreißen, insofern freue ich mich sehr, wenn Sie auf diese Weise Montauk "mitlesen" ;-)
Kommentieren könnten Sie auch, ohne ihn gelesen zu haben :-) - vielleicht gibt es im Laufe der nächsten Zeit Fragen, die sich einem bei Montauk nur stellen, wenn man eben nicht so direkt dran und drinsteckt - wie ich selbst, aber indirekt aus nächster Nähe -wie Sie - sozusagen "mitliest"!?
steppenhund - 5. Apr, 16:48

Das Buch habe ich mir ja heute immerhin schon gekauft:)
Zusammen mit den Noten:
Schubert Forellenquintett
Brahms Klavierquartett in c-Moll op 60
Teresa HzW - 5. Apr, 19:42

Frisch[e] Forellen von Schubert zu Brahms und Beethoven aus dem ipod am imaginären Overlook von Montauk sitzend

*überrascht die Augen reib*
D a s ging ja schnell, Ihr Montauk-Buchkauf, lieber Herr Steppenhund. Wie schööön! Dann können wir alsbald gemeinsam philosophieren?

Witzig, dass Sie Schubert und Brahms dazu kauften. Beim Lesen auch dazu hören?

Als ich heute meine dreissig Minuten Montauk mir verabreichte, hörte ich Ludwig van Beethoven`s Violinsonate op. 12 Nr. 3.
steppenhund - 5. Apr, 20:49

Ich üb das für eine Kammermusikklausur im September in der Nähe von Genf, eine urgeile Angelegenheit. Eine Woche in Klausur, nur Musik und Landschaft. Und jetzt fahre ich nach hause und probiere es aus.
Der Schubert wird locker gehen, aber der Brahms ist sauschwer:)
Teresa HzW - 5. Apr, 22:12

@Steppenhund

Uiiih, das hätte ich nicht gedacht!
Spielen Sie Geige, Bratsche oder Cello?
Ja, Brahms ist s...... ;-) Ich fühle mit Ihnen.
Wie wär`s morgen mal mit einer Hörprobe, so einem kleinen Audiofile, auf Ihrem Blog?
Ich klicke gern zur Probe hinüber ;-)
Margit (Gast) - 5. Apr, 10:12

Wenn Sie das Werk Montauk nicht kennen, und vorher "nicht vor-googelt, keine Inhaltsangabe gelesen" haben, wieso wissen Sie dann, dass Frisch darin über sich selbst schreibt?

Ist er dann Erzähler und Handlungsfigur, also Protagonist, in einem?

Teresa HzW - 5. Apr, 14:25

@Margit

Ja, liebe Margit, machen Sie mich nur auf eine "Schludrigkeit" aufmerksam, die mir bei meinem gestrigen Eintrag unterlief. Ich hätte oben, wo ich schrieb, "Geschildert wird wie ER, ein Mann, Max Frisch, selbst," da hätte ich in Klammern korrekterweise ein Fragezeichen setzen müssen. Oh, ich sehe schon, ich muss aufpassen, was ich hierhin schreibe, nach meinen ersten unvermittelten Leseeindrücken. Ihnen entgeht nichts. Und das ist auch gut so! Weisen Sie mich nur auf Unstimmigkeiten hin. DAS schärft mir den Lese-Schreib-Blick :-)

Doch nun zu Ihren Fragen, liebe Margit.
Max Frisch steigt in seinen Roman, Erzählung, Novelle (ich weiß noch nicht, als was es zu werten ist, dafür lese ich noch zu kurz!) mit einem zehnzeiligen Montaigne-Zitat ein. Darin heißt es, dass er es sei, den er in Montauk darzustellen gedenkt.
Teresa HzW - 5. Apr, 15:46

Montauk Anfang

Ich glaube, es ist für das Verständnis doch besser, wenn ich hier das Zitat in Gänze aufschreibe, so wie es dort steht:
"Dies ist ein aufrichtiges Buch, Leser, es warnt dich schon beim Eintritt, daß ich mir darin kein andres Ende vorgesetzt habe als ein häusliches und privates… Ich habe es dem persönlichen Gebrauch meiner Freunde und Angehörigen gewidmet, auf daß sie, wenn sie mich verloren haben, darin einige Züge meiner Lebensart und meiner Gemütsverfassung wiederfinden… denn ich bin es, den ich darstelle. Meine Fehler wird man hier finden, so wie sie sind, und mein unbefangenes Wesen, so weit es nur die öffentliche Schicklichkeit erlaubt… So bin ich selber, Leser, der einzige Inhalt meines Buches; es ist nicht billig, daß du deine Muße auf einen so eitlen und geringfügigen Gegenstand verwendest. / Mit Gott denn, zu Montaigne, am ersten März 1580."

Aus diesen Sätzen ergibt sich für mich, dass er, Max Frisch, in Montauk Erzähler und Hauptfigur in einem ist.

Insofern hoffe ich, liebe Margit, Ihnen und auch anderen Leser[innen] diese Frage erschöpfend beantwortet zu haben...
:-)
Robert (Gast) - 5. Apr, 12:23

Lang ist es her, dass ich Calvinos Winter-Reisenden gelesen und nicht zur Hand. Darf ich um den Einstiegstext bitten, da Sie, werte Teresa, schreiben, die beiden Erzählungen begännen gleichlautend.

Teresa HzW - 5. Apr, 14:27

Anfang Wenn ein Reisender in einer Winternacht

Calvino adressiert zu Beginn seines Romans den Leser, wie folgt:
"Du schickst dich an, den neuen Roman Wenn ein Reisender in einer Winternacht von Italo Calvino zu lesen. Entspanne dich. Sammle dich. Schieb jeden anderen Gedanken beiseite. Laß deine Umwelt im ungewissen verschwimmen. Mach lieber die Tür zu, drüben läuft immer das Fernsehen. Sag es den anderen gleich: "Nein, ich will nicht fernsehen!" Heb` die Stimme, sonst hören sie`s nicht: "Ich lese! Ich will nicht gestört werden!"
Ich hoffe, lieber Robert, das genügt als Ausschnitt zur Auffrischung der Erinnerung ;-)
Robert (Gast) - 8. Apr, 12:11

Danke.

Frische Authentizität

@Calvino und Leseransprache: "Lit. Moderne": Studieneinheit 30, S. 25

@Frisch: 1976 habe ich in den beiden Tagebuchbänden (1946-49) und (1966-71) gelesen, sehr zu empfehlen. Gerade eben erst fand ich bei amazon heraus, dass 2010 noch ein Fragment gebliebenes Tagebuch (1982/83) erschienen ist. Eigentlich geht es immer um die Frage, wie man authentisch schreibt. Das Tagebuch wird bei Frisch eigene literarische Form. Montauk kenne ich nicht, aber vielleicht mache ich etwas Verrücktes: Mit Zitaten aus den Tagebüchern kommentieren, ohne das Buch selbst zu lesen.

Teresa HzW - 5. Apr, 19:31

@Bücherblogger - "etwas Verrücktes"

Was für eine schöne Idee, lieber Bücherblogger, wenn Sie meine Lese-Ausführungen zu Montauk mit Zitaten aus Frisch`s Tagebüchern begleiten!
Ich bin gespannt, wie Sie die eine oder andere Textstelle, die Sie dann für Ihren Kommentar hier aussuchen, neu lesen. Ob Sie in diesen Textstellen im Vergleich [zum Lesen in den 1970ern] NEUES entdecken? Falls ja, schreiben Sie es auf. Es ist immer spannend, zu sehen, wie man in unterschiedlichen Lebens- und Altersphasen ein und dasselbe Werk anders rezipiert.
Ich freue mich sehr auf "etwas Verrücktes"!
:-)
Teresa HzW - 5. Apr, 19:35

Frische Authentizität - why not

"Wie man authentisch schreibt"?

Darüber werde ich nachdenken, lieber Bücherblogger. Vielleicht greife ich dies als eigenen Blogeintrag auf während ich Montauk lese… ich hab` ja gerade erst 27 gelesene Seiten hinter mir ;-)

Vielen Dank auch für den Hinweis auf die Funkkolleg-Studienhefte zur "Literarischen Moderne". Heft 10 mit der Studieneinheit 30 habe ich mir eben nochmals gegriffen, nicht dass ich im heutigen Eintrag Montauk II etwas Wichtiges übersah!? :-o
Teresa HzW - 5. Apr, 14:30

@Margit und Robert

Ihre Fragen nehme ich als Anregungen und willkommenen Anlass in meinem heutigen Montauk-Eintrag nochmals auf den Beginn dieses Romans(?), Erzählung(?), Novelle(?) [ich weiß noch nicht, als was es zu werten ist, dafür lese ich noch zu kurz!] einzugehen. Und diesem Einstieg jenen von Italo Calvino`s Roman „Wenn ein Reisender in einer Winternacht“ gegenüberzustellen.

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